Bundesrat kontra Internet-Sperren
Rechtsstaatliche Bedenken gegen Internet-Sperren: Die Sperrung betreffe die Telekommunikationsfreiheit, die Informations- und Meinungsfreiheit sowie die allgemeine Handlungsfreiheit
Zensurcharakter der Norm: Allein im Ermessen des Bundeskriminalamtes (BKA), ob und wann eine Überprüfung der bereits gesperrten Seiten durchgeführt werde
(19.06.09) - Der Bundesrat hat erhebliche rechtstaatliche Bedenken gegen den "Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen (16/13125). In einer von der Bundesregierung als Unterrichtung (16/13385) vorgelegten Stellungnahme der Länderkammer heißt es, von den geplanten Sperrungen könnten auch legale Seiten betroffen sein. "Die Sperrung von Internetseiten betrifft die Telekommunikationsfreiheit, die Informations- und Meinungsfreiheit sowie die allgemeine Handlungsfreiheit", kritisiert der Bundesrat und fordert die Einbeziehung eines unabhängigen Gremiums, um zu verhindern, dass legale Seiten gesperrt werden.
Für die Sperrung von Seiten mit kinderpornographischen Inhalten soll das Bundeskriminalamt (BKA) zuständig werden. Der Bundesrat kritisiert in diesem Zusammenhang, dass der Gesetzentwurf weder eine anlassbezogene noch eine regelmäßige Überprüfung gesperrter Inhalte vorsehe. Es liege offenbar allein im Ermessen des Bundeskriminalamtes, ob und wann eine Überprüfung der bereits gesperrten Seiten durchgeführt werde.
"Um dem befürchteten Zensurcharakter der Norm vorzubeugen, sollte eine gesetzlich verpflichtende regelmäßige Überprüfung in den Entwurf aufgenommen werden", verlangt der Bundesrat. Außerdem wenden sich die Länder gegen eine undifferenzierte Speicherung von Daten. So könnten die Daten von Nutzern gespeichert werden, die unproblematische Inhalte abgerufen hätten, die zufällig auf demselben Server gespeichert gewesen seien wie kinderpornographische Inhalte. Außerdem soll in den Entwurf ein spezielles rechtsförmiges Verfahren aufgenommen werden, damit sich Diensteanbieter gegen die Sperrung ihrer Telemedienangebote wehren können.
Die Bundesregierung schreibt in ihrer Gegenäußerung, sie gehe von einer laufenden Aktualisierung der Sperrliste aus. Internetadressen, die keine Kinderpornographie mehr enthalten, würden unverzüglich von der Liste entfernt. Bei anderen Einwänden der Länder sichert die Regierung eine Prüfung zu. (Deutscher Bundesrat: ra)
Kompromisslösung zu Internetsperren bei Kinderpornographie: "Verzicht auf Datenübermittlung zur Strafverfolgung ist nicht nachvollziehbar"
Bayerns Justiz- und Verbraucherschutzministerin Dr. Beate Merk sagte zu dem behandelten Gesetzentwurf gegen Kinderpornographie im Internet:
"Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, um das widerwärtige Geschäft mit dem Missbrauch von Kindern durch Verbreitung kinderpornographischer Inhalte im Internet zu bekämpfen. Natürlich können die vorgeschlagenen Maßnahmen eine Strafverfolgung nicht ersetzen - aber flankierend Wirkung entfalten durch eine Erschwerung des Zugangs zu inkriminierten Bildern sowie deren Verbreitung und nicht zuletzt durch eine Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit. Dies zeigen auch die Erfahrungen in anderen Ländern, die vergleichbare Maßnahmen getroffen haben."
Merk sagte weiter: "Um das ekelhafte Geschäft mit der Vergewaltigung von Kindern wirksam zu bekämpfen, müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen! Der Staat hat die Pflicht, das Verbot von Kinderpornographie nicht nur strafrechtlich, sondern auch präventiv und medientechnisch durchzusetzen. Hierzu müssen die Internetprovider ihren Beitrag leisten."
