Eingriffe in die Grundrechte Unbeteiligter?


Erhebliches Misstrauen gegenüber Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten bei den Gegnern der Funkzellenabfrage - Experten uneinig über künftiges Verfahren bei der Funkzellenabfrage
Soll die Funkzellenabfrage als Ermittlungsmaßnahme grundgesetzkonform und rechtstaatlich reguliert werden? - Fraktion Die Linke möchte die Möglichkeit der Funkzellenabfrage durch Ermittlungsbehörden abschaffen


(21.02.12) - In einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses äußerten sich neun geladene Experten zur sogenannten Funkzellenabfrage (FZA), einer Maßnahme zur Aufenthaltsortsermittlung mittels Mobiltelefondaten und zu zwei Gesetzentwürfen aus den Reihen der Oppositionsfraktionen. Denn Anlass der Anhörung war ein Gesetzentwurf zur Änderung der Strafprozessordnung (17/7335) der Fraktion Die Linke. Die Fraktion möchte die Möglichkeit der Funkzellenabfrage durch Ermittlungsbehörden abschaffen. Eine entsprechende Vorschrift aus der Strafprozessordnung sei zu streichen, nach der im Falle einer Straftat von "erheblicher Bedeutung" eine solche Maßnahme zum Einsatz kommen kann. Voraussetzung ist, dass die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

Wie die Abgeordneten in dem Entwurf weiter ausführen, hatte die Dresdener Polizei bei einer Demonstration von Rechtsextremen im Februar 2011 eine Funkzellenabfrage damit begründet, es sei nicht auszuschließen, dass mehrere Gegendemonstranten schweren Landfriedensbruch begehen würden. Die fast 139.000 Verkehrsdatensätze enthielten schließlich mehr als 66.000 verschiedene Anschlussnummern, insbesondere von friedlichen Demonstrationsteilnehmern sowie von Anwohnern. Die Linke schlussfolgert: "Dieser massive Eingriff ist in Bezug auf die unberechenbar hohe Vielzahl an von der FZA betroffenen Unbeteiligten nicht verhältnismäßig." Der "Dresdner Datenskandal", so die Fraktion weiter, verdeutlichte, dass es im Hinblick auf die Streubreite und die damit verbundenen schweren Eingriffe in die Grundrechte Unbeteiligter nicht ausreiche, "legislativ Sicherungen" einzubauen, die ihre Benutzung erträglich machen. Erforderlich sei vielmehr die ersatzlose Streichung dieser Maßnahme aus dem Katalog möglicher Verfolgungsinstrumente.

In der Anhörung diskutierten die Sachverständigen zudem den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Nach Meinung dieser Fraktion soll die Funkzellenabfrage als Ermittlungsmaßnahme grundgesetzkonform und rechtstaatlich reguliert werden. Um Daten von unbeteiligten Dritten zu schützen, hat die Fraktion einen Gesetzentwurf (17/7033) vorgelegt. Dieser sieht vor, die richterliche Begründungspflicht auszuweiten, um Eingriffe in das Grundrecht zu begrenzen. Nach Angaben der Fraktion hätten Polizeibeamte am 19. Februar dieses Jahres in Dresden bei einer FZA zum großen Teil Daten von unbeteiligten Personen erhoben. Diese Daten seien in Ermittlungen verwendet worden, für die keine Genehmigung vorgelegen habe. Da sich die FZA nur gegen den Beschuldigten oder dessen Nachrichtenmittler richten dürfe, soll der Entwurf die Funkzellenabfrage erschweren. Die Änderung der Strafprozessordnung diene außerdem einer besseren parlamentarischen Kontrolle.

Experte Wilhelm Achelpöhler, vom Deutschen Anwaltsverein erklärte, dass der "Vorschlag der Grünen in die richtige Richtung" gehe, er sei "aber nicht weit genug." Insofern halte er den Entwurf der Linksfraktion "für die beste Lösung".

Auch Bernhard Bannasch, Referatsleiter Justiz, Sicherheit, Grundsatzfragen beim Sächsischen Datenschutzbeauftragten in Dresden, sah im Entwurf der Grünen-Fraktion "einen Schritt in die richtige Richtung", er sei aber noch zu präzisieren. Im Gegensatz zur Linksfraktion halte er die Funkzellenabfrage an sich für akzeptabel, sagte Bannasch weiter.

Ulf Buermann, Richter am Landgericht Berlin, betonte, dass er sich seinem Vorredner anschließe. Seiner Ansicht nach werde die aktuelle Gesetzgebung den verfassungsrechtlichen Ansprüchen nicht gerecht. Es nehme in Kauf, "dass Richter Fehlentscheidungen treffen."

Der Berliner Rechtsanwalt Johannes Eisenberg merkte an, dass es nicht zulässig sei, potenzielle Zeugen per Funkzellenabfrage zu ermitteln, um an Informationen über mögliche Täter zu kommen. Derartige Vorkommnisse müssten künftig ausgeschlossen werden.

Dr. Thomas Giesen, Rechtsanwalt aus Dresden, steht eigenen Angaben zufolge "beiden Entwürfen kritisch gegenüber". Keiner der beiden sei weiter zu verfolgen, beide seien "schädlich", sagte er.

Sowohl Hans Strobel, Leitender Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Leipzig, als auch Dr. Stefan Studenroth, Oberstaatsanwalt und Leiter Betäubungsmittel/Organisierte Kriminalität der Staatsanwaltschaft Göttingen betonten, dass auch das Ansehen der Justiz in der Öffentlichkeit zu berücksichtigen sei. "Man müsste auch mal Vertrauen in die Justiz haben, denn ich denke, sie hat es verdient", sagte Strobl.

Der Oberstaatsanwalt Dr. Robert Schnabel von der Generalstaatsanwaltschaft München resümierte, dass beide Gesetzentwürfe seiner Meinung nach "erhebliches Misstrauen gegenüber Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten erkennen lassen", welches jedoch keinesfalls gerechtfertigt sei. Die Aufklärung von Straftaten würde so in den Hintergrund gerückt werden. (Deutscher Bundestag: ra)


Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • Gleichstellung als verbindliches Förderkriterium

    Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert in einem Antrag (21/790) die Bundesregierung auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Gleichstellung von Frauen und Mädchen im organisierten Sport in Deutschland deutlich zu verbessern.

  • Ausbau der digitalen Infrastruktur

    Die von der schwarz-roten Koalition geplante Novelle des Telekommunikationsgesetzes ist bei einer Mehrheit der Sachverständigen auf Zustimmung zu den Zielen und Kritik an Details gestoßen. In einer öffentlichen Anhörung des Digitalausschusses zum TKG-Änderungsgesetz 2025 bezeichnete eine Reihe von Sachverständigen den Entwurf als ein wichtiges Signal für die Branche.

  • Auskunft zum Cum/Ex und Cum/Cum

    Zum Stichtag 31. Dezember 2023 befanden sich 380 Verdachtsfälle zur Steuergestaltung bei Cum-Ex-Geschäften bei den Obersten Finanzbehörden der Länder und beim Bundeszentralamt für Steuern mit einem Volumen nicht anrechenbarer/erstatteter Kapitalertragssteuer inklusive Solidaritätszuschlag von rund 3,8 Milliarden Euro in Bearbeitung. Diese Angaben macht die Bundesregierung in ihrer Antwort (21/548) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion die Linke (21/310).

  • Kosten der Vermeidung von CO2-Emissionen

    Keine konkreten Angaben zu den Kosten, die ihre Pläne zur Vermeidung von CO2-Emissionen verursachen, macht die Bundesregierung in ihrer Antwort (21/715) auf eine Kleine Anfrage (21/296) der AfD-Fraktion. Zur Begründung verweist sie darauf, dass Deutschland zur Erreichung der Klimaschutzziele auf ein "breites Spektrum aufeinander abgestimmter Klimaschutzmaßnahmen" setze. Diese dienten neben der Minderung von Treibhausgasen auch der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, dem sozialen Ausgleich sowie der langfristigen Transformation hin zur Klimaneutralität. Die Ausgestaltung der Klimaschutzmaßnahmen gehe dabei über eine "kurzfristige, rein statische Betrachtung der CO2-Vermeidungskosten" hinaus.

  • Steuerung des Windenergieausbaus

    An der von den Koalitionsfraktionen geplanten Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU (RED III) besteht Nachbesserungsbedarf. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Umweltausschusses zu dem Gesetzentwurf "zur Umsetzung von Vorgaben der Richtlinie (EU) 2023/2413 für Zulassungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz und dem Wasserhaushaltsgesetz, zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes, zur Änderung des Windenergieflächenbedarfsgesetzes und zur Änderung des Baugesetzbuchs" (21/568) deutlich.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen