Korruption: Weltweit Ermittlungen gegen Siemens


Zusammenfassung: Siemens-Rechtsstreitigkeiten im ersten Halbjahr des Geschäftsjahres 2008 - Ermittlungsverfahren haben Korruptionsvorwürfe gegen zahlreiche Siemens-Geschäftsbereiche zum Gegenstand
Gegen die Siemens AG werden korruptionsbezogene Ermittlungen in den USA sowie in anderen Jurisdiktionen durchgeführt


(02.05.04) - Wie bereits im Compliance-Magazin.de berichtet, ermitteln Staatsanwaltschaften und andere Ermittlungsbehörden in verschiedenen Jurisdiktionen der Welt gegen die Siemens AG und ihre Tochtergesellschaften sowie gegen mehrere teils ehemalige, teils aktive Mitarbeiter, unter anderem wegen des Vorwurfs der Bestechung von Amtsträgern einschließlich Untreue, Korruption, Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Diese Ermittlungsverfahren haben Korruptionsvorwürfe gegen zahlreiche Siemens-Geschäftsbereiche zum Gegenstand. Hier erfolgt ein Update zu unserem Bericht "Siemens-Rechtsstreits im Geschäftsjahr 2007".

Weitere Informationen zu diesen Ermittlungen und zu anderen Rechtsstreitigkeiten sowie zu den hiermit verbundenen möglichen Risiken und möglichen finanziellen Auswirkungen für die Gesellschaft enthält der Geschäftsbericht der Siemens AG für das Geschäftsjahr 2007 sowie die Form 20-F für das Geschäftsjahr 2007, insbesondere die Abschnitte "Item 3: Key Information – Risk Factors", "Item 4: Information on the Company – Legal Proceedings", "Item 5: Operating Financial Review and Prospects", und "Item 15: Controls and Procedures".

Unter anderem haben sich seit der Veröffentlichung des Geschäftsberichts sowie der Form 20-F hinsichtlich Untersuchungen und Rechtsstreitigkeiten folgende Entwicklungen ergeben:

>> Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft München I wurde über den früheren Geschäftsbereich Com hinaus erweitert. Bislang hat die Staatsanwaltschaft München I bekannt gegeben, dass zu den untersuchten Geschäftsbereichen gehören: Power Transmission and Distribution (PTD), wobei ein früheres Vorstandsmitglied als Beschuldigter geführt wird, Power Generation (PG), Medical Solutions (Med), Transportation Systems (TS) sowie Siemens IT Solutions and Services. Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft München I wird fortgesetzt.

>> Siemens hat Debevoise & Plimpton LLP (Debevoise), eine unabhängige externe Anwaltskanzlei, beauftragt, eine unabhängige und umfassende Untersuchung durchzuführen, um festzustellen, ob gegen Anti-Korruptionsvorschriften verstoßen wurde. Des Weiteren wurde Debevoise mit einer unabhängigen und umfassenden Bewertung des Compliance- und Kontrollsystems der Gesellschaft beauftragt. Debevoise geht Hinweisen, die aus dem Amnestieprogramm der Gesellschaft resultieren, sowie sonstigen Informationen weiter nach.

>> Im Rahmen der vorgenannten Untersuchung identifiziert Debevoise Beweise für Zahlungen an Business Consultants, vertriebsbezogene Dritte sowie Barzahlungen und berichtet diese an die Gesellschaft. Die Gesellschaft prüft, ob solche Zahlungen in die Analyse steuerlich nicht abzugsfähiger Zahlungen im Geschäftsjahr 2007 aufgenommen wurden.

>> Im November 2007 haben Nigerianische Behörden Büroräume von Siemens Ltd. Nigeria im Zusammenhang mit einer Untersuchung angeblich rechtswidriger Zahlungen an Nigerianische Amtsträger in den Jahren 2002 bis 2005 durchsucht.

>> Im Dezember 2007 durchsuchte die Norwegische Staatsanwaltschaft Büroräume von Siemens AS Norwegen sowie diverse Privatwohnungen im Zusammenhang mit Zahlungen von Siemens für Golfreisen in den Jahren 2003 und 2004, an denen Mitarbeiter des Norwegischen Verteidigungsministeriums teilnahmen. Vor diesem Hintergrund und aufgrund der bereits berichteten Untersuchung von Bestechungs- und Betrugsvorwürfen zum Nachteil des Verteidigungsministeriums bei der Vergabe eines Liefervertrags über Telekommunikationsausrüstung hat das Verteidigungsministerium angekündigt, einstweilen mit Siemens keine Geschäfte mehr vorzunehmen.

>> Die Staatsanwaltschaft Mailand untersucht den Vorwurf, zwei Mitarbeiter von Siemens S.p.A. Italien hätten illegale Zahlungen an Mitarbeiter des staatlichen Gas- und Energieversorgungsunternehmens ENI geleistet. Die Staatsanwaltschaft hat im November 2007 Anklage gegen die beiden Mitarbeiter, Siemens S.p.A. und eine ihrer Tochtergesellschaften sowie gegen weitere nicht zu Siemens gehörende Einzelpersonen und Unternehmen erhoben.

>> Russische Behörden untersuchen den Vorwurf der Unterschlagung von Haushaltsgeldern im Rahmen von Lieferverträgen über medizinische Ausrüstung an öffentliche Stellen der Stadt Ekaterinenburg in den Jahren 2003 bis 2005. Im Zusammenhang mit dieser Untersuchung wurde ein Mitarbeiter von Siemens Russland verhaftet.

>> Im Januar 2008 gab die Staatsanwaltschaft Wien eine Untersuchung von Zahlungen in Verbindung mit Siemens AG Österreich und deren Tochtergesellschaft VAI, bei denen keine angemessene Gegenleistung erkennbar war, bekannt.

>> Im Januar 2008 durchsuchte die Malaysische Anti-Korruptionsbehörde Büroräume von Siemens Malaysia und vernahm Mitarbeiter von Siemens Malaysia im Zusammenhang mit der Untersuchung eines PTD-Projektes.

>> Wie berichtet, wurde Siemens von Repräsentanten regionaler Entwicklungsbanken einschließlich der Inter-American Development Bank, der Asian Development Bank, der African Development Bank, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie der Europäischen Investmentbank hinsichtlich Anti-Korruptionsanfragen sowie anderer für diese Institutionen wichtiger Themen kontaktiert.

>> Wie berichtet, wurde im Zusammenhang mit der Untersuchung einer Vereinbarung, die zwischen Siemens und einem Unternehmen, das von dem früheren Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB) kontrolliert wird, abgeschlossen wurde, im April 2007 ein früheres Mitglied des Vorstands verhaftet und nach Stellung einer Kaution in Höhe von 5 Mio. EUR auf freien Fuß gesetzt. In diesem Zusammenhang gab eine Bank eine Bankbürgschaftserklärung in Höhe von 5 Mio. EUR ab, wovon im Einklang mit deutschem Recht 4,5 Mio. EUR von der Gesellschaft gesichert wurden. Der Haftbefehl gegen das frühere Mitglied des Vorstandes wurde nunmehr aufgehoben, und die Bankbürgschaft sowie die darauf bezogene Garantie der Gesellschaft sind weggefallen.

>> Im Januar 2008 verhängte die Slowakische Wettbewerbsbehörde eine Geldbuße von 3,3 Mio. EUR gegen Siemens und VA Tech im Zusammenhang mit möglichen Kartellverstößen im Bereich gasisolierter Hochspannungs-Schaltanlagen. Wir haben gegen diese Entscheidung Rechtsmittel eingelegt.

>> Im Dezember 2007 wurde in Israel ein Antrag auf Zulassung einer Class Action auf der Grundlage der Bußgeldbescheide der EU-Kommission für angebliche Kartellverstöße im Bereich gasisolierter Hochspannungsschaltanlagen gestellt. Die Klage richtet sich gegen 13 Unternehmen, darunter Siemens AG Deutschland, Siemens AG Österreich und Siemens Ltd. Israel. Die Class Action verlangt Schadenersatz für Strombezieher in Israel in Höhe von ungefähr 575 Mio. EUR, weil durch die angeblichen Absprachen zu hohe Strompreise gezahlt worden sein sollen. Das Gericht hat über die Zulässigkeit der Klage noch nicht entschieden.

>> Wie berichtet, hat im Dezember 2006 die Japanische Wettbewerbsbehörde (Fair Trade Commission) die Büroräume von mehr als zehn Herstellern und Zwischenhändlern von Medizingeräteprodukten, darunter Siemens Asahi Medical Technologies Ltd., im Zusammenhang mit einer Untersuchung über mögliche Kartellrechtsverletzungen durchsucht. Im Februar 2008 gab die Behörde ihre Untersuchungsergebnisse bekannt. Der Vorwurf der Teilnahme an Kartellverstößen wurde hinsichtlich Siemens fallen gelassen, und Siemens erhielt daher weder ein Bußgeld noch andere Sanktionen.

>> Das Unternehmen hat mit einem am 6. Juni 2005 abgeschlossenen Vertrag sein Mobile Devices-Geschäft an das taiwanesische Unternehmen Qisda Corp. (vormals BenQ Corp.) veräußert. In der Folge kam es 2006 zu Streitigkeiten zwischen dem Unternehmen und Qisda bezüglich der Kaufpreisberechnung. Ab September 2006 stellten einzelne Qisda-Gesellschaften, die von der Qisda Corp. für den Erwerb des Mobiltelefongeschäfts in verschiedenen Ländern verwendet wurden, Insolvenzantrag und kamen ihren Verpflichtungen aus verschiedenen im Rahmen des vorgenannten Verkaufs auf sie übertragenen Verträgen nicht nach. Am 8. Dezember 2006 reichte das Unternehmen eine Schiedsklage gegen Qisda ein und beantragte festzustellen, dass bestimmte von Qisda im Hinblick auf die Kaufpreisberechnung unterstellte Annahmen nicht richtig sind.
Weiterhin stellte das Unternehmen einen Antrag auf Erfüllung der entsprechend des Kaufvertrages von Qisda und/oder deren Tochtergesellschaften übernommen Verpflichtungen oder alternativ auf Ersatz der dem Unternehmen entstandenen Schäden. Die Schiedsklage des Unternehmens wurde bei der ICC (International Chamber of Commerce) in Paris eingereicht. Schiedsgerichtsort ist Zürich, Schweiz. Im März 2007 reichte Qisda Widerklage ein und behauptete, dass das Unternehmen falsche Angaben im Zusammenhang mit dem Verkauf des Mobile Devices-Geschäft gemacht habe.
Weiterhin machte Qisda Kaufpreisanpassungsansprüche geltend. Im März 2008 änderte Qisda die Widerklage wie folgt: (i) Änderung des Feststellungsantrags von der Behauptung die Gesellschaft habe falsche Angaben gemacht in einen Antrag auf Zahlung eines beträchtlichen Schadenersatzes sowie (ii) Erhebung weiterer beträchtlicher Schadenersatzansprüche und Feststellungsanträge. Das Unternehmen wird die Abweisung der Widerklage durch das Schiedsgericht beantragen.

>> Gegen Siemens werden weiterhin korruptionsbezogene Ermittlungen in den USA sowie in anderen Jurisdiktionen durchgeführt. Dies kann dazu führen, dass Siemens oder einzelne Mitarbeiter wegen Gesetzesverstößen straf- oder zivilrechtlich belangt werden, so etwa wegen Verstoßes gegen den Foreign Corrupt Practices Act (FCPA). Ferner kann sich der Umfang der anhängigen Untersuchungen ausweiten und neue Untersuchungen in Zusammenhang mit Vorwürfen hinsichtlich Bestechung oder anderen rechtswidrigen Handlungen können aufgenommen werden. Negative Folgen können sich daraus auch für die operative Geschäftstätigkeit, die Finanz- und Ertragslage und die Reputation des Unternehmens ergeben, insbesondere in Form von Strafzahlungen, Geldbußen, Schadensersatz, Vorteilsabschöpfungen, formalen oder informalen Ausschlüssen bei der öffentlichen Auftragsvergabe oder dem Entzug oder Verlust der Gewerbe- oder Betriebserlaubnis.

Zum jetzigen Zeitpunkt hat das Management zusätzlich zu den vormals berichteten Beträgen, insbesondere der Geldbuße, die vom Landgericht München verhängt wurde, keine wesentlichen Aufwendungen oder Rückstellungen für derartige Sanktionen bilanziert, da es bislang nicht über hinreichende Informationen verfügt, um eine verlässliche Schätzung der möglichen Höhe der Inanspruchnahme vornehmen zu können. Siemens erwartet, künftig in Zusammenhang mit den Untersuchungen Aufwendungen oder Rückstellungen für Strafzahlungen, Geldbussen oder andere Zahlungen bilanzieren zu müssen, die wesentlich sein können. Am 24. Januar 2008 gab Siemens auf der Hauptversammlung bekannt, dass sich die Securities and Exchange Commission und das Department of Justice bereit erklärt haben, Gespräche aufzunehmen über einen möglichen Vergleich hinsichtlich der Untersuchungen möglicher Verletzungen von U.S.-Recht im Zusammenhang mit den Korruptionsvorwürfen.

Siemens erwartet, dass sich diese Gespräche über viele Monate hinziehen werden. Ferner werden Siemens auch weiterhin Kosten aus fortlaufenden Untersuchungen und damit in Zusammenhang stehenden Rechtsverfahren sowie für die andauernden Maßnahmen zur Beseitigung von Schwächen des internen Kontrollsystems entstehen. Auch können Änderungen im Geschäftsablauf und bei den internen Compliance-Programmen, welche über die bereits vorgenommenen Änderungen hinausgehen, notwendig werden.

Das zweite Quartal des Geschäftsjahrs 2008 beinhaltet Aufwendungen von 175 Mio. Euro für externe Berater im Zusammenhang mit den Untersuchungen mutmaßlicher Verstöße gegen Anti-Korruptionsgesetze und ähnlicher Angelegenheiten sowie für Maßnahmen zur Beseitigung von Schwächen des internen Kontrollsystems. In den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahrs 2008 sind hierfür insgesamt Aufwendungen in Höhe von 302 Mio. Euro angefallen.
(Siemens: ra)



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