Verantwortung der Datenverarbeitung
ULD: Sozialdatenschutz und das ärztliche Patientengeheimnis unterminiert
Gesetzentwurf deklariert nun die bisherige "Auftragsdatenverarbeitung" durch die privaten Stellen zur zulässigen eigenverantwortlichen Datenverarbeitung
(10.03.11) - Unter Gesundheitspolitikern kursiert seit einigen Wochen ein Gesetzentwurf, mit dem die bisher illegalen Praktiken bei der Abrechnung im Rahmen der hausarztzentrierten Versorgung (HzV) legalisiert werden sollen. Der Entwurf, der anscheinend aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) stammt, soll von den Regierungsfraktionen auf Bundesebene im Rahmen eines sozial- oder medizinrechtlichen Gesetzespaketes huckepack ohne breitere öffentliche Erörterung beschlossen werden.
In einer Stellungnahme wendet sich dasUnabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) gegen das vorgesehene Gesetzgebungsverfahren und gegen den Inhalt des Entwurfes, mit dem der Sozialdatenschutz und das ärztliche Patientengeheimnis unterminiert würden.
Am 12.01.2011 hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig-Holstein per Beschluss festgestellt, dass die im gesamten Bundesgebiet geplante und in einigen Bundesländern schon praktizierte Konstruktion der HzV-Abrechnung durch private Verbände und Dienstleister gegen eine Vielzahl von elementaren Datenschutzbestimmungen verstößt. Der vorliegende Gesetzentwurf deklariert nun die bisherige "Auftragsdatenverarbeitung" durch die privaten Stellen zur zulässigen eigenverantwortlichen Datenverarbeitung, ohne aber hinreichende Schutzvorkehrungen zu treffen:
Die bisher gegenüber den eingeschalteten Kassenärztlichen Vereinigungen erfolgende Rechtsaufsicht durch die Sozialministerien soll für die Hausarztverbände ersatzlos entfallen. Die Datenschutzaufsicht wird dem sog. nicht-öffentlichen Bereich zugeschlagen, wo die tatsächliche Kontrolldichte in vielen Bundesländern, etwa in Baden-Württemberg oder Bayern, wo es schon HzV-Verträge gibt, oder in Thüringen, erheblich geringer ist als im öffentlichen Bereich.
Die Übertragung der Verantwortung der Datenverarbeitung auf die Hausarztverbände hätte zur Folge, dass die rechtlich vorgesehene Möglichkeit von deren Kontrolle durch die Hausärzte wegfiele. Anderweitige Transparenzsicherungen sind nicht vorgesehen. Insgesamt unterschreitet das vorgesehene Verfahren das verfassungsrechtlich und z. B. vom Bundessozialgericht sowie von der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder geforderte Datenschutzniveau bei derart sensiblen Patienten- und Sozialdaten.
Der gravierendste Mangel des Entwurfes liegt jedoch darin, dass der Umfang dieser sensiblen Daten nicht mehr - wie bisher - gesetzlich begrenzt ist, sondern zwischen Hausarztverbänden und Krankenkassen frei ausgehandelt werden kann. Der Datenumfang würde unter dem Vorzeichen der Wirtschaftlichkeitskontrolle massiv ausgebaut.
Thilo Weichert, Leiter des ULD, sagte:
"Auf die vom ULD seit einem Monat vorgetragene Kritik an dem Entwurf hat es von den zuständigen Stellen bisher keine substanzielle Reaktion gegeben. Dies verstärkt bei uns die Befürchtung, dass dieser das Patientengeheimnis aushöhlende Entwurf unbemerkt durch die Gesetzgebung geschleust wird. Arztleistungsabrechnungen sind rechtlich und technisch eine wenig durchschaubare Materie, doch sie sind für Ärzte und Patienten von einer hohen grundrechtlichen Relevanz. Dies wird von den Regierungsfraktionen, dem BMG und den Hausärzte-Lobbyisten ignoriert. Die aus medizinischer Sicht tatsächlich nötigen Normierungen, z. B. zur Verbesserung des Datenaustauschs bei der 'integrierten Versorgung', lässt der Entwurf ungeregelt. Keine Antwort gibt es übrigens auf den von de Hausarztverbänden bisher immer als unabdingbar deklarierten Einsatz eines 'gekapselten Kerns' zum Abziehen der Daten aus den ärztlichen IT-Systemen. Das ULD hat allen Beteiligten schon vor Monaten Vorschläge gemacht, wie hausarztzentrierte Versorgung und die Abrechnung dazu ohne Gesetzesänderung rechtskonform und effektiv abgewickelt werden kann. Das bisherige Ignorieren unserer Vorschläge rächte sich dadurch, dass die Verfahren jetzt bundesweit gestoppt werden mussten und dass dadurch hohe unnötige Kosten entstanden sind. Das Verschleudern von Geldern der gesetzlichen Krankenversicherung durch Datenschutzverstöße sollte
endlich ein Ende finden."
Die ausführliche Stellungnahme des ULD zu dem Entwurf ist abrufbar unter
https://www.datenschutzzentrum.de/medizin/gkv/20110131-stellungnahme-295aSGB_V.html
Der Gesetzentwurf des Koalitionsfraktionen findet sich unter
https://www.datenschutzzentrum.de/medizin/gkv/Aenderungsantrag_295aSGB_V.pdf
Die Entschließung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder zu dem Thema ist abzurufen unter
http://www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/lfd/konf/2010/03_05.htm
Der zitierte Beschluss des OVG Schleswig-Holstein und eine ULD-Presseerklärung hierzu finden Sie unter
https://www.datenschutzzentrum.de/presse/20110114-ovg-beschluss-hzv.htm
(ULD: ra)
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