Der Gesetzentwurf beruht auf einem Kompromiss der Koalition. Auf Drängen der SPD dürfen die Nutzerdaten, die bei den Sperrmaßnahmen erhoben werden, nun doch nicht an die Strafverfolgungsbehörden übermittelt werden.
Dazu Ministerin Merk: "Diese Einschränkung ist sehr unbefriedigend und nicht nachvollziehbar. Wichtige Ansatzpunkte für weitergehende Ermittlungen gehen so verloren. Die Sorge, dass unschuldige Internetnutzer einer ziellosen Strafverfolgung ausgesetzt werden, erscheint mir nicht begründet. Die Daten wären grundsätzlich nur auf richterlichen Beschluss hin bei entsprechendem Tatverdacht und nicht auf Initiative des Internetanbieters übermittelt worden. Die Strafverfolgungsbehörden ermitteln mit Augenmaß und können sehr wohl zwischen dem zufälligen Surfer und dem kriminellen Abnehmer unterscheiden."
(Bayerisches Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: ra)
Hintergrund: Koalition setzte Änderungen bei Internet-Sperrungen durch
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hatte am Mittwoch mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen Union und SPD umfangreiche Änderungen am Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Kinderpornographie im Internet beschlossen. Die FDP-Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion lehnten die Änderungen und den Entwurf insgesamt ab.
So soll aus dem ursprünglich als Änderung des Telemediengesetzes (16/12850, 16/13125) eingebrachtem Entwurf jetzt ein eigenständiges "Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen" werden. Das "Zugangserschwerungsgesetz" (ZugErschwG) sieht vor, dass Internet-Seiten mit kinderpornographischen Inhalten gesperrt werden können.
Die Sperrliste wird vom Bundeskriminalamt (BKA) geführt. Die Koalition änderte gegenüber dem Ursprungsentwurf, dass die Aufnahme in die Sperrliste nur erfolgen darf, wenn Maßnahmen zur Löschung der Inhalte nicht möglich oder nicht erfolgversprechend sind. Nutzer, die zu den gesperrten Seiten wollen, werden auf eine Seite mit einem "Stopp"-Schild umgeleitet. Verkehrs- und Nutzerdaten dürfen jedoch nicht zu Zwecken der Strafverfolgung genutzt werden. Neu ist auch der Ausschluss von zivilrechtlichen Ansprüchen gegen Internet-Diensteanbieter, die aufgrund der Sperrliste Seiten sperren. D
ie Sperrliste soll darüber hinaus von einem unabhängigen Expertengremium, das beim Bundesbeauftragten für Datenschutz eingerichtet werden wird, regelmäßig kontrolliert werden. Wenn das Gremium mehrheitlich gegen eine Sperrung votiert, muss diese Seite aus der Sperrliste genommen werden. Darüber hinaus wird das Gesetz befristet und soll am 31. Dezember 2012 wieder außer Kraft treten.
Nicht durchsetzen konnte sich die FDP-Fraktion mit ihrem Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Anhörung zum Zugangserschwerungsgesetz.
Die Fraktion hatte argumentiert, der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD beinhalte keine Änderung des Telemediengesetzes mehr, sondern die Schaffung eines Spezialgesetzes zur Zugangserschwerung zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen. Es gebe zahlreiche Fragen dazu.
Neben der FDP-Fraktion stimmten auch die Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen für den Antrag. CDU/CSU und SPD lehnten den Antrag mit dem Hinweis ab, es sei bereits eine Anhörung durchgeführt worden, und damit sei das Recht auf Durchführung einer Anhörung, das von einem Viertel der Ausschussmitglieder eigentlich durchgesetzt werden könne, verbraucht.
Die FDP-Fraktion bestand dagegen auf Durchführung einer Anhörung und kündigte an, die Mehrheitsentscheidung des Ausschusses prüfen lassen zu wollen. (Deutscher Bundestag: ra)
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