Menschenwürde und Präimplantationsdiagnostik


"Zwang zum Nichtwissen" kontra "Recht auf Leben": Unterstützung für konträre PID-Gesetzentwürfe
Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde: Zulassung der PID sei aus rechtlicher wie ethischer Sicht mit der Garantie der Menschenwürde des Grundgesetzes unvereinbar

(03.06.11) - Befürworter wie Gegner einer Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) haben sich in einer mehrstündigen Expertenanhörung des Gesundheitsausschusses gegenseitig vorgeworfen, grundgesetzwidrige Regelungen anzustreben. Der Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und des Instituts für Völkerrecht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Matthias Herdegen, sagte, der Schutz der Menschenwürde rechtfertige kein umfassendes Verbot der PID.

Ein absolutes Verbot der PID begründe "einen Zwang zum Nichtwissen", was einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte bedeute. Der Professor fügte hinzu, bei einer zu weitgehenden gesetzlichen Einschränkung der PID sei von einer Verfassungswidrigkeit auszugehen. Er plädierte für den weitgehendsten Gesetzentwurf (17/5451), mit dem die PID eingeschränkt erlaubt werden soll. Diesen haben mit 215 bislang die meisten Abgeordneten aus allen Fraktionen unterzeichnet. Zu den Initiatoren zählen Ulrike Flach (FDP) und Peter Hintze (CDU).

Dagegen plädierte der Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde für ein Verbot des umstrittenen Verfahrens, bei dem im Reagenzglas erzeugte Embryonen vor der Einpflanzung in die Gebärmutter auf etwaige Krankheiten untersucht und eventuell vernichtet werden. 192 Abgeordnete um Birgitt Bender (Bündnis 90/Die Grünen) und Johannes Singhammer (CSU) sprechen sich in ihrem Gesetzentwurf (17/5440) für ein solches striktes Verbot der PID aus.

Böckenförde sagte, eine Zulassung der PID sei aus rechtlicher wie ethischer Sicht mit der Garantie der Menschenwürde des Grundgesetzes unvereinbar. Die PID habe folgende Konsequenz: "Wenn bestimmte genetische Defekte vorhanden sind, hört das Recht auf Leben auf." Denn bei dieser Methode gehe es nicht um den Wunsch nach einem Kind an sich, sondern nur nach einem gesunden Kind, fügte der Professor hinzu.

Grundsätzlich für ein Verbot sprach sich auch die Sozialwissenschaftlerin und Humangenetikerin Sigrid Graumann aus, allerdings mit der Ausnahme, eine “aussichtslose" Schwangerschaft mit einem nicht lebens- beziehungsweise nicht entwicklungsfähigen Embryo bei einem Paar mit einer dafür bekannten genetischen Veranlagung zu vermeiden. Diese Haltung spiegelt sich in dem Gesetzentwurf einer Abgeordnetengruppe um René Röspel (SPD), Priska Hinz (Bündnis 90/Die Grünen) und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) wider. Die Moraltheologin Hille Haker unterstützte den Entwurf ebenfalls. Der Zweck der künstlichen Befruchtung, eine Schwangerschaft herbeizuführen, bleibe dabei gewahrt.

Der Bundestag will noch vor der im Juli beginnenden Sommerpause eine Entscheidung zum künftigen Umgang mit den umstrittenen Gentests an Embryonen treffen. Dies ist notwendig, da der Bundesgerichtshof in Leipzig im vergangenen Jahr entschieden hatte, dass die PID nach dem 1991 in Kraft getretenen Embryonenschutzgesetz nicht grundsätzlich untersagt ist. In der ersten Lesung am 14. April 2011 im Bundestag hatte sich keine Mehrheit für einen der Gesetzentwürfe abgezeichnet. Von den 621 Abgeordneten hatten sich 178 noch nicht per Unterschrift einem der drei Entwürfe angeschlossen.

Der Berliner Theologieprofessor Richard Schröder widersprach dem Argument der Verbotsbefürworter, die PID stigmatisiere Menschen mit Behinderungen. Damit würden Behinderte "instrumentalisiert", um eine gesellschaftliche Norm zu erhalten, sagte Schröder. Dagegen betonte der Schauspieler Peter Radtke, der an der so genannten Glasknochenkrankheit leidet, er habe sich "selten in der Gesellschaft so außen vor" gefühlt wie in der PID-Debatte.

Der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, sagte, mit der PID verbunden sei "ein selektiver Blick". Darin sehe er auch einen grundlegenden Unterschied zum Schwangerschaftskonflikt, bei dem es um die Gesundheitsgefährdung der Frau gehe. Zu dem Entwurf von Röspel und anderen Abgeordneten sagte Huber, einer wie auch immer begrenzten Zulassung der PID wohnten "Ausweitungstendenzen" inne.

Die Münsteraner Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert wandte sich gegen ein Verbot und verwies auf das Leid betroffener Paare. Dieses nicht ernst zu nehmen oder zu trivialisieren, "wäre zynisch", sagte die Professorin. (Deutscher Bundestag: ra)


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