Sie sind hier: Home » Fachartikel » Hintergrund

Aufklärungspflichten in der Anlageberatung


Banken müssen Anleger über alle Provisionen aufklären. Aber erst ab dem 1.8.2014
Der BGH hat die Aufklärungspflicht der Banken in der Anlageberatung geklärt

(06.08.14) - Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Aufklärungspflichten der Banken bei der provisionsgetriebenen Anlageberatung zu Gunsten der Anleger geklärt. Einerseits! Doch das janusköpfige Urteil mit dem XI ZR 147/12 hat eine Kehrseite. Denn der BGH hat die Banken nur für die Zukunft zur umfassenden Aufklärung über Provisionen verpflichtet. Für vergangene Beratungssünden erhielten die Banker dagegen – zumindest teilweise – einen höchstrichterlichen Sündenerlass. Mit diesem janusköpfigen Urteil versucht der BGH einen gordischen Knoten zu lösen, den er zuvor selbst geknüpft hat.

Rechtsanwalt Marc Gericke kommentiert das BGH-Urteil mit dem Aktenzeichen XI ZR 147/12 vom 3. Juni 2014. Marc Gericke ist Anlegeranwalt in der Kanzlei Göddecke in Siegburg. Der Urteilskommentar beantwortet u.a. diese Fragen:

1. Was ist grundsätzlich faul an der provisionsgetriebenen Anlageberatung?
2. Über was genau müssen Banken ihre Kunden in Zukunft aufklären?
2. Was haben die Kunden von dem jüngsten BGH-Urteil?
3. Warum dürfen Banken mit ihren Beratungssünden trotzdem bis Ende Juli weitermachen?
4. Wie lässt sich das jüngste Urteil in die Historie der BGH-Urteile zu den Aufklärungspflichten der Banken einordnen?

Gute Seiten, schlechte Seiten
Der BGH hat die Aufklärungspflicht der Banken in der Anlageberatung geklärt.
Doch das Urteil ist ein Januskopf mit zwei Seiten: einer guten und einer schlechten!

Ein Kommentar von Rechtsanwalt Marc Gericke von der Kanzlei Göddecke zum BGH-Urteil XI ZR 147/12 vom 3. Juni 2014.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Aufklärungspflichten der Banken bei der provisionsgetriebenen Anlageberatung zu Gunsten der Anleger geklärt. Einerseits! Doch das Urteil mit dem XI ZR 147/12 hat eine Kehrseite. Denn der BGH hat die Banken nur für die Zukunft zur umfassenden Aufklärung über Provisionen verpflichtet. Für vergangene Beratungssünden erhielten die Banker dagegen – zumindest teilweise – einen höchstrichterlichen Sündenerlass. Mit diesem janusköpfigen Urteil versucht der BGH einen gordischen Knoten zu lösen, den er zuvor selbst geknüpft hat.

Es geht um hohe Profite und ein systematisches Foulspiel der Banken bei der Anlageberatung
Bei der Rechtsprechung rund um verschwiegene Provisionen in der Anlageberatung steht viel Geld auf dem Spiel. Im Grunde geht es um den Kardinalfehler in der provisionsgetriebenen Anlage- und Finanzberatung schlechthin. Anlageberater tun im Beratungsgespräch so, als würden sie ihre Kunden kostenlos beraten. Und in deren Interesse. Das müssen sie eigentlich auch. Rein rechtlich gesehen müssen sie ihre Kunden sowohl anlagegerecht als auch anlegergerecht beraten. Konkret heißt das: Eine konkrete Anlageempfehlung muss zu den Zielen und Interessen des Kunden passen, der gerade beraten wird. Wer gegen diese Aufklärungspflichten verstößt, macht sich grundsätzlich schadensersatzpflichtig.

In Wahrheit ist die provisionsgetriebene Anlage- oder Finanzberatung alles andere als kostenlos. Denn die Anlageberater profitieren von üppigen Provisionen, die sie von den Anbietern der Kapitalanlagen kassieren, etwa von dem Initiator eines geschlossenen Windkraft- oder Immobilienfonds. Das ist auch bei den Banken so. Also verfolgen auch sie mit konkreten Anlageempfehlungen immer auch ihr Eigeninteresse an der Provision: Sie beraten, um zu verdienen. Sie verdienen aber nur, wenn Kunden Verträge abschließen. Und sie verdienen umso mehr, je höher die Provisionen ausfallen. Aber nicht immer sind die Produkte mit den höchsten Provisionen das richtige Produkt für den Kunden.

Eigentlich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass seriöse Anlageberater ihre Kunden auch über ihr Eigeninteresse am Vertragsabschluss für das eine oder andere Finanzprodukt aufklären. Banken und auch viele freie Anlageberater sehen das anders. Sie halten es für völlig legitim, dass sie das besondere Vertrauensverhältnis ihrer Kunden in der Anlageberatung ausnutzen.

Richter reparieren systematischen Strickfehler der Anlageberatung
Eigentlich wäre das Foulspiel der Banken in der Anlageberatung ein Thema für den Gesetzgeber. Doch der hatte bisher nie den Mut, den Unsitten der provisionsgetriebenen Finanzberatung einen Riegel vorzuschieben. Irgendwann haben dann Gerichte begonnen, mit der systematischen Benachteiligung der Anleger aufzuräumen. Doch dabei hat sich der BGH offenbar in der eigenen Rechtsprechung verheddert. Wie das? Wer das verstehen will, muss sich die Historie der entscheidenden BGH-Urteile genauer anschauen:

1. Zuerst hatte der BGH entschieden, dass generell über so genannte Innenprovisionen ab einer Schwelle von mehr als 15 Prozent aufgeklärt werden muss, da diese die Werthaltigkeit einer Beteiligung beeinflussen (BGH Urteil vom 12.02.2004, Aktenzeichen III ZR 355/02).

2. Dann hat der BGH entschieden, dass Banken ihre Kunden bei der Beratung zu geschlossenen Fonds über so genannte Rückvergütungen aufklären müssen, die sie aus Ausgabeaufschlägen und jährlichen Verwaltungsgebühren erhalten. Um das klar heraus zu stellen: Hier ging es nicht um die Werthaltigkeit der Kapitalanlage, sondern um das provisionsgetriebene Eigeninteresse der Bank am Vertragsabschluss und darum, dass sie ihrem Kunden diesen Interessenskonflikt verschwiegen hatte (BGH Urteil vom 19.12.2006, Aktenzeichen XI ZR 56/05). Das Urteil war ein herber Rückschlag für die Banken.

3. Nachdem die Aufklärungspflicht der Banken grundsätzlich geklärt war, musste sich der BGH mit der Abgrenzung zwischen Rückvergütung und Innenprovision auseinandersetzen. Ergebnis ist der Beschluss XI ZR 191/10 vom 9. März 2011. Dort heißt es wörtlich:
"Innenprovisionen sind nicht ausgewiesene Vertriebsprovisionen, die bei einem Fonds aus dem Anlagevermögen gezahlt werden. Über sie muss bei einem Fonds unter bestimmten Umständen aufgeklärt werden, weil sie Einfluss auf die Werthaltigkeit der vom Anleger erworbenen Anlage haben und deswegen bei diesem insoweit eine Fehlvorstellung herbeiführen können."
Rückvergütungen definiert der BGH im selben Beschluss so: "Aufklärungspflichtige Rückvergütungen liegen dagegen ... nur dann vor, wenn Teile der Ausgabeaufschläge oder Verwaltungsgebühren, die der Kunde über die Bank an die Gesellschaft zahlt, hinter seinem Rücken an die beratende Bank umsatzabhängig zurückfließen, so dass diese ein für den Kunden nicht erkennbares besonderes Interesse hat, gerade diese Beteiligung zu empfehlen."

4. Am 3. Juni 2014 hat der BGH entschieden, dass Banken im Prinzip auch über ihr Eigeninteresse an einer Innenprovision aufklären müssen. Allerdings erst ab dem 1. August 2014. Für die Vergangenheit hat der BGH den Banken nachträglich einen Freibrief erteilt. Und diesen mit einem so genannten "unvermeidbaren Rechtsirrtum" begründet. Dazu später.

Innenprovision? Rückvergütung? Beides sorgt für Interessenskonflikte der Anlageberater
Warum die Aufklärungspflicht von Banken über Interessenskonflikte in der Anlageberatung ausgerechnet bei nicht offen ausgewiesenen Provisionen entfallen sollte, begreift kein Anleger. Ob Innenprovision oder Rückvergütung (Kickback): Beides wird mit dem Geld des Anlegers bezahlt. Beides kassiert der Anlageberater. Also beeinflusst ihn beides, seinen Kunden zum Vertragsabschluss zu bewegen. Und zwar unabhängig davon, ob der Berater nun selbständig oder eine Bank ist.

Banken tricksen BGH mit seiner eigenen Rechtsprechung aus
Banken haben die Rechtsprechung des BGH zum Thema "Provisionen und Interessenskonflikte in der Anlageberatung" trickreich ausgenutzt. Und sie werden das vermutlich wieder tun!
Der erste Trick bestand darin, dass Banken speziell für die Anlageberatung Tochtergesellschaften gegründet und mit diesem Kunstgriff aus angestellten Bankberatern freie Anlage- und Finanzberater gemacht haben. Damit ließ sich die Aufklärungspflicht über Provisionen aushebeln. Und zwar egal, aus welchem Topf sie kommen. Solange die Provisionen nicht über 15 Prozent lagen, waren die Banken auf der sicheren Seite. So konnten sie Jahre lang weitermachen wie gewohnt, sprich: die Vertrauensseligkeit ihrer Kunden weiter ausnutzen.

Beim zweiten Trick haben die Banken den BGH mit seinen eigenen Urteilen an der Nase herumgeführt. Die Argumentation lässt sich in etwa so erklären: Nachdem der BGH die Aufklärungspflicht über Rückvergütungen mit einem Interessenskonflikt des Beraters begründet hatte, hätte er eigentlich die gleiche Wertung auch bei den Innenprovisionen vornehmen müssen. Hat er aber nicht! Als Folge haben sich die Banken vor Gericht dumm gestellt und behauptet, dass die Rechtsprechung des BGH zu Rückvergütungen und Innenprovisionen inklusive der Differenzierung zwischen Aufklärungspflichten von Bankberatern einerseits und freien Beratern andererseits so verwirrend gewesen sei, dass sie, die Banker, ihre umfängliche Verpflichtung zur Aufklärung über Interessenskonflikte auch bei Innenprovisionen gar nicht hätten erkennen können. Etwas juristischer: Die Banken redeten sich damit heraus, sie hätten beim Verschweigen von Innenprovisionen aufgrund eines "unvermeidbaren Rechtsirrtums" gehandelt und damit ohne Verschulden.

Mit dieser Ausrede kamen die Banker beim BGH tatsächlich durch. Zumindest teilweise. Denn der BGH beschränkt seinen vergangenheitsorientierten Sündenerlass ausdrücklich nur auf die Innenprovisionen unter 15 Prozent, nicht aber auf Rückvergütungen oder Innenprovisionen über 15 Prozent.

Bei diesem Freibrief ebenfalls erstaunlich ist die Frist: Erst vom 1. August 2014 an müssen Banken Schadensersatz befürchten, wenn sie nicht über alle Arten von Provisionen aufklären. Anders ausgedrückt: Der BGH schenkt den Bankern eine dreiwöchige Galgenfrist, in denen sie weiter gegen eine Aufklärungspflicht verstoßen dürfen, die eigentlich eine selbstverständliche Folge ihrer Pflicht zur anlage- und anlegergerechten Aufklärung ist. Dabei wissen die Banken doch spätestens seit dem Tag der jüngsten Urteilsverkündung, was Sache ist und dass sie sich bei ihre Beratungssünden nicht mehr mit einem "unvermeidbaren Rechtsirrtum" herausreden können. Was also soll diese Galgenfrist zu Lasten der Kunden?

Es bleibt jedenfalls abzuwarten, wie die Banker die Übergangsfrist und die jüngste Rechtsprechung nutzen, um ihre Anlageberatung kreativ umzugestalten. Die Kunden sollten Ratschläge ihrer Banken auch in Zukunft kritisch hinterfragen: "Was hat die Bank davon?" (Kanzlei Göddecke Rechtsanwälte: ra)

Kanzlei Göddecke Rechtsanwälte: Steckbrief

Der Informationsanbieter hat seinen Kontakt leider noch nicht freigeschaltet.


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Hintergrund

  • Künstliche Intelligenz ist kein No-Brainer

    Gartner geht davon aus, dass Generative KI bis 2026 bei 80 Prozent der Unternehmen weltweit die Mitarbeitenden bei ihren Tätigkeiten unterstützt. Obwohl Künstliche Intelligenz zweifelsfrei als eine der wichtigsten Schlüsseltechnologien für die digitale Transformation gilt, hemmen rechtliche Unsicherheiten und mangelndes Fachwissen Unternehmen noch, im Arbeitsalltag stärker auf KI zu setzen.

  • Tokenisierung könnte erhöhte Liquidität bringen

    Schwache Konjunkturdaten, eine hartnäckige Inflation und die andauernde Energiekrise prägen aktuell das Bild der deutschen Wirtschaft. Die Banken reagieren zunehmend restriktiv bei der Vergabe von Finanzierungen und sehen bei vielen Unternehmen ein gestiegenes Kreditrisiko. Das verschlimmert die Lage weiter. Denn nach wie vor ist der Kredit ein Vehikel für Investitionen und somit zugleich Motor von Wachstum und Wohlstand.

  • Digital Twin der Lieferkette

    Fällt das Wort Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), schießt einem meist zeitgleich der Begriff Transparenz in den Kopf. Denn darum geht es doch, oder? Auch! Aber nur Transparenz über die eigene Lieferkette zu erhalten, bringt erstmal wenig. Der Trick ist, zeitgleich eine flexible, optimierte Lieferkette anzustreben - sowohl operativ als auch strategisch.

  • Wer ist von der CSRD betroffen?

    Für Unternehmen ist der eigene ökologische Fußabdruck mittlerweile eine entscheidende erfolgsrelevante Steuerungsgröße geworden. Welche Investitionen und wirtschaftlichen Tätigkeiten sind ökologisch nachhaltig und ermöglichen es, sich am Markt positiv zu differenzieren? Die Erstellung einer Nachhaltigkeitsberichtserstattung nimmt darüber hinaus auch seitens der Aufsichtsbehörden und Regulatoren einen immer größeren Raum ein. Das Jahr 2023 startete bereits mit einem wichtigen Meilenstein für das ESG-Reporting – der Berichterstattung für die Bereiche Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance). Am 5. Januar 2023 ist die EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Corporate-Sustainability-Reporting-Direktive (CSRD) in Kraft getreten. Diese führt zu einer umfangreichen und verbindlichen Nachhaltigkeitsberichterstattung.

  • Data Act könnte schon 2024 in Kraft treten

    Wir erleben es jeden Tag: Datenmengen steigen ins Unermessliche. Die Prognose der EU-Kommission erwartet allein in der EU zwischen 2020 und 2030 einen Anstieg des Datenflusses in Cloud- und Edge-Rechenzentren um 1500 Prozent - kein Tippfehler. Entsprechend riesig ist das wirtschaftliche Potential, denn Daten sind der zentrale Rohstoff etwa für das Internet of Things. Das wiederum wird von der EU im Jahr 2030 (1) auf eine wirtschaftliche Gesamtleistung auf bis zu elf Billionen Euro geschätzt. Somit ist der EU Data Act, der in einem ersten Entwurf im Frühjahr 2022 von der EU-Kommission vorgestellt wurde, in seiner Bedeutung für die Datenökonomie nicht zu unterschätzen. Es geht nämlich um die Rahmenbedingungen für den Austausch von Daten: Das heißt, alle Geschäftsmodelle, die auf vernetzten Produkten und Dienstleistungen beruhen, sind betroffen. Und die Zeit steht nicht still. Der Data Act könnte schon 2024 in Kraft treten.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen