Zugriff auf Kundendaten in der Telekommunikation
Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen "zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020"
Die gesetzlichen Regelungen müssen jedoch von Verfassungswegen verschiedene Grundsätze beachten
Beabsichtigte Neuregelungen zum Zugriff von Sicherheitsbehörden auf Kundendaten in der Telekommunikation, den sogenannten Bestandsdaten, haben in manchen Details nicht die Zustimmung aller Sachverständigen gefunden. Dies zeigte sich bei einer Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat. In der Sitzung unter der Leitung von Andrea Lindholz (CSU) ging es um den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen "zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020" (19/25294).
Nach Ansicht von Matthias Bäcker (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) behebt der Gesetzentwurf im Wesentlichen die Mängel des geltenden Telekommunikationsrechts und des Fachrechts der Sicherheitsbehörden, die das Bundesverfassungsgericht aufgezeigt habe. Gleichwohl stünden einige der vorgesehenen Regelungen mit höherrangigem Recht nicht in Einklang. So trage der Gesetzentwurf der spezifischen Sensibilität von Telemediendaten nur unzureichend Rechnung. Zum anderen verfehle die gesetzliche Erlaubnis zur Auflösung dynamischer IP-Adressen unter Verwendung bevorrateter Telekommunikations-Verkehrsdaten unionsrechtliche Anforderungen.
Der Rechtsanwalt Jonas Breyer bedauerte, dass der Gesetzentwurf die Mängel, die das Bundesverfassungsgericht genannt habe, leider nur teilweise beseitige. Er fürchte, dass es zu einer weiteren Entscheidung kommen werde. Er unterstrich, dass die Abfrage von Bestandsdaten von hoher Bedeutung sei, weil die Anonymität der Telekommunikation damit durchbrochen werde. Die Daten lägen im Umfeld besonders geschützter Informationen.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Ulrich Kelber, kritisierte insgesamt die Unzulänglichkeit der nachrichtendienstlichen Gesetzgebung, hinsichtlich derer er wiederholt eine umfassende Gesamtreform angemahnt habe. Das Bundesverfassungsgericht habe dem Gesetzgeber inzwischen zum Recht der Nachrichtendienste eine lange Aufgabenliste zugewiesen. Es wäre nach seiner Meinung geboten, diese endlich konsequent abzuarbeiten statt mit einzelnen Reparaturgesetzen zu agieren.
Markus Löffelmann (Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung) meinte, eine Rechtsanwendung, die zugleich praktikabel und grundrechtsschonend sein soll, erscheine auf der Grundlage der beabsichtigten Regelungen kaum möglich. Diese Regelungen seien in dem hohen Grad ihrer Ausdifferenziertheit intuitiv nicht mehr zu erfassen und nachzuvollziehen. Das betreffe nicht nur die anspruchsvolle Prüfung der formalen Voraussetzungen einer Abfrage durch die Fachbehörden, sondern auch die Prüfung der formalen Voraussetzungen eines Auskunftsersuchens durch die Verpflichteten.
Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, hielt fest, dass der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Rahmen für manuelle Bestandsdatenabfragen durch das BKA im Gesetzentwurf deutlich erkennbar und für die praktische Anwendung handlungs- und rechtssicher formuliert sei. Die bislang dem BKA zur Verfügung stehenden Möglichkeiten manueller Bestandsdatenauskünfte könnten daher im Kern auch mit der künftigen Neuregelung wahrgenommen werden. Im konkreten Fall stelle aber ein Ersuchen an den Betreiber auf Bestandsdatenauskunft nur dann einen Mehrwert für die polizeiliche Arbeit dar, wenn der Anbieter auch die Kundendaten gespeichert habe, um hieraus Auskunft erteilen zu können. Dies gelte insbesondere für dynamische IP-Adressen.
Nach Ansicht von Kyrill-Alexander Schwarz (Julius-Maximilians-Universität Würzburg) genügt der Gesetzentwurf in wesentlichen Zügen genau den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat. Er lenkte den Blick darauf, dass das Korsett, welches das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber angelegt habe, so engmaschig sei, dass in der Fachliteratur völlig zu Recht von einer Art juristischem "Overkill" in der Form des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gesprochen werde. Mit Blick auf weiter drohende Verfahren versuche der Gesetzgeber, die Vorgaben kleinteilig umzusetzen. Es sei nötig, sich grundsätzliche Gedanken über eine neue Architektur der Sicherheitsbefugnisse in Deutschland zu machen. (Deutscher Bundestag: ra)
eingetragen: 01.02.21
Newsletterlauf: 18.03.21
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