Anspruch an eine wirksame Antikorruptionspolitik
Transparency stellt Nationalen Integritätsbericht Deutschland vor: Trotz relativ guter gesetzlicher Rahmenbedingungen gibt es zahlreiche Regelungslücken
Edda Müller: "Die ausstehende Ratifizierung internationaler Antikorruptionsübereinkommen drängt Deutschland international in eine Randposition"
(26.01.12) - Die Antikorruptionsorganisation Transparency Deutschland hat den Nationalen Integritätsbericht Deutschland vorgestellt. Der Bericht untersucht den Stand der Korruptionsbekämpfung in der Bundesrepublik Deutschland. 13 Institutionen wurden danach bewertet, wie gut sie ausgestattet sind, ob sie Antikorruptionsmaßnahmen etabliert haben und inwieweit sie zur allgemeinen Korruptionsbekämpfung in Deutschland beitragen. Insgesamt wird Deutschland ein gutes bis sehr gutes Zeugnis zur Korruptionsprävention und -repression ausgestellt.
Durch den föderalen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland bestehen zahlreiche Kontrollmechanismen, die Machtmissbrauch entgegenwirken können. Gleichzeitig wird keiner der staatlichen oder nicht-staatlichen Akteure in seiner Unabhängigkeit in unzulässiger Weise eingeschränkt. Zudem sind fast alle Institutionen personell und finanziell gut ausgestattet.
Kritische Bewertungen der Situation in Deutschland spiegeln ein hohes Anspruchsniveau wider. Trotz relativ guter gesetzlicher Rahmenbedingungen gibt es zahlreiche Regelungslücken. Spielraum für Verbesserungen gibt es auch bei der praktischen Umsetzung. Der Bericht listet in komprimierter Form 84 Forderungen zur Stärkung der Korruptionsprävention und -repression auf.
Edda Müller, Vorsitzende von Transparency Deutschland: "Für ein solides Integritätssystem gibt es kein einfaches Rezept. Die Komplexität und der hohe Anspruch an eine wirksame Antikorruptionspolitik spiegeln sich in unserem Katalog von 84 Forderungen wider."
Internationale Konventionen unzureichend umgesetzt
In Deutschland stehen wichtige Reformen aus, die Voraussetzung zur Umsetzung der internationalen Konventionen und Übereinkommen sind. Deutschland sollte die Wirksamkeit internationaler Mechanismen durch eine zügige und wirkungsvolle Umsetzung unterstützen. Dazu zählt in erster Linie die Verschärfung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung. Sie ist Voraussetzung dafür, dass Deutschland endlich die UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC) ratifizieren kann.
Edda Müller sagte: "Die ausstehende Ratifizierung internationaler Antikorruptionsübereinkommen drängt Deutschland international in eine Randposition. Auch hierzulande ist Bürgerinnen und Bürgern nicht zu vermitteln, warum der Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung nicht internationalen Anforderungen angepasst werden kann."
Ebenso steht die vollständige Umsetzung aller Anforderungen des Zivilrechtsübereinkommens und des Strafrechtsübereinkommens des Europarats aus. Voraussetzung für die Ratifizierung des Zivilrechtsübereinkommens des Europarates ist die Stärkung des Hinweisgeberschutzes im privaten Sektor, der nach wie vor unzureichend geregelt ist.
Verbesserte Ausstattung und Unabhängigkeit von Strafverfolgung, Justiz und Medien notwendig
Der Überlastung der Strafverfolgungsbehörden und Justiz ist durch Aufstockung der personellen und finanziellen Kapazitäten Abhilfe zu leisten. Auch wären klarere Rechtsvorschriften und effizientere Rechtsverfahren hilfreich.
Insgesamt sind Unabhängigkeit und Kompetenz von Rechtsprechung und Strafverfolgung in Deutschland anerkannt. Jedoch ist die Weisungsunabhängigkeit der Staatsanwaltschaften von den Justizministerien sicherzustellen, damit der Verdacht einer politischen Einflussnahme erst gar nicht entstehen kann.
Auch die Entwicklung im Bereich der Medien ist besorgniserregend. Durch die teils angespannte wirtschaftliche Situation in Verlagen und Medienhäusern, insbesondere bei den Printmedien, kann eine "Schere im Kopf" entstehen, weil beispielsweise Redakteure den eigenen Arbeitsplatz nicht gefährden wollen. Potentielle Interessenkonflikte, bspw. bei Fernsehmoderatoren, sind durch geeignete Verhaltenskodices und Transparenzanforderungen zu regeln.
Maßnahmen zur Korruptionsprävention und -repression in der Praxis besser umsetzen
Defizite bei der Umsetzung bestehender Regelungen sind zu beobachten. Die zahlreichen Ausnahmetatbestände der Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und der Länder führen dazu, dass die Einsichtsrechte nur zögerlich genutzt werden.
Grundsätzlich zeichnet sich ein positiver, doch viel zu langsamer Trend zu verbesserter Transparenz staatlichen Handelns ab. So geben intransparente Verträge zwischen der öffentlichen Hand und Privaten und geheime Verhandlungen zwischen Staat und Wirtschaft häufig Anlass für Kritik.
Trotz positiver Entwicklungen haben sich Korruptionspräventionssysteme weder in der Wirtschaft noch der öffentlichen Verwaltung in wünschenswertem Maße etabliert. "Leuchttürme" müssen deutlicher herausgestellt werden, um Best Practices weiterzugeben. Auch die Zivilgesellschaft muss ihre Anstrengungen für mehr Transparenz, Integrität und Rechenschaft verstärken.
In der Praxis geben Parteispenden immer wieder Anlass für Kritik. Für Parteisponsoring gelten bislang keinerlei Veröffentlichungspflichten. Die Transparenz der Parteispenden ist zu verbessern und das Parteisponsoring ist den gleichen Regelungen zu unterwerfen.
Der Nationale Integritätsbericht Deutschland macht deutlich, dass Antikorruption und Integrität in Deutschland an Schulen und Hochschulen zu wenig thematisiert wird. Zudem gibt es keine öffentliche Kampagne zur Schädlichkeit von Korruption. Ziel muss es sein, das Bewusstsein von Bürgerinnen und Bürgern für die Gefahren von Korruption und die Möglichkeiten der Aufdeckung von Missständen zu stärken.
Stärkeres Engagement von Parteien, öffentlicher Verwaltung und Wirtschaft gefordert
Die Anstrengungen der politischen Parteien, der öffentlichen Verwaltung und der Wirtschaft zur Korruptionsbekämpfung müssen laut dem Nationalen Integritätsbericht Deutschland deutlich verstärkt werden. Führungspersonen dieser Bereiche sind aufgefordert, das Thema stärker auf die Agenda zu setzen und voranzutreiben.
Transparency Deutschland hat alle Parteien im Deutschen Bundestag gebeten, schriftlich zu den 84 Forderungen Stellung zu nehmen. Die Ergebnisse sollen in einer öffentlichen Veranstaltung vorgestellt werden. "Der Bericht zeigt, dass Parteien das Thema Antikorruption bisher nicht hinreichend in ihren Programmen thematisieren. Wir erwarten von den Parteien verstärkte Anstrengungen in der Antikorruptionspolitik", so Edda Müller.
Zum Hintergrund
Der Bericht ist Teil einer Initiative im Kampf gegen Korruption, die vom Programm Kriminalprävention und Kriminalbekämpfung der Generaldirektion Inneres der Europäischen Kommission finanziell unterstützt wird. Aktuell werden in 26 europäischen Ländern Nationale Integritätsberichte erstellt. Sie wenden dabei ein einheitliches Bewertungsschema an, das von Transparency International entwickelt wurde.
Das Konzept des Nationalen Integritätssystems (National Integrity System, kurz, NIS) stellt eine Breitenanalyse dar und konzentriert sich auf die Bundesebene. Insgesamt werden 13 Bereiche (im Bericht "Pfeiler") untersucht: Legislative, Exekutive, Judikative, öffentliche Verwaltung, Strafverfolgung, Wahlleitung, Ombudspersonen, Institutionen der Rechnungsprüfung, Antikorruptionsbehörden, Parteien, Medien, Zivilgesellschaft und Wirtschaft.
Die 13 Bereiche werden hinsichtlich gesetzlicher Regelungen und deren praktischen Umsetzung bewertet. Es werden konkrete Leitfragen zu Ressourcen, Unabhängigkeit, Transparenz, Rechenschaft und Integrität beantwortet. Zudem werden die Rolle jedes Bereichs hinsichtlich der Förderung von Integrität im Gesamtsystem sowie die Beziehungen der Bereiche zueinander beleuchtet.
Der Nationale Integritätsbericht Deutschland wurde im Auftrag von Transparency Deutschland von der GP Forschungsgruppe unter Leitung von Dieter Korczak erstellt. Ein zwölfköpfiger Beirat hat die Erstellung des Berichts begleitet. (Transparency: ra)
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