Ermittler sind für Vorratsdatenspeicherung


Bundesregierung will, dass künftig wieder Telekommunikationsverkehrsdaten sämtlicher Bürger verdachtsunabhängig gespeichert werden
Strittig unter den Experten war, ob die Regelung verfassungsrechts- und europarechtskonform ist

(01.10.15) - Die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ist aus Sicht von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten zu begrüßen. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses deutlich. Die gegenteilige Ansicht vertraten Heide Sandkuhl vom Deutschen Anwaltsverein und der Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik, die sich gegen das in gleichlautenden Gesetzentwürfen der Bundesregierung (18/5171) sowie der Fraktionen von CDU/CSU und SPD (18/5088) geplante Vorhaben aussprachen, künftig wieder Telekommunikationsverkehrsdaten sämtlicher Bürger verdachtsunabhängig zu speichern. Laut den Entwürfen sollen Telekommunikationsunternehmen, Internetprovider und andere Zugangsanbieter verpflichtet werden, sogenannte Verkehrsdaten zehn Wochen lang zu speichern. Standortdaten, die bei der Nutzung von Mobildiensten anfallen, sollen vier Wochen lang gespeichert werden. 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht die damals geltende Regelung der Vorratsdatenspeicherung für grundrechtswidrig erklärt.

Die Möglichkeit der Verkehrsdatenabfrage sei ein "aus der ermittlungstaktischen Arbeit der Strafverfolgungsbehörden nicht wegzudenkendes Ermittlungsinstrument", sagte Nikolaus Berger, Richter am Bundesgerichtshof (BGH). Lediglich auf die geschäftsmäßige Speicherung der Verkehrsdaten durch die betreffenden Telekommunikationsunternehmen zu vertrauen, biete keine ausreichende Grundlage für eine rechtsstaatliche Aufklärung schwerer Straftaten, da Ergebnisse von Strafverfahren nicht zufallsbedingt von der Speicherpraxis der verschiedenen Unternehmen abhängen dürften. Skeptisch zeigte sich Berger bezüglich der in den Gesetzentwürfen enthaltenen Speicherfristen, die sich als zu kurz erweisen dürften.

Dem stimmte Christoph Frank, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, zu. Die kurzen Speicherfristen seien "weder verfassungsrechtlich geboten noch ermittlungstechnisch ausreichend", sagte er und sprach sich für eine Sechs-Monats-Frist aus. Die Speicherfristen dürften nicht politisch motiviert festgelegt werden sondern müssten sich nach den Bedürfnissen der Praxis richten, forderte Frank. Gleichzeitig nannte er es "nicht nachvollziehbar", dass der E-Mail-Verkehr sowie die Daten über aufgerufene Internetseiten bei der Speicherung ausgeklammert werden sollen.

Im Bereich der Internetkriminalität sei die Datenspeicherung unverzichtbar, betonte Oberstaatsanwalt Rainer Franosch als Vertreter des Hessischen Justizministeriums. Die Gesetzentwürfe trügen dem zwar grundsätzlich Rechnung, sagt er. Die kurzen Speicherfristen und der zu sehr eingeschränkte Straftatenkatalog seien jedoch praxisuntauglich. Die Polizei unterstütze die Forderung nach Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, sagte Frank Thiede vom Bundeskriminalamt (BKA). Es gehe dabei nicht darum, "die Daten fünf Jahre zu speichern", machte er deutlich und sprach sich für eine Speicherfrist von sechs Monaten aus. Die Gesetzentwürfe, so der BKA-Vertreter, stellten einen Fortschritt dar "gegenüber dem Stillstand nach 2010, den wir ertragen mussten".

Eine klare Ablehnung der Pläne von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen gab es durch Heide Sandkuhl vom Deutschen Anwaltsverein. Die Entwürfe seien weit davon entfernt, die mit der Vorratsdatenspeicherung verbundene Überwachung von 80 Millionen Bürgern rechtfertigen zu können, sagte Sandkuhl. Es gebe keine valide Untersuchung, wonach dieser schwerwiegende Rechtseingriff erforderlich sei. Zudem würden vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gemachte Vorgaben - etwa zum Schutz von Berufsgeheimnisträgern - nicht ausreichend beachtet, kritisiert die Anwaltsvertreterin.

