Ohne Angst vor Repressalien Missstände aufdecken


Lob mit vielen Einschränkungen zum Whistleblower-Schutz
Kritik: Schutz nur bei Hinweisen auf Verstöße gegen bestimmte Rechtsnormen, während zwar nicht strafwürdiges, aber unethisches Verhalten wie Vernachlässigungen in der Altenpflege nicht erfasst erfasst



Wie Hinweisgeber auf Rechts- und Regelverstöße in Unternehmen und Behörden, sogenannte Whistleblower, einfacher und ohne Angst vor Repressalien auf die Missstände aufmerksam machen können, darum ging es bei einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschusses. Zur Begutachtung stand ein Gesetzentwurf der Bundesregierung (20/3442), der dies gewährleisten und dabei auch eine EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern in deutsches Recht umsetzen soll. Der Ausschuss befasste sich darüber hinaus mit einem AfD-Antrag mit dem Titel "Hinweisgeberschutz auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung" (20/3317).

Sämtliche Sachverständige in der Anhörung begrüßten im Grundsatz das geplante Gesetz. Die drei Vertreterinnen und Vertreter von zivilgesellschaftlichen Organisationen (NGOs), die sich für Whistleblower einsetzen, sehen darin allerdings den beabsichtigten Schutz noch nicht hinreichend gewährleistet.

So bemängelte die Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerks, Annegret Falter, dass der Schutz nur bei Hinweisen auf Verstöße gegen bestimmte Rechtsnormen zur Geltung kommen solle, während zwar nicht strafwürdiges, aber unethisches Verhalten wie Vernachlässigungen in der Altenpflege nicht erfasst würden. Im Fall des Senders RBB wäre der bisher unbekannte Whistleblower, der den Skandal dort in Rollen brachte, nicht von dem neuen Gesetz geschützt, stellte Falter fest.

David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte kritisierte, dass der Whistleblower-Schutz im öffentlichen Dienst "weitgehend ausgehöhlt" zu werden drohe, da als Verschlusssache deklarierte Dokumente nicht verwertet werden könnten. "Ein Edward Snowden wäre nach diesem Gesetz nicht geschützt." Ebenso wenig geschützt wären nach Werdermanns Einschätzung Whistleblower, die auf Verstöße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), auch Antidiskriminierungsgesetz genannt, hinwiesen. Denn das AGG gehöre zu einer Reihe von Gesetzen, die nicht in der Auflistung des Gesetzentwurfs enthalten seien.

Louisa Schloussen von Transparency International forderte, dass nicht nur die Meldung bei den vom Gesetz vorgesehenen Stellen in Unternehmen und Bundesbehörden den Schutz auslösen sollten, sondern auch Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft. Sie kritisierte, dass Hinweisgeberschutz oft als bürokratische Belastung dargestellt werde. Whistleblower erbrächten vielmehr "einen enormen Beitrag zur Schadensverhinderung und Schadensminimierung für die Unternehmen und öffentliche Verwaltung".

Die Sachverständigen von BDA, BDI und DIHK forderten einhellig einen Vorrang unternehmensinterner Meldestellen vor externen etwa beim Bundesamt für Justiz. Denn es sei im ureigenen Interesse der Unternehmen, von Fehlverhalten in den eigenen Reihen zu erfahren, um es abstellen zu können.

Viele Unternehmen hätten deshalb schon jetzt freiwillig Meldestrukturen geschaffen, erklärte Kristina Harrer-Kouliev von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Auch könnten Unternehmen selbst am besten entscheiden, wie Missstände abzustellen sind. Externe Stellen dagegen müssten sich in jedem Fall erst mühsam in die Gegebenheiten im jeweiligen Unternehmen einarbeiten.

Hildegard Reppelmund vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) berichtete, dass gerade bei kleineren und mittleren Unternehmen "die Sorge vor dem Gesetz sehr groß" sei. Die geplante Pflicht für alle Unternehmen mit über 50 Mitarbeitern, Meldestellen für Hinweisgeber einzurichten, seien mit erheblichen Kosten verbunden. Befürchtet werde auch, dass Beschäftigte falsche Anschuldigungen erheben könnten, um so den Kündigungsschutz nach dem neuen Gesetz zu erlangen.

So wie die anderen Sachverständigen aus der Wirtschaft wandte sich auch Verena Westphal vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gegen eine Ausweitung des Anwendungsbereichs über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinaus. Zudem äußerte sie wegen verschiedener Formulierungen im Gesetzentwurf "erhebliche Bedenken im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz", also das Rechtsprinzip, wonach klar formuliert sein soll, in welchen Fällen eine Vorschrift gilt.

Simon Gerdemann, der an der Universität Göttingen ein Forschungsprojekt zum Whistleblower-Recht leitet, möchte im Gesetzentwurf den Begriff des "Fehlverhaltens" durch "erhebliche Missstände" ersetzt sehen, um auch nicht auf einzelne Personen beziehbare Sachverhalte zu erfassen. Zudem forderte er, die Rechtsposition von zu Unrecht durch Whistleblower beschuldigte Personen zu verbessern.

Rechtsanwalt Nico Herold aus Münster begrüßte, dass der Gesetzentwurf auf Minderung der "Melde-Angst" ziele. Diese bestehe sowohl in der Furcht vor Repressalien als auch in der Sorge, mit der Meldung nichts zu bewirken. Dieser guten Absicht sei aber nicht gedient, wenn aus dem Gesetzestext für potentielle Whistleblower nicht klar ersichtlich sei, ob sie im jeweiligen Fall auch tatsächlich geschützt sind. In dieser Hinsicht gebe es einige Mängel.

Der Bonner Rechtswissenschaftler Gregor Thüsing äußerte Bedenken wegen des vorgesehenen Rechts, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, wenn eine externe Meldestelle nicht innerhalb einer Frist den Fall bearbeitet hat. Er warnte vor Nachteilen für zu Unrecht beschuldigte Personen und Unternehmen, wenn Vorwürfe öffentlich werden, weil die Meldestelle nicht schnell genug gearbeitet hat. So wie mehrere weitere Sachverständige bezeichnete er die geplante Personalausstattung der Meldestelle im Bundesamt für Justiz als völlig unzureichend. Fehler seien damit programmiert, sagte Thüsing.

Nach Einschätzung von Jana Wömpner vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) schützt der Gesetzentwurf Rechte von Aktionären umfassender als Rechte von Beschäftigten und Betriebsräten. "Wer Missstände meldet, handelt im Interesse aller", stellte sie fest, und habe Anspruch auf umfassenden Schutz vor Repressalien.

Vor allem im Kündigungsschutz stellte Wömpner Bedarf an Nachbesserungen fest. So bräuchten Hinweisgeber, denen gekündigt worden sei, während des laufenden arbeitsrechtlichen Verfahrens einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Zudem sei für Mitarbeiter in betriebsinternen Meldestellen ein Sonderkündigungsschutz nötig, damit sie ihre Aufgabe unparteiisch erfüllen können. (Deutscher Bundestag: ra)

eingetragen: 13.11.22
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