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Missbrauch von Patentverfahren


EU-Kommission verhängt Geldbuße von 462.6 Mio. EUR gegen Teva wegen Missbrauchs des Patentsystems und Diskreditierung zur Verzögerung des Wettbewerbs mit konkurrierenden Multiple-Sklerose-Arzneimittel
Tevas Diskreditierungskampagne richtete sich an wichtige Interessenträger wie Ärzte und nationale Stellen, die über die Preisfestsetzung und Erstattung von Arzneimitteln entscheiden - Sie diente dem Ziel, den Markteintritt des konkurrierenden Produkts in mehreren Mitgliedstaaten zu verzögern oder zu verhindern



(Alle Feststellungen in diesem Artikel geben die Einschätzung der EU-Kommission wider und nicht der Redaktion.)

Die Europäische Kommission hat Teva mit einer Geldbuße von 462.6 Mio. EUR belegt, weil sie ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht hat, um Copaxone, ihr Blockbuster-Arzneimittel zur Behandlung von Multipler Sklerose, länger vor Wettbewerb zu schützen. Die Untersuchung der Kommission ergab, dass Teva den Patentschutz für Copaxone künstlich verlängert und systematisch irreführende Informationen über ein Konkurrenzprodukt verbreitet hat, um dessen Markteintritt und Marktakzeptanz zu behindern.

Die Zuwiderhandlungen
Teva ist ein weltweit tätiges Pharmaunternehmen, das über mehrere Tochtergesellschaften im Europäischen Wirtschaftsraum tätig ist. Ihr Blockbuster Copaxone wird zur Behandlung von Multipler Sklerose angewendet. Das Arzneimittel enthält den pharmazeutischen Wirkstoff Glatirameracetat, für den Teva bis zum Jahr 2015 ein Grundpatent inne hatte. Die Untersuchung der Kommission ergab, dass Teva ihre beherrschende Stellung auf den Märkten für Glatirameracetat in Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Polen, Spanien und Tschechien missbraucht hat. Teva behinderte den Markteintritt und die Marktakzeptanz konkurrierender, billigerer Glatirameracetat-Arzneimittel, um den Wettbewerb zu verzögern und die Exklusivität von Copaxone künstlich zu verlängern. Im Rahmen ihrer Prüfung stellte die Kommission Folgendes fest:

>> Missbrauch von Patentverfahren: Nach Ablauf ihres Glatirameracetat-Patents verlängerte Teva den Patentschutz von Copaxone künstlich, indem es die Vorschriften und Verfahren für Teilpatente des Europäischen Patentamts ("EPA") missbräuchlich ausnutzte. Teilpatente gehen auf eine frühere Hauptpatentanmeldung zurück und haben einen ähnlichen Inhalt, können aber auf unterschiedliche Aspekte der Erfindung abstellen. Bei der Beurteilung ihrer Gültigkeit werden sie unabhängig voneinander behandelt. In diesem speziellen Fall meldete Teva gestaffelt mehrere Teilpatente an und schuf so ein Netz von Copaxone-Sekundärpatenten, dessen Schwerpunkt auf dem Herstellungsprozess und der Dosierung von Glatirameracetat lag. Wettbewerber griffen diese Patente an, um den Weg in den Markt freizumachen.

Während das EPA die Anmeldungen noch prüfte, begann Teva diese Patente gegenüber Wettbewerbern durchzusetzen, um einstweilige Verfügungen zu erwirken. Als ein Widerruf der Patente abzusehen war, zog Teva die Anmeldungen aus strategischen Gründen zurück, um ein förmliches Nichtigkeitsurteil zu vermeiden, das einen Präzedenzfall geschaffen hätte, durch den ein Dominoeffekt für andere Teilpatente drohte. Aufgrund dieser Vorgehensweise von Teva mussten Wettbewerber immer wieder neue langwierige Verfahren anstrengen, um gegen Teilpatentanträge von Teva Einspruch einzulegen. Teva konnte durch diese Taktik die Rechtsunsicherheit in Bezug auf ihre Patente künstlich verlängern und möglicherweise den Markteintritt von konkurrierenden Glatirameracetat-Arzneimitteln behindern. Alle Teilpatente von Teva sind inzwischen für nichtig erklärt worden.

>> Systematische Diskreditierungskampagne gegen ein konkurrierendes Glatirameracetat-Arzneimittel zur Behandlung von multipler Sklerose: Teva verbreitete irreführende Informationen über dessen Sicherheit, Wirksamkeit und therapeutische Äquivalenz mit Copaxone, obwohl die zuständigen Gesundheitsbehörden das konkurrierende Arzneimittel zugelassen und seine Sicherheit, Wirksamkeit und therapeutische Äquivalenz mit Copaxone bestätigt hatten. Tevas Diskreditierungskampagne richtete sich an wichtige Interessenträger wie Ärzte und nationale Stellen, die über die Preisfestsetzung und Erstattung von Arzneimitteln entscheiden. Sie diente dem Ziel, den Markteintritt des konkurrierenden Produkts in mehreren Mitgliedstaaten zu verzögern oder zu verhindern.

Bild: EU-Kommission
Bild: EU-Kommission


Im Beschluss wird festgestellt, dass die missbräuchlichen Verhaltensweisen von Teva sich gegenseitig ergänzten und zusammen einen einheitlichen und fortgesetzten Verstoß gegen Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) darstellten, der den Missbrauch einer beherrschenden Stellung verbietet. Dies ist das erste Mal, dass die Kommission wegen dieser beiden Arten von Verhaltensweisen eine Geldbuße verhängt.

Teva könnte mit diesem Verhalten, das sich je nach Mitgliedstaat über einen Zeitraum von vier bis neun Jahren erstreckte, eine Senkung der Listenpreise verhindert haben, was in den Haushalten für das öffentlichen Gesundheitswesen negativ zu Buche geschlagen hätte. Diese Vermutung wird dadurch bestätigt, dass die Listenpreise nach dem Markteintritt des Konkurrenzprodukts um bis zu 80 Prozent sanken, was zu erheblichen Einsparungen für die Gesundheitssysteme führte.

Geldbuße
Die Geldbuße wurde auf der Grundlage der Leitlinien der Kommission zur Festsetzung von Geldbußen aus dem Jahr 2006 (siehe Pressemitteilung und MEMO) festgesetzt.

Bei der Festsetzung der Geldbuße wurden der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlungen sowie dem mit den Zuwiderhandlungen in Verbindung stehenden Umsatz von Teva Rechnung getragen.

Die Kommission ist zu dem Schluss gelangt, dass der Gesamtbetrag der Geldbuße in Höhe von 462.6 Mio. EUR angemessen und erforderlich ist, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen.

Hintergrund
Nach unangekündigten Nachprüfungen bei mehreren Tochtergesellschaften von Teva im Oktober 2019 leitete die Kommission im März 2021 ein Verfahren gegen Teva Pharmaceutical Industries Limited und Teva Pharmaceuticals Europe BV ein. Im Oktober 2022 übermittelte die Kommission den Parteien eine Mitteilung der Beschwerdepunkte.

Dies ist der zweite Beschluss der Kommission zu einer Diskreditierungskampagne. Im Juli 2024 akzeptierte die Kommission Verpflichtungszusagen von Vifor, die ihre vorläufigen Bedenken hinsichtlich einer möglichen Diskreditierungskampagne des Pharmaunternehmens ausräumten.

Artikel 102 AEUV verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen und den Wettbewerb verhindern oder beschränken kann. Wie diese Bestimmung umzusetzen ist, ist in der Verordnung Nr. 1/2003 geregelt.

Geldbußen für Unternehmen, die gegen die EU-Kartellvorschriften verstoßen, werden in den Gesamthaushaltsplan der EU eingestellt. Diese Einnahmen sind nicht für bestimmte Ausgaben vorgesehen. Stattdessen werden die Beiträge der Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt für das Folgejahr entsprechend gekürzt. Somit tragen die Geldbußen zur Finanzierung der EU bei und entlasten die Steuerzahler.

Im heutigen Beschluss stützte sich die Kommission auch auf Unterlagen der Syndikusanwälte von Teva, die an der Gestaltung der missbräuchlichen Strategie zum Schutz von Copaxone beteiligt waren. Der unternehmensinterne Schriftwechsel mit einem Syndikusanwalt ist nach EU-Recht nicht durch das Anwaltsprivileg geschützt.


Schadensersatzklagen
Personen und Unternehmen, die von dem beschriebenen wettbewerbswidrigen Verhalten betroffen sind, können vor den Gerichten der Mitgliedstaaten auf Schadensersatz klagen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und der Verordnung 1/2003 des Rates sind abschließende Beschlüsse der Kommission in Verfahren vor nationalen Gerichten ein verbindlicher Nachweis dafür, dass das Verhalten stattgefunden hat und rechtswidrig war. Selbst wenn die Kommission gegen das betreffende Unternehmen eine Geldbuße verhängt hat, kann von nationalen Gerichten Schadensersatz zuerkannt werden, wobei die von der Kommission verhängte Geldbuße nicht mindernd angerechnet wird.

Durch die Richtlinie über Schadensersatzklagen wegen Kartellrechtsverstößen ist es für Opfer wettbewerbswidriger Verhaltensweisen einfacher geworden, Schadensersatz zu erhalten.


Instrument für Hinweisgeber
Die Kommission hat ein Instrument eingerichtet, über das Einzelpersonen die Kommission leichter über wettbewerbswidriges Verhalten informieren können, ohne ihre Identität preisgeben zu müssen. Die Anonymität der Hinweisgeber (Whistleblower) wird durch ein ausgefeiltes Kommunikationssystem mit Verschlüsselung gewahrt, über das Mitteilungen ausgetauscht werden können. Das Instrument kann über diesen Link aufgerufen werden. (EU-Kommission: ra)

eingetragen: 11.11.24
Newsletterlauf: 15.01.25


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