Sie sind hier: Home » Recht » Deutschland » Bundesgerichtshof

Verwirklichung der Gleichbehandlung


Altersgrenze für Notare ist keine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters
Die Altersgrenze soll den Generationenwechsel erleichtern und den Berufsstand der Notare verjüngen



Der Senat für Notarsachen des Bundesgerichtshofs (BGH) hat entschieden (Urteil vom 21. August 2023 - NotZ(Brfg) 4/22), dass die Altersgrenze für Notare mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar ist. Gemäß § 47 Nr. 2, § 48a der Bundesnotarordnung (BNotO) erlischt das Amt des Notars mit dem Ende des Monats, in dem er das 70. Lebensjahr vollendet. Sachverhalt: Der Kläger ist Anwaltsnotar und wird im Laufe des Jahres 2023 das 70. Lebensjahr vollenden. Er macht geltend, die Altersgrenze verstoße gegen das sich aus Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie Art. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (nachfolgend: RL 2000/78) ergebende Verbot der Diskriminierung wegen des Alters. Die Altersgrenze sei angesichts eines mittlerweile eingetretenen erheblichen Nachwuchsmangels nicht mehr im Sinn von Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78 objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt.

Prozessverlauf:
Die Klage auf Feststellung, dass das Amt des Klägers als Notar nicht mit dem Ablauf des Monats, in dem er das 70. Lebensjahr vollendet, erlischt, ist vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Bundesgerichtshof zugelassenen Berufung hat er sein Klageziel weiterverfolgt.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Der Senat für Notarsachen hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Altersgrenze soll den Generationenwechsel erleichtern und den Berufsstand der Notare verjüngen. Sie ist nach den vom Senat getroffenen Feststellungen zur Erreichung dieses Ziels nach wie vor erforderlich. Aus dem für den Zeitraum 2020 bis 2022 eingeholten Gutachten der Bundesnotarkammer zur Anzahl der bestehenden und ausgeschriebenen Stellen und der eingegangenen Bewerbungen sowie zur Verteilung der Notarinnen und Notare in Altersgruppen ergibt sich, dass im hauptberuflichen Notariat bundesweit ein erheblicher Bewerberüberhang herrscht.

Lediglich in den Oberlandesgerichtsbezirken, in denen Rechtsanwälte als Notare im Nebenberuf tätig sind (Braunschweig, Bremen, Celle, Frankfurt am Main, Hamm, Oldenburg, Schleswig sowie der Bezirk des Kammergerichts und im Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf der rechtsrheinische Teil des Landgerichtsbezirks Duisburg sowie der Amtsgerichtsbezirk Emmerich), besteht teilweise ein erheblicher Bewerbermangel. Daraus und aus weiteren statistischen Daten hat der Senat für Notarsachen geschlossen, dass es für den Notarberuf keinen Nachwuchsmangel aus demographischen Gründen gibt. Der Bewerbermangel im Anwaltsnotariat hat andere, seit etwa 2010 bestehende strukturelle Gründe. Dies sind insbesondere die neben der Berufstätigkeit als Rechtsanwalt vorzubereitende und abzulegende notarielle Fachprüfung sowie die sich stetig weiter erhöhenden (auch technischen) Anforderungen an die Ausübung des Nebenberufs.

Die Altersgrenze ist vor diesem Hintergrund auch im Anwaltsnotariat nach wie vor erforderlich, um ein legitimes Ziel im Sinn von Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78 zu erreichen. Bleiben lebensältere Notare mit gut eingeführten Notarstellen und einem großen Stamm an Urkundsbeteiligten ohne Altersgrenze im Amt, haben jüngere Rechtsanwälte keine hinreichende und planbare Aussicht auf wirtschaftlich leistungsfähige Notariate. Sie werden dann oftmals den erheblichen Aufwand für den Einstieg in den Nebenberuf nicht auf sich nehmen. Der Senat konnte daher nicht feststellen, dass der Gesetzgeber, der 2021 im Hinblick auf den bereits seinerzeit bestehenden Bewerbermangel im Bereich des Anwaltsnotariats einige Verbesserungen beschlossen (§ 48b und § 5b Abs. 3 BNotO), jedoch an der Altersgrenze festgehalten hat, dabei den ihm nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zukommenden Prognose- und Beurteilungsspielraum verletzt hat. Ein angemessener Interessenausgleich wird auch dadurch gewährleistet, dass die Altersgrenze für Notare deutlich über den im Bund und in den Ländern geltenden Pensionsaltersgrenzen liegt und aus dem Amt ausscheidende Anwaltsnotare nicht gehindert sind, den Beruf des Rechtsanwalts weiterhin auszuüben und als Notarvertreter oder Notariatsverwalter tätig zu sein.

Vorinstanz:
OLG Köln - Urteil vom 10. Februar 2022 - Not 5/21

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Bundesnotarordnung

§ 5b Abs. 1

Zum Anwaltsnotar soll nur bestellt werden, wer bei Ablauf der Bewerbungsfrist

1. mindestens fünf Jahre in nicht unerheblichem Umfang für verschiedene Auftraggeber rechtsanwaltlich tätig war,

2. die Tätigkeit nach Nummer 1 seit mindestens drei Jahren ohne Unterbrechung in dem vorgesehenen Amtsbereich ausübt,

[…]

§ 5b Abs. 3

Von der Voraussetzung nach Absatz 1 Nummer 2 kann insbesondere abgesehen werden, wenn keine Bewerbung dieser Voraussetzung genügt, jedoch eine sich bewerbende Person die Tätigkeit nach Absatz 1 Nummer 1 jeweils ohne Unterbrechung entweder seit mindestens zwei Jahren in dem vorgesehenen Amtsbereich oder seit mindestens drei Jahren in einem Amtsgerichtsbezirk ausübt, der innerhalb desselben Landes an den Amtsgerichtsbezirk angrenzt, in dem die ausgeschriebene Notarstelle gelegen ist. […]

§ 47

Das Amt des Notars erlischt durch

[…]

2. Erreichen der Altersgrenze (§ 48a) oder Tod,

[…]

§ 48a

Die Notare erreichen mit dem Ende des Monats, in dem sie das siebzigste Lebensjahr vollenden, die Altersgrenze.

§ 48b

(1) Wer als Notar ein Kind unter 18 Jahren oder einen nachweislich pflegebedürftigen nahen Angehörigen (§ 7 Absatz 3 des Pflegezeitgesetzes) tatsächlich betreut oder pflegt, kann sein Amt mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde niederlegen. Beabsichtigt eine schwangere Notarin, ihr Amt nach Satz 1 niederzulegen, so kann sich die Zeit der Amtsniederlegung auch auf den Zeitraum nach § 3 Absatz 1 des Mutterschutzgesetzes erstrecken. Soweit möglich soll ein Antrag auf Amtsniederlegung sechs Monate im Voraus und unter Angabe des voraussichtlichen Zeitraums der Amtsniederlegung gestellt werden. Die Gesamtdauer einer oder mehrerer Amtsniederlegungen darf zwölf Jahre nicht überschreiten.

(2) Erklärt der Notar in dem Antrag auf Amtsniederlegung, sein Amt innerhalb von drei Jahren am bisherigen Amtssitz wieder antreten zu wollen, so wird er innerhalb dieser Frist dort erneut bestellt. § 97 Absatz 3 Satz 2 gilt entsprechend. Die Gesamtdauer einer oder mehrerer Amtsniederlegungen, die im Rahmen des Satzes 1 erfolgen, ist auf drei Jahre begrenzt, soweit nicht ausnahmsweise eine längere Dauer genehmigt wird.

(3) Bei der Entscheidung über die Genehmigung sind die Belange der geordneten Rechtspflege zu berücksichtigen. Die Genehmigung kann mit Ausnahme eines Widerrufsvorbehalts mit Nebenbestimmungen verbunden werden. Die Notarkammer ist vor der Entscheidung anzuhören. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Fall des § 56 Absatz 3 Satz 2 eintreten kann, so ist der Notar darauf hinzuweisen.

(4) Fallen die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 oder 2 weg, hat der Notar dies der Aufsichtsbehörde unverzüglich mitzuteilen. Bemüht sich der Notar nach einem Wegfall der Voraussetzungen nicht in zumutbarer Weise um eine erneute Bestellung, so verliert er die Ansprüche nach Absatz 2 Satz 1 und Absatz 5.

(5) Bewirbt sich ein Notar nach einer Amtsniederlegung zum Zweck der Betreuung oder Pflege um eine erneute Bestellung, die nicht nach Absatz 2 Satz 1 erfolgt, so ist bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Personen zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er bereits ein notarielles Amt ausgeübt und dieses genehmigt niedergelegt hat.

Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Artikel 21

(1) Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind, verboten.

[…]

Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf

Artikel 1

Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.

Artikel 2

(1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet "Gleichbehandlungsgrundsatz", dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2) Im Sinne des Absatzes 1

a) liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

[…]

Artikel 6

(1) Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

a) die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen;

b) die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile;

c) die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand.

[…]
(Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 23.08.23: ra)

eingetragen: 19.09.23
Newsletterlauf: 06.11.23


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Bundesgerichtshof

  • (Gesundheits-)Daten betroffener Arbeitnehmer

    Die Verarbeitung von Gesundheitsdaten durch einen Medizinischen Dienst, der von einer gesetzlichen Krankenkasse mit der Erstellung einer gutachtlichen Stellungnahme zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit eines Versicherten beauftragt worden ist, kann nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. h DSGVO* auch dann zulässig sein, wenn es sich bei dem Versicherten um einen eigenen Arbeitnehmer des Medizinischen Dienstes handelt.

  • Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts in Fristsachen

    Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) beabsichtigt, sich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts in Fristsachen anzuschließen, wonach ein Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen hat, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden.

  • Kündigung im Rahmen einer Massenentlassung

    Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung im Rahmen einer Massenentlassung. Entscheidungserheblich ist, ob diese bei der Agentur für Arbeit ordnungsgemäß angezeigt wurde.

  • Arbeitgeberin hat Wahl für nichtig gehalten

    Bewerben sich bei einer Betriebsratswahl weniger Arbeitnehmer um einen Betriebsratssitz als Betriebsratsmitglieder zu wählen sind, kann ein "kleinerer" Betriebsrat errichtet werden. Die Arbeitgeberin ist Trägerin einer Klinik mit in der Regel 170 beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

  • Arbeitsverhältnis & katholischen Kirche

    Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um die Auslegung des Unionsrechts zu der Frage ersucht, ob ein der katholischen Kirche zugeordneter Arbeitgeber, der von den bei ihm tätigen Arbeitnehmern im Übrigen nicht verlangt, dass sie der katholischen Kirche angehören, das Arbeitsverhältnis allein aufgrund der Beendigung der Mitgliedschaft zur katholischen Kirche kündigen darf, wenn der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses aus der katholischen Kirche austritt.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen