Spekulative Wetten ohne jegliche Wertschöpfung


Zinsoptimierung: Sachverständige sehen hohe Risiken bei Zins-Swap-Geschäften von Gemeinden
Man spreche von "Zinsoptimierung", obwohl es sich in Wirklichkeit um Spekulationsobjekte handele

(11.04.11) - Banken und Bankenverbände können keine detaillierten Angaben zum Umfang von so genannten Zinssicherungs- oder Zinsoptimierungsgeschäften deutscher Städte und Gemeinden machen. In einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses erklärte ein Vertreter des Zentralen Kreditausschusses, des Zusammenschlusses der Deutschen Bankenverbände, Zahlen über diese "Zins-Swap-Geschäfte" lägen den Bankenverbänden nicht vor.

WestLB-Vorstands-mitglied Hubert Beckmann sprach von einer dreistelligen Zahl von Kunden seines Instituts im kommunalen Bereich. Beckmann und auch die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände zitierten eine Untersuchung des Bundes der Steuerzahler, wonach in Nordrhein-Westfalen 40 Prozent aller Kommunen Zinsderivate nutzen würden "und zwar ganz überwiegend mit positivem Effekt", wie die Spitzenvereinigung angab.

Mit "Zins-Swap-Geschäften" versuchen Unternehmen und Kommunen, die Belastung durch Schuldzinsen für aufgenommene Kredite zu reduzieren. Nach Angaben der Finanz- und Wirtschaftsberatung Frank Winkler kann eine Kommune etwa eine variable Zinszahlung auf Kredite gegen eine feste Zinszahlung tauschen. Das sei sinnvoll, wenn steigende Zinsen zu erwarten seien und man sich dagegen absichern wolle. Winkler berichtete in seiner Stellungnahme, den Kommunen seien von Banken weitergehende Instrumente wie "Spread-Ladder-Swaps" angeboten worden. Dieser Swap werfe Überschüsse ab, wenn die Differenz zwischen langfristigen und kurzfristigen Zinsen groß sei. Dabei handele es sich jedoch um Spekulationsinstrumente, die für Gemeinden und mittelständische Unternehmen völlig ungeeignet seien, "weil damit nicht kalkulierbare Risiken eingegangen werden".

Es handele sich um "spekulative Wetten ohne jegliche Wertschöpfung". Nach Angaben von Sven Petersen vom "Sachsen Asset Management" kann bei dieser Art Finanzgeschäfte ein jährlicher Zinssatz von 120 Prozent für die Kommunen entstehen.

Der Oberbürgermeister der Stadt Pforzheim, Gert Hager, berichtete in der Anhörung, seine Stadt habe versucht, die angesichts eines Schuldenstandes von 128 Millionen Euro erhebliche Zinsbelastung durch den Einsatz derivater Geschäfte wie Zins-Swaps zu optimieren. Nachdem die Deutsche Bank erhebliche Zinsausgleichszahlungen gefordert habe, habe die Stadt versucht, das Risiko zu reduzieren, indem man mit der Bank J.P. Morgan Chase, "Spiegelswaps" abgeschlossen habe, die die Entwicklung der Swaps der Deutschen Bank spiegelbildlich abbildeten.

In diesem Zusammenhang sei es aber zu weiteren Derivate-Geschäften mit J.P. Morgan Chase gekommen. Mittlerweile seien die Geschäfte mit beiden Banken beendet: "Der Stadt Pforzheim entstand hieraus ein Verlust von rund 56 Millionen Euro", stellte Hager fest.

Nach Angaben von Jürgen Fitschen, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, sind zwei Drittel aller Geschäfte auf Veranlassung der Kommunen zustande gekommen. Viele Kommunen hätten Gewinne durch diese Geschäfte gemacht. Er warnte vor der Annahme, dass Verluste der Gemeinden automatisch Gewinne der Banken seien. Alle Kommunen seien intensiv beraten worden. Man sei sich bewusst, dass Kommunen keine Spekulationsgeschäfte abschließen dürfen.

Jochen Weck von der Anwaltskanzlei Rösner aus München berichtete dagegen, dass nach seinen Erfahrungen die Banken mit derartigen Angeboten auf die Kommunen zukommen würden. Man spreche von "Zinsoptimierung", obwohl es sich in Wirklichkeit um Spekulationsobjekte handele. In der schriftlichen Stellungnahme von Weck heißt es, der Verkauf derartiger Produkte habe nur einen Nutzen für die Bank, die synthetische Risiken strukturiere und diese mit hohen realen und teilweise sogar unbegrenzten Verlustrisiken an ihre Kunden gebe: "Vereinfacht ausgedrückt 'wettet' der Kunde gegen seine Bank", so Weck.

Dagegen wies Fitscher mehrfach Vorwürfe, die Kunden nicht ausführlich genug über die Risiken informiert zu haben, zurück. Andererseits gehöre es auch zum Wirtschaften, das jemand Risiken übernehme.

Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände erklärte in ihrer Stellungnahme, ungesicherte "Spread-Ladder-Swaps" seien "eher als Einzelfälle in den kommunalen Haushalten zu finden". Ein generelles Verbot von Derivaten im kommunalen Zins- und Schuldenmanagement lehnte die Bundesvereinigung jedoch ab. Das würde "den sinnvollen Einsatz von Zinssicherungsderivaten unterbinden".

Professor Matthias Lehmann von der Universität Halle-Wittenberg wies darauf hin, dass in Grundgesetz und Landesverfassungen kein allgemeines Spekulationsverbot enthalten sei. Auch die Gemeindeordnungen würden nur eine Bindung an die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit vorsehen. Zudem sei der Begriff der Spekulation äußerst vage. Die meisten Instrumente des Kapitalmarktes könnten sowohl zur Spekulation als auch zur Absicherung eingesetzt werden. "Beides sind zwei Seiten derselben Medaille", so Lehmann in seiner Stellungnahme, der aber andererseits auch darauf hinwies, dass das Bundesfinanzministerium Finanztermingeschäfte verbieten oder beschränken könne, "soweit dies zum Schutz der Anleger erforderlich ist". (Deutscher Bundestag: ra)


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • Bitcom lobt und kritisiert Kryptopolitik

    Der Branchenverband Bitcom warnt davor, dass Deutschland seine gute Ausgangsposition im Bereich der Kryptowirtschaft nicht aufs Spiel setzen solle. In einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses zum Finanzmarktdigitalisierungsgesetz (20/10280) sagte Bitcom-Vertreter Benedikt Faupel: "Der Standort Deutschland hat gute Voraussetzungen, ich erinnere an die Blockchain-Strategie."

  • Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Inhalte

    Der Kulturausschuss hat sich in einem öffentlichen Fachgespräch mit den Chancen und Risiken des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz im Medienbereich auseinandergesetzt. Geladen hatte er Sachverständige von Gewerkschaften, Berufsverbänden, Unternehmen und aus der Wissenschaft.

  • Modernisierung des Postrechts

    In einer Anhörung beschäftigten sich neun Sachverständige mit dem Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung zur Modernisierung des Postrechts (20/10283). Dieses beinhalte eine "grundlegende Novellierung des Postrechts", schreibt die Bundesregierung zu dem Entwurf.

  • Einnahmen aus dem Energiekrisenbeitrag

    Die im Zuge des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine massiv gestiegenen Preise für Erdgas, Wärme und Strom haben zeitweise eine existenzbedrohende Belastung für die Bevölkerung und Unternehmen in Europa und nicht zuletzt in Deutschland dargestellt. Dabei sorgten das Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz (EWPBG) und das Strompreisbremsegesetz (StromPBG) für eine zeitlich befristete, schnelle Entlastung in der Breite der Bevölkerung und der Unternehmen in Deutschland, welche durch ihre konkrete Ausgestaltung die Anreize zum Energiesparen aufrechterhalten hat.

  • Soziale und ökologische Nachhaltigkeit

    Eine nachhaltige Künstliche Intelligenz (KI) braucht politische Rahmenbedingungen. Das machte Kilian Vieth-Ditlmann, stellvertretender Leiter des Policy- & Advocacy-Teams bei der AW AlgorithmWatch gGmbH während eines öffentlichen Fachgespräches im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung deutlich. Als ersten Schritt bewertete er die im EU-Parlament verabschiedete KI-Verordnung.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen