Unternehmen für härteres Vorgehen gegen Korruption


Viele Compliance-Verantwortliche beurteilen die Strafverfolgung bei Bestechungsdelikten in Europa als zu lasch und die Strafen in einigen prominenten Fällen der Vergangenheit als zu milde
55 Prozent der Entscheider sind für die Einführung einer europäischen Version der US-Strafbemessungs-Richtlinien - Große Unternehmen achten verstärkt auf die Einhaltung ethischer Werte bei ihren Zulieferern aus verschiedenen Ländern


(09.04.08) - Angesichts der zunehmenden Beachtung von Korruptions- und Betrugsfällen in der Öffentlichkeit hält ein Teil der europäischen Großunternehmen ein härteres Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden für angebracht. Ein Drittel (33 Prozent) der befragten Compliance-Beauftragten in den Unternehmen sehen eine zu lasche Strafverfolgung in Bestechungsfällen. Sie sind der Meinung, dass die Behörden nicht streng und nachhaltig genug gegen Bestechung vorgehen. In Großbritannien und den Benelux-Ländern beträgt dieser Anteil sogar 50 Prozent. Dies ergibt eine Umfrage von Integrity Interactive, dem weltweit führenden Beratungsunternehmen für das Management von Ethik- und Compliance-Risiken in Unternehmen, bei mehr als 800 der größten europäischen Firmen.

In einigen prominenten Fällen, wo Managern klares Fehlverhalten nachgewiesen werden konnte, haben europäische Gerichte nach Ansicht der Mehrheit der Befragten zu milde Strafen verhängt. "Bestechung und Korruption, Geschenke und Interessenskonflikte" und Verbesserungen in diesem Bereich sind bei den Compliance-Verantwortlichen in Großunternehmen das größte Anliegen im Bereich Firmenethik und Compliance. 48 Prozent der Befragten haben dies, zusammen mit der Implementierung einer ethischen Firmenkultur, an erster Stelle auf ihrer Agenda (bei der ersten Umfrage im Vorjahr waren es 34 Prozent). Dr. Markus Maier, der für Deutschland zuständige Compliance-Experte von Integrity Interactive, sagt: "Korruption und ähnliche Fälle von Fehlverhalten in der jüngsten Vergangenheit haben die Unternehmen bis in die Vorstände sensibilisiert. Wer in der Vergangenheit nach den Kosten für vorbeugende Maßnahmen wie die Implementierung von Verhaltenskodizes gefragt hat, stellt sich heute verstärkt die Frage, welche Kosten erst ein Imageschaden verursachen kann."

Stärkere Regulierung gefordert
Eine Mehrheit (55 Prozent) der Compliance-Verantwortlichen ist deshalb für die Einführung einer europäischen Version der US-Strafbemessungs-Richtlinien, nur 29 Prozent dagegen. Dabei sollten die finanziellen Strafen für Verstöße sehr hoch sein, wobei sie für Unternehmen deutlich reduziert werden sollen, wenn diese mit entsprechenden Ethik- und Compliance-Programmen zukünftige Verfehlungen verhindern wollen – so die Meinung der Mehrheit in der Umfrage.

Mehr als zwei Drittel (68 Prozent) der Unternehmen halten eine Verknüpfung von Bezahlung und Einhaltung ethischer Richtlinien für sinnvoll. Mitarbeiter sollen von der Einhaltung ethischer Unternehmensrichtlinien bei ihren Boni und Gratifikationen profitieren bzw. bei Fehlverhalten entsprechend sanktioniert werden. Aber erst 21 Prozent der Firmen haben eine solche Verknüpfung bisher eingeführt.

Ethik-Standards sind bei der großen Mehrheit üblich
85 Prozent der befragten Unternehmen haben bereits formelle Ethik-Richtlinien (einen so genannten Code of Conduct) vollständig oder nahezu vollständig entwickelt. Aber bei nur 57 Prozent der Unternehmen ist eine Schulung aller Mitarbeiter im jeweiligen Code of Conduct bisher verpflichtend. 83 Prozent der Compliance-Beauftragten wollen dies aber in Zukunft zur Pflicht machen.

Paul Basson, Präsident von Integrity Interactive Europe, sagt dazu:
"Es gibt keine Garantie dafür, dass ein stärkerer Fokus auf die Einrichtung ethischer Verhaltensrichtlinien – über die gesetzlichen Regeln hinaus – große Skandale wie den bei der Société Générale verhindert hätte. Aber das Risiko würde sicherlich deutlich gesenkt. Deshalb etabliert sich der Aufbau einer ethischen Kultur in den Unternehmen mehr und mehr. Bei der wirksamen Kommunikation von Ethikkodizes müssen allerdings noch weitere Fortschritte gemacht werden."

