Zu einem "Anti-Littering-Fonds" ausbauen


Experten: Nachbesserungsbedarf bei Einwegkunststoffabgabe
Wegwerfen von Müll in die Umgebung ein wachsendes Problem




Die von der Deutschen Bundesregierung geplante Abgabe für Hersteller von Einweg-Plastikprodukten wird von Experten mehrheitlich positiv bewertet. Gleichwohl rieten die Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz auch zu Nachbesserungen am Gesetzentwurf, mit dem die europäischen Richtlinie zur "Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt" (20/5164) umgesetzt werden soll.

So vertraten mehrere Experten die Auffassung, der Gesetzentwurf greife in seiner Beschränkung auf bestimmte Einweg-Plastikprodukte wie etwa To-Go-Becher, leichte Tragetaschen, Feuchttücher, Luftballons und Tabakfilter zu kurz. Ziel müsse die Verringerung aller Einwegprodukte sein, unabhängig von ihrer Materialbeschaffenheit, so formulierte es eine Vertreterin des Deutschen Städtetags. Umweltverbände monierten zudem eine zu geringe Lenkungswirkung: Der Ansatz zur Vermeidung von Kunststoffprodukten fehle.

"Littering", also das Wegwerfen von Müll in die Umgebung, sei ein wachsendes Problem, hatte zunächst Christine Wilcken vom Deutschen Städtetag erklärt. Um des Problems Herr zu werden, seien die Kommunen gezwungen, mehr und mehr Geld auszugeben. Dass die Hersteller an den Kosten der Müllbeseitigung beteiligt werden sollen, wie es die Bundesregierung plane, sei daher grundsätzlich zu begrüßen. Wilcken äußerte jedoch die Befürchtung, dass die Beschränkung auf Plastikprodukte "Verlagerungstendenzen" hin zu Einwegprodukten etwa aus Bambus oder Pappe Vorschub leisten könne. Der Fonds drohe so schnell "leerzulaufen" - der Reinigungsaufwand für die Städte und Gemeinden aber bleibe bestehen. Für die Kommunen sei Planbarkeit entscheidend: Nur wenn sie verlässlich mit Mitteln aus dem Einwegkunststofffonds rechnen könnten, seien sie in der Lage, in neue Reinigungstechnik und Personal zu investieren, sagte Wilcken.

Das bestätigte Yvonne Krause vom Verband kommunaler Unternehmen: Es brauche eine "stabile Finanzierungsstruktur". Auch aus diesem Grund sprach sie sich dafür aus, den geplante Einweg-Kunststofffonds perspektivisch zu einem "Anti-Littering-Fonds" auszubauen, um auch die Hersteller von Produkten wie Pizzakartons, Aluminiumschalen sowie Kaugummis miteinzubeziehen.

Ähnlich äußerte sich auch Patrick Hasenkamp von den Abfallwirtschaftsbetrieben Münster: Verbotene Plastikprodukte wie etwa Einweg-Plastikbesteck seien schnell im Handel durch Varianten aus Holz oder Bambus ersetzt worden. Diese würden aber auch ebenso schnell weggeworfen. Die geplante Abgabe sei daher nur ein "erster Schritt". Wirksamer würde sie, wenn alle Einwegprodukte davon erfasst würden, nicht nur bestimmte Kunststoffprodukte.

Henning Wilts vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, lobte das geplante Gesetz. Die Einwegkunststoffabgabe entspreche dem Prinzip der Herstellerverantwortung, das als "Schlüsselprinzip einer ressourcenleichten und klimaneutralen Kreislaufwirtschaft" gesehen werden könne, so der Sachverständige in seiner Stellungnahme. Damit würden den Unternehmen Anreize gesetzt, die Kosten der Nachnutzungsphase ihrer Produkte bereits in das Design ihrer Produkte und Geschäftsmodelle zu integrieren. Allerdings sah auch Wilts Leerstellen: So riet er unter anderem dazu, sich auf europäischer Ebene für eine Ausweitung der Einwegkunststoffrichtlinie und mehr Anreize zur Reduzierung von Einwegprodukten einzusetzen.

Martin Engelmann von der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen kritisierte nicht so sehr die Einrichtung eines Einweg-Kunststofffonds, sondern vielmehr dessen konkrete Ausgestaltung: Die Einführung einer "staatlichen Sonderabgabe" werde zu einem "teuren Desaster" werden, prognostizierte er. Deutschland beschreite mit der Bildung und Verwaltung eines Fonds beim Umweltbundesamt einen "Sonderweg" und weiche vom bewährten "Prinzip der Produktverantwortung" ab, so der Experte. Statt auf privatwirtschaftliche und günstigere Lösungen zu setzen, würden wieder mehr Bürokratie und teure Doppelstrukturen geschaffen, so Engelmann.

Christian Johann, Anwalt unter anderem für Verfassungsrecht und öffentliches Wirtschaftsrecht, meldete Zweifel an, ob die Sonderabgabe überhaupt finanzverfassungsrechtlich zulässig sei. An Sonderabgaben stelle das Bundesverfassungsgericht strenge Anforderungen, die aber die geplante Kunststoffabgabe nicht einwandfrei erfülle, sagte der für die Rechtsanwälte Partnergesellschaft Redeker Sellner Dahls tätige Juist. Auch sei äußerst fraglich, ob die Auszahlung der über die Abgabe eingenommenen Gelder an die Länder und Kommunen mit dem sogenannten Konnexitätsgebot nach aus Artikel 104a des Grundgesetzes vereinbar ist. Eigentlich besage dieses, dass der Bund nicht Leistungen der Länder finanzieren dürfe - aber genau das passiere, wenn der Bund die Einnahmen per Sonderabgabe erhebe und an die Länder weitergebe, argumentierte Johann.

Thomas Pretz, Professor am Institut für Aufbereitung und Recycling der Technischen Hochschule Aachen, monierte zudem die Berechnung der Abgabesätze für Einwegkunststoffprodukte. Diese dürfe nicht allein auf freiwilligen Angaben der Kommunen zu ihren Leistungen beruhen. Es brauche repräsentative Erhebungen zu Gewicht, Volumen und Stückzahl der Abfälle. Zudem sehe das Kostenmodell unter anderem eine "methodisch nicht gesicherte Stückzahlermittlung" vor. Straßenreinigungsabfälle enthielten aber neben zählbaren auch nicht zählbare Bestandteile. Dem werde nicht genügend Rechnung getragen.

Anja Thielen vom Bundesverband Tabakwirtschaft und neuartige Erzeugnisse (BVTE), betonte, die Tabakwirtschaft stehe zu ihrer Produktverantwortung, doch deutsche Hersteller könnten nicht die Kosten für sogenannte Schmuggelzigaretten übernehmen. Zudem pochte die BVTE-Referentin auf gleiche Mitwirkungsrechte der Hersteller in der geplanten Einweg-Kunststofffonds-Kommission. Die Hersteller als Zahlungspflichtige dürften gegenüber anderen Interessenvertretern nicht in der Minderzahl sein, sagte Thielen.

Anders als die Wirtschaftsvertreter befürworteten die Vertreter von Naturschutz- und Umweltverbänden die Angliederung des Fonds beim UBA und die Schaffung der Einweg-Kunststofffonds-Kommission als zusätzliches Gremium. Sie mahnten aber eine stärkere Lenkungswirkung der geplanten Einweg-Plastik-Abgabe an. So befand David Pfender vom Naturschutzbund Deutschland (NABU), dass das Wirkungspotenzial des Gesetzentwurfes noch nicht ausgeschöpft sei. Der Ansatz zur Vermeidung von Einwegkunststoff fehle bislang komplett. Darüber hinaus forderte er, die Hersteller noch stärker als geplant zur Kasse zu bitten. Um der Vermüllung entgegenzuwirken, brauche es mehr Geld. Zudem plädierte Pfender für den Aufbau von Mehrwegstrukturen.

Janine Korduan vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND), wies noch einmal auf die Schwere des Problems der Kunststoffverschmutzung hin: Einer aktuellen Studie des Alfred Wegener Instituts zufolge stammten acht Prozent des Plastikmülls in der Arktis aus Deutschland. Um die Vermüllung zu bekämpfen, brauche es einen Mix aus verschiedenen Maßnahmen: Mehr Mehrweg, mehr Reinigung - aber vor allem eine echte Reduzierung der Plastikproduktion. Neben einer Plastikabgabe sprach sich die Expertin in ihrer Stellungnahme zudem für die Festlegung von Verpackungsreduktionszielen sowie eine allgemeine Einweg-Verpackungssteuer aus.

Die Anhörung im Video, die Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen auf bundestag.de:
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw50-pa-recht-mitgliederversammlungen-925646

eingetragen: 08.02.23
Newsletterlauf: 02.05.23


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