Sie sind hier: Home » Recht » Datenschutz und Compliance

Informationelles Selbstbestimmungsrecht


Recht auf Vergessenwerden künftig auch gegenüber Online-Archiven
Bundesverfassungsgericht erweitert Anwendungsbereich datenschutzrechtlicher Ansprüche



Das Bundesverfassungsgericht hat mit zwei Entscheidungen das Persönlichkeitsrecht in der digitalen Welt gestärkt. Es hat das Recht auf Vergessenwerden in einer Weise fortentwickelt, die die Grundrechte der Meinungs- und Informationsfreiheit wie auch das informationelle Selbstbestimmungsrecht optimiert. Die in beiden Fällen in dem Verfahren vom Gericht angeforderten Stellungnahmen des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit wurden bestätigt.

Bislang war das durch die Rechtsprechung des EuGH geschaffene und in die geltende Datenschutzgrundverordnung übernommene Recht auf Vergessenwerden überwiegend auf das Verhältnis von Suchmaschinenbetreibern und betroffenen Personen angewendet worden. Letztere können seit 2014 gegenüber Suchmaschinenbetreibern – in Deutschland im Wesentlichen die Suchmaschine von Google – verlangen, dass bestimmte Ergebnisse bei einer namensbezogenen Suche nicht mehr angezeigt werden, wenn dies zum Schutz ihres informationellen Selbstbestimmungsrechts und des Persönlichkeitsrechts erforderlich ist. Dieses Recht wird vom Bundesverfassungsgericht direkt gegenüber Online-Archiven von Presseunternehmen angewandt.

In der Entscheidung des BVerfG "Recht auf Vergessen I" geht es um eine Berichterstattung von einem 1981 begangenen Mord, aufgrund dessen der Täter zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und 2002 aus der Haft entlassen wurde. Das BVerfG erkennt nach der Abwägung zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechtsschutz eine Pflicht des Betreibers eines Online-Archivs bei namensbezogener Berichterstattung an, die zeitlichen Umstände - vorliegend über 30 Jahre - bei der Veröffentlichung zu berücksichtigen.

Ein absolutes Recht, das Presseverlagen auch bei einer ansonsten zulässigen Berichterstattung die zeitlich unbegrenzte namensbezogene Verbreitung über archivierte Beiträge via Internet erlaubt, existiert unter den aktuellen Bedingungen der Informationsgesellschaft nicht. Das Recht der informationellen Selbstbestimmung muss vielmehr die zeitliche Dauer der Berichterstattung einbeziehen und mit dem Persönlichkeitsrecht des von der Berichterstattung Betroffenen in Abwägung bringen.

Dabei ist insbesondere das Ergreifen technischer Maßnahmen, wie eine Zugriffsbeschränkung von Web-Crawlern auf bestimmte Dateien oder deren Umleitung auf Kopien der Inhalte mit unkenntlich gemachtem Personenbezug, künftig von Presseverlagen in Betracht zu ziehen. Diese Prüfungspflicht von Presseverlagen besteht allerdings nicht anlassunabhängig, sondern nur soweit die Betroffenen ihr Recht ausdrücklich geltend machen.

Die Entscheidung "Recht auf Vergessen II" sieht demgegenüber die fachgerichtliche Abweisung eines Auslistungsanspruchs aus den Suchergebnissen nicht als Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung an. Die Beschwerdeführerin hatte sich erfolglos an Google gewandt, um eine Verlinkung ihres Namens auf den Bericht eines Nachrichtenmagazins blockieren zu lassen. Ausdrücklich hebt das Bundesverfassungsgericht zwar hervor, dass die Auffindbarkeit der medialen Berichterstattung über das Verhalten eines Betroffenen als Arbeitgeber unter Nennung des Begriffs "fiese Tricks" sich nicht nur auf den Bereich der Sozialsphäre, sondern durch die dauerhafte Aufrufbarkeit auch auf die Privatsphäre auswirken kann. Im Ergebnis bestätigt die Entscheidung jedoch die fachgerichtliche Abwägung, einen Löschanspruch im konkreten Fall nicht anzuerkennen. Sowohl der zu geringe Zeitablauf als auch die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin ihre Zustimmung zu dem Interview gab, das Gegenstand des streitigen Beitrags war, sprachen insoweit gegen einen Anspruch auf Auslistung.

Dazu der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Johannes Caspar: "Es ist erfreulich, dass das Bundesverfassungsgericht in beiden Fällen unsere in die Verfahren eingebrachte Auffassung bestätigt hat. Die beiden Entscheidungen werden zukünftig die juristische Debatte und die Praxis im Recht auf Vergessenwerden beeinflussen. Besonders hervorzuheben ist, dass das Bundesverfassungsgericht die Drittwirkung des Grundrechts der informationellen Selbstbestimmung mit Blick auf privatrechtliche Rechtsansprüche Betroffener im Pressebereich stärkt. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Betroffene aufgrund des sog. Medienprivilegs von Presseverlagen hier nicht die Möglichkeit haben, sich an die Aufsichtsbehörden für den Datenschutz zu wenden." (HmbBfDI: ra)

eingetragen: 11.12.19
Newsletterlauf: 28.02.20


Meldungen: Datenschutz und Compliance

  • BvD fordert praxisnahe Reform der DSGVO

    Der Berufsverband der Datenschutzbeauftragten Deutschlands (BvD) e.V. fordert in einem aktuellen Positionspapier eine umfassende Reform der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Ziel ist eine moderne, risikobasierte Weiterentwicklung, die Bürokratie reduziert, Unternehmen mehr Rechtssicherheit bietet und zugleich den Schutz für Betroffene erhöht. Der Verband appelliert an die Bundesregierung, sich in Brüssel aktiv für praxisnahe Nachbesserungen starkzumachen - gerade im Interesse kleiner und mittlerer Unternehmen "Die DSGVO ist ein Meilenstein des Grundrechtsschutzes, aber sie braucht ein Update, das den digitalen Realitäten gerecht wird", sagt Thomas Spaeing, Vorstandsvorsitzender des BvD. "Datenschutzbeauftragte sind die Brückenbauer zwischen Regulierung und unternehmerischer Praxis. Wenn wir die Digitalisierung in Europa sicher und rechtskonform gestalten wollen, müssen wir ihre Rolle gezielt stärken - gerade im Mittelstand", führt er weiter aus.

  • Digitale Aufsicht im Praxistest

    Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) hat erstmals eine automatisierte Webseitenprüfung durchgeführt und dabei Verstöße bei der Einbindung von YouTube-Videos auf Webseiten des Bundes identifiziert.

  • BfDI verhängt Geldbußen gegen Vodafone

    Die BfDI, Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider, hat der Vodafone GmbH zwei Geldbußen in einer Gesamthöhe von 45 Millionen Euro auferlegt. Durch böswillig handelnde Mitarbeitende in Partneragenturen, die im Auftrag von Vodafone Verträge an Kunden vermitteln, war es unter anderem zu Betrugsfällen durch fingierte Verträge oder Vertragsänderungen zulasten von Kunden gekommen.

  • Auslegung der Digitalrechtsakte

    Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider, führte in Brüssel den wichtigen Dialog zur praxistauglichen und innovationsfreundlichen Auslegung der Digitalrechtsakte.

  • Pilotprojekt KI-Reallabor

    Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider, hat gemeinsam mit der Hessischen Ministerin für Digitalisierung und Innovation, Prof. Dr. Kristina Sinemus, und dem Präsidenten der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, ein Pilotprojekt zur Simulation eines KI-Reallabors gestartet.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen