Warum Peter Löscher? - Darum Peter Löscher!
Für Außenstehende kaum nachvollziehbar: Was qualifiziert einen Pharma-Experten zur Führung des Siemens-Konzerns?
Nachlese: Mit Siemens-Chef Peter Löscher hat sich Gerhard Cromme einen Reorganisator geholt
Von Rainer Annuscheit
(23.05.07) - Zweifellos ist dem Siemens-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme ein Überraschungscoup gelungen: Mit dem am letzten Sonntag präsentierten Peter Löscher (49) steht der Siemens AG ab Juli 2007 eine völlig unbekannte Größe als neuer Vorstandsvorsitzender vor. Gezielte Indiskretionen aus dem Umfeld des Siemens-Aufsichtsrates haben ihn letztlich zu dieser Wahl getrieben: Mit Wolfgang Reitzle sagte der Spitzenkandidat ab, Governance-Probleme verhinderten zudem, dass Cromme als Übergangslösung für 12 Monate den Vorstandsvorsitz quasi in Eigenregie übernehmen konnte. Gerade diese Lösung hätte insofern gut gepasst, als dass Cromme dem Linde-Chef und Konsolidierungsexperten Reitzle zu einem späteren Zeitpunkt eine von allen Problemen gesäuberte Siemens AG hätte übergeben können.
Cromme wollte auf jeden Fall einen externen Kandidaten für den Vorstandsvorsitz, um von vornherein eine Verknüpfung des neuen Chefs mit alten Kartell- und Korruptionsgeschichten auszuschließen. Viele Alternativen blieben da nicht übrig: Bekannte Namen sagten mit guten Gründen ab, andere wollten sich wohl die Drecksarbeit, die bei Siemens in den kommenden Monaten zu leisten ist, nicht antun. Es blieb die Notlösung und offensichtlich zweite Wahl: Peter Löscher.
Cromme – der Heimlichtuer
Angeblich passt aber gerade Peter Löscher exakt in das Siemens-Anforderungsprofil für einen Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG, ein Anforderungsprofil, das jedoch nie im Detail der Öffentlichkeit vermittelt wurde. Lassen Sie mich ein wenig Exegese betreiben.
Laut Cromme sprechen für Peter Löscher Werte, die eher Allgemeingutcharakter besitzen:
>> seine "herausragende und aufrechte Persönlichkeit"
>> sein "globaler Hintergrund",
>> sein "hohes internationales Renommee",
>> seine "breite Erfahrung in der Strategie-Entwicklung, in Finanzmarktfragen und Technologiethemen"
Cromme findet für die Wahl Löschers keine geeigneten Argumente und reduziert seine Entscheidung mit den Worten, "dass die schwierige Aufgabe, Siemens aus der gegenwärtigen Situation in eine gute Zukunft zu führen, bei Peter Löscher in den besten Händen liegt".
Etwas böse gesagt: Mit diesem Anforderungsprofil hätte man auch den in Österreich wohnhaften Franz Beckenbauer als Vorstandsvorsitzenden nehmen können.
Interessanterweise vermisst man bei Cromme eine Feststellung wie: "Ich bin mir sicher, dass Peter Löscher den Weg, den Klaus Kleinfeld eingeschlagen hat, erfolgreich weiterführen wird." Entweder geht man bei Siemens davon aus, dass sich die Umsatzziele als Selbstläufer realisieren lassen oder man ist sich gewiss, dass Kartell, Korruption und nicht mehr so rabiate Geschäftspraktiken zukünftige Umsatzerwartungen verhageln könnten. Insofern ist es fair, einen Löscher nicht an einem Kleinfeld auszurichten.
Cromme scheint also von Löscher etwas zu erwarten, das er zu dem jetzigen Zeitpunkt der Öffentlichkeit nur ungern mitteilen möchte.
Was denkt Löscher?