Roland van Weelden, Akzo Nobel Legal Affairs:
"Nur die Errichtung einer integeren Unternehmenskultur kann entscheidend zur Minimierung der Risiken beitragen, denen alle Unternehmen ausgesetzt sind. Konstante und regelmäßige Trainingsmaßnahmen sowie die Einrichtung der richtigen Kommunikationsmittel, z.B. Helplines, sind wichtige Bausteine auf einem erfolgreichen Weg dorthin."


Implementierung von Ethik- und Compliance-Programmen
Die meisten Unternehmen sind bei der Entwicklung von formalen Verhaltenskodizes/Ethik/Werten gut vorangekommen, wenngleich sich keine deutliche Änderung über das letzte Jahr abzeichnet.
Nur 3 Prozent gaben an, sie hätten noch nicht mit der Entwicklung eines formalen Kodex begonnen, während 61 Prozent angaben, den Prozess bereits vollständig abgeschlossen zu haben (der gleiche Wert wie letztes Jahr), und weitere 24 Prozent haben es beinahe geschafft. Der überwiegende Teil der übrigen Befragten gab an, auf gutem Weg zum Abschluss des Prozesses zu sein.
In den USA börsennotierte Unternehmen scheinen weiter fortgeschritten zu sein – den Angaben zufolge sind bei 71 Prozent die formalen Kodizes fertig. Hinsichtlich der Implementierung von Richtlinien und
Verhaltenspraktiken sind die Unternehmen jedoch noch nicht so weit fortgeschritten.

Wie im letzten Jahr gaben zwei Drittel der Befragten an (65 Prozent), die "wichtigsten Risikobereiche für Ethik und Compliance in ihrem Unternehmen" vollständig oder fast vollständig identifiziert zu haben. Fast genauso viele haben die gleiche Stufe hinsichtlich des "Formulierens der erforderlichen Verfahrensweisen zur Reaktion auf die benannten Risiken" (60 Prozent) erreicht. Wenige Fortschritte sind über das letzte Jahr im Hinblick auf das "Implementieren der erforderlichen Schulungsprogramme zur Umsetzung der Richtlinien" (42 Prozent), die "systematische Überwachung des Ethik-und Compliance-Programms des Unternehmens" (29 Prozent) oder das "Messen der Effektivität des Programms" (22 Prozent) zu verzeichnen.

Während die meisten Unternehmen mit der Entwicklung ihrer formalen Kodizes gut vorankommen, ist man mit dem Einsatz unterstützender Maßnahmen und Richtlinien im Rückstand.

Arthur Muratyan, Vice President, Head of Legal Corporate & Global Compliance, sanofi-aventis:
"Wir bei Sanofi haben bereits seit langer Zeit einen Ethik-Kodex und wir haben sichergestellt, dass unser Kodex an alle Mitarbeiter weltweit kommuniziert wird. Der Kodex hilft uns, unseren Unternehmenswert zu steigern und unsere Mitarbeiter in ihren täglichen Entscheidungen zu unterstützen. Trainings zu unserem Ethik- Kodex sind immens wichtig, um die Gefahr von ethischem Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter zu minimieren."

Arten der internen Kommunikation
Ethik- und Compliance-Programme sind für ihre Umsetzung stark an schriftliche Kodizes und das Verhalten von Führungskräften gebunden.
Die Liste der am meisten in europäischen Ethik- und Compliance-Programmen eingesetzten Kommunikationsarten wird von "Schriftlichen Kodizes" angeführt, gefolgt von "Anleitung durch Führungskräfte". Spiele werden selten verwendet. Unternehmen in Frankreich waren am wenigsten fortgeschritten in Bezug auf die berücksichtigten Kommunikationsmöglichkeiten, insbesondere die Mitarbeiterschulungen werden dort weniger genutzt als vom Durchschnitt.

Arthur Muratyan, Vice President, Head of Legal Corporate & Global Compliance, sanofi-aventis
"Um unseren Mitarbeitern zu helfen, unseren Ethik-Kodex zu verstehen, haben wir interne Kommunikations-Maßnahmen eingeführt, deren Schwerpunkt auf Trainings-Programmen liegt. Es ist sehr wichtig, dass unsere Mitarbeiter unseren Verhaltenskodex nicht nur kennen, sondern auch verstehen und befolgen."

Schulungspraxis
Bei der überwiegenden Mehrheit der Unternehmen (94 Prozent), die einen Verhaltenskodex haben, ist es zumindest für bestimmte Mitarbeiter obligatorisch, im Verhaltenskodex/Ethik/Werten geschult zu werden. In mehr als zwei Drittel der Unternehmen (70 Prozent) müssen alle Mitarbeiter geschult werden, während in ca. einem Viertel der Unternehmen (24 Prozent) Schulungen nur für bestimmte
Gruppen verpflichtend sind. Die Befragten waren klar dafür, dass Pflichtschulungen ausgebaut werden sollten.

Eine große Anzahl der Befragten (83 Prozent) meinten, diese sollten für alle unmittelbar beschäftigen Mitarbeiter gelten, und der Rest gab an, diese sollten für bestimmte Gruppen gelten. Nur weniger als die Hälfte (44 Prozent) der Unternehmen, die einen Kodex besitzen, gaben an, dass alle unmittelbar beschäftigen Mitarbeiter die Befolgung des(r) Verhaltenskodex/Ethik/Werte zertifizieren müssen, und fast genauso viele (40 Prozent) gaben an, dass dies wenigstens für bestimmte Mitarbeiter der Fall ist.

Auch hier waren die Befragten dafür, diesen Anteil zu steigern. Zwei Drittel der Unternehmen (63 Prozent) mit einem Verhaltenskodex/Ethik/Werte möchte alle Mitarbeiter die Einhaltung des Kodex zertifizieren lassen, und der größte Teil der übrigen (29 Prozent) ist der Meinung, dass dies für bestimmte Mitarbeitergruppen gelten sollte.

Derzeit machen relativ wenige Unternehmen die Bezahlung von Gehältern oder Boni von Ethik- und Compliance-Schulungen und/oder Zertifizierungen entweder für alle Mitarbeiter (3 Prozent von denen mit einem Kodex) oder für bestimmte Gruppen (21 Prozent) abhängig. Zwei Drittel würden dies jedoch gern sehen; knapp die Hälfte (43 Prozent) für bestimmte Gruppen oder Mitarbeiter, 27 Prozent für
alle Mitarbeiter.

Auch Zulieferer sollen Richtlinien einhalten
Nicht nur den Ethik-Standards im eigenen Unternehmen, sondern auch in der Lieferantenkette wird mehr Aufmerksamkeit zuteil. Internationale Unternehmen achten verstärkt auf die Einhaltung ethischer Werte bei ihren Zulieferern aus verschiedenen Ländern. "Die Unternehmen erkennen, wie schädigend sich das Fehlverhalten eines Zulieferers auswirken kann, insbesondere auf Gesellschaften mit bekannten Marken", sagt Paul Basson. Die weit überwiegende Mehrheit der Befragten erwarten von ihren Zulieferern die Einhaltung der unternehmensinternen Ethik-Richtlinien; bis zu 70 Prozent verpflichten ihre Zulieferer sogar vertraglich, den Code of Conduct des Unternehmens zu befolgen.

Frank A. Dassler, Leiter der globalen Rechtsabteilung der Adidas AG:
"Unternehmenskultur sollte sich in der gesamten Wertschöpfungskette einer globalen Marke widerspiegeln – intern und extern. Sie muss begreifbar und fühlbar sein. Ein engagiertes Compliance-Programm kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten."

Einführung von "Federal Sentencing Guidelines" nach US-Vorbild in Europa
Europäische Compliance-Beauftragte sehen nicht zuletzt am Beispiel der USA eine Möglichkeit zur Durchsetzung einer erfolgreichen Ethik- und Compliance-Praxis. Eine klare Mehrheit ist für die Einführung des Ansatzes der US-amerikanischen "Federal Sentencing Guidelines" in Europa: hohe Strafen, die jedoch für solche Unternehmen deutlich reduziert werden, die mit entsprechenden Programmen zukünftige Verfehlungen verhindern wollen. Das Verhältnis zwischen den Befürwortern (55 Prozent) und den Gegnern einer solchen Lösung (29 Prozent) steht bei fast zwei zu eins. Nicht alle Befürworter der Maßnahme glaubten jedoch notwendigerweise daran, dass sich dadurch das ethische Verhalten in europäischen Unternehmen verbessern würde. Etwa die Hälfte (49 Prozent) meinten, es würde zu einer Verbesserung des ethischen Verhaltens führen, aber etwas mehr als ein Drittel (37 Prozent) rechneten mit keiner Veränderung während 7 Prozent von einer Verschlechterung ausgingen. Die übrigen Befragten hatten dazu keine Meinung.
Befragte aus den Benelux-Ländern befürworteten die Maßnahme im Allgemeinen mehr als anderswo in Europa, wenngleich auch sie nicht stärker an eine Verbesserung des ethischen Verhaltens glaubten.

Anmerkungen
Der Fragebogen zur "2008 Europäische Umfrage zur Unternehmens-Integrität" wurde von BrandEnergy Research in enger Abstimmung mit Integrity Interactive erstellt. Im Dezember 2007 wurden die Meinungen von 872 Leitern von Rechtsabteilungen, leitenden Anwälten und leitenden Compliance-Beauftragten der größten europäischen Unternehmen erfragt. Insgesamt 103 Fragebögen gingen bis zum 9. Januar 2008 an BrandEnergy Research zurück und wurden in der Gesamtanalyse berücksichtigt. Antworten kamen zum weit überwiegenden Teil von Unternehmen aus den folgenden Ländern: Deutschland, Benelux, Schweiz, Österreich, Großbritannien und Frankreich.
(Integrity Interactive: ra)



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