Strittig unter den Experten war auch, ob die Regelung verfassungsrechts- und europarechtskonform ist. Aus Sicht von Meinhard Starostik verstößt die geplante Regelung sowohl gegen die EU-Grundrechte als auch gegen die Deutsche Verfassung. Schon in seinem Urteil von 2010 habe das Bundesverfassungsgericht die mit der Speicherung von Verkehrsdaten verbundene Gefahr der Persönlichkeitsprofilerstellung gesehen. Seitdem, so Starostik, habe es eine Zunahme der Datenabfassung gegeben. Mit Blick auf die europäische Ebene verwies der Anwalt auf die Vorgaben des EuGH, der eine EU-Richtlinie unter anderem deshalb gestoppt hatte, weil Berufsgeheimnisträger nicht von ihrem Anwendungsbereich ausgeschlossen waren.

Professor Ferdinand Wollenschläger von der Universität Augsburg machte deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht 2010 zwar die damalige Regelung für verfassungswidrig erklärt habe, "nicht aber grundsätzlich die Speicherung von Daten". Zwar gebe es bei dem Gesetzentwurf Klarstellungsbedarf. Die Regelung wahre aber den vom Gericht gesetzten Rahmen und bleibe teils sogar hinter den Vorgaben zurück. Ähnlich stelle es sich auf europäischer Eben dar, so Wollenschläger weiter. Das EuGH-Urteil zur entsprechenden Richtlinie sei kein grundsätzliches Nein zur Verkehrsdatenspeicherung, sagte er. (Deutscher Bundestag: ra)


Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • Stand zum Emissionshandel für Gebäude und Verkehr

    Die Bundesregierung wird ein neues Klimaschutzprogramm vorlegen, das im Zeitraum bis zum Jahr 2030 auch Maßnahmen zur Treibhausgasminderungsquote im Bereich der durch die EU-Lastenverteilungsverordnung (ESR) erfassten Sektoren Gebäude und Verkehr enthalten wird. Die Maßnahmen für das Programm werden derzeit entwickelt. Das geht aus der Antwort (21/1072) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (21/762) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hervor.

  • Fluggastrechteverordnung für reformbedürftig

    Die Bundesregierung lehnt die Erhöhung von Zeitschwellen für Entschädigungen in der Fluggastrechteverordnung der EU ab. Sie stellt sich damit gegen einen entsprechenden Beschluss des Rates der EU-Verkehrsminister, wie aus einer Antwort (21/962) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (21/749) hervorgeht. Eine solche "Abschwächung des Verbraucherschutzniveaus" lehne die Bundesregierung ab. Sie trete für einen "ausgewogenen Ausgleich der Interessen der Fluggäste und der Luftfahrtunternehmen sowie der Reisewirtschaft" ein.

  • Digitalisierung des Gesundheitswesens

    Der Petitionsausschuss hält mehrheitlich an der Widerspruchslösung (Opt-out-Lösung) bei der elektronischen Patientenakte (ePA) fest. In der Sitzung verabschiedete der Ausschuss mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD die Beschlussempfehlung an den Bundestag, das Petitionsverfahren zu der Forderung, die elektronische Patientenakte nur mit ausdrücklichem Einverständnis der Betroffenen anzulegen (Opt-in-Lösung), abzuschließen, weil keine Anhaltspunkte für parlamentarische Aktivitäten zu erkennen seien.

  • Angaben zu Cum-Cum-Geschäften

    Derzeit befinden sich 253 Cum-Cum-Verdachtsfälle mit einem Volumen in Höhe von 7,3 Milliarden Euro bei den obersten Behörden der Länder und dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) in Bearbeitung. Diese Angaben macht die Bundesregierung in ihrer Antwort (21/915) auf eine Kleine Anfrage (21/536) der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen zu den rechtswidrigen Steuergeschäften.

  • Konformitätsbewertung von Produkten

    In einer Kleinen Anfrage (21