Peter Löscher weiß bestimmt, dass er nicht Crommes erste Wahl gewesen ist. Dazu wurde der Name Reitzle zu oft durch den Wolf gedreht. Löschers Einführungs-Sermon – sollte er ihn denn selbst formuliert und nicht die Siemens-Presseabteilung ihm unglücklich in den Mund gelegt haben – klingt devot. Fast möchte man meinen, er stammt von einer Person, die mehr als froh ist, den Job bei Siemens übernehmen zu dürfen und sich dementsprechend vom Aufsichtsratsvorsitzenden fremdbestimmt wird führen lassen.
"Es ist für mich eine außerordentliche Ehre und große Herausforderung, Vorstandsvorsitzender von Siemens zu werden. Siemens kenne ich als herausragende Adresse in der Welt und als Unternehmen mit großer Geschichte und starken Fundamenten. Ich freue mich sehr darauf, bei Siemens Führung und Verantwortung zu übernehmen zum Wohl von Kunden, Mitarbeitern, Investoren und Eignern. Und zusammen mit meiner Frau und meinen Kindern komme ich gerne wieder zurück nach Europa und nach Deutschland."
Substanz hat diese Aussage wahrscheinlich nur insoweit, als dass Löscher ahnt,
>> dass die Herausforderung bei Siemens noch größer sein wird als man sie ihm eventuell vermittelt hat,
>> dass er Siemens und die Branche, in der das Unternehmen tätig ist, nicht besser kennt als jeder durchschnittliche Leser der Süddeutschen Zeitung (SZ), und
>> dass er die Heimatnähe nach vielen Jahren Auslandsaufenthalt als passendes Zuckerl empfindet.
Oder verheimlicht auch Löscher etwas? Nämlich dass man gerade seine "eine besondere" Erfahrung buchstäblich "höchst" schätzt?
Häufig war in den Medien der verdeckte Vorwurf zu hören, Löscher habe bisher nur als Mann in der zweiten Reihe agiert und besitze keine Erfahrung, einen Konzern von der Größenordnung einer Siemens zu führen. Das ist natürlich Blödsinn: Jeder war irgendwo einmal der zweite Mann, bis er dann der erste Mann wurde und dann irgendwie seine Aufgabe erledigt hat.
Viel schwerer fällt ins Gewicht, dass Löscher aus der Pillendreher-Ecke stammt, ohne jeglichen Bezug zur Technologie-Branche. Von Löscher werden aber Entscheidungen von höchster Tragweite erwartet, die absolutes Know-how der Technologie-Branche erfordern.
Nur eine Erfahrung zählt
Vielleicht ist es wirklich nur eine einzige Erfahrung, die Cromme so sehr an seinem neuen Mann schätzt:
Löscher war Ende der 90iger Jahre als Stratege und Planer maßgeblich daran beteiligt, das Chemie- und Pharma-Unternehmen Höchst in seine Bestandteile zu zerlegen. Viele Gewerkschafter haben ihn ungut als Abrissbirne in Erinnerung.
>> Wenn also Cromme wirklich vorhat, die Siemens AG in eine Holding-Struktur zu überführen, dann ist Peter Löscher in der Tat der richtige Mann.
>> Als Österreicher dürfte er zudem eine Charaktereigenschaft besitzen, die viele seiner Landsleute ihr Eigen nennen und die gerade dann gefragt ist, wenn es hoch hergeht: Löscher geht der Ruf voraus, entpolarisierend zu wirken.
>> Zudem könnte er über eine geübte Nonchalance verfügen, der IG Metall die positiven Seiten einer Zerschlagung des Siemens-Konzerns schmackhaft zu machen. Man wird ihm auf jeden Fall mehr Charme zusprechen können als einem spröden Bremer.
Wo ein Norddeutscher noch ungelenk mit einem Rosenstrauß auftaucht, hat der Österreicher schon längst seine Sacher-Torte abgestellt.
(Siemens: ra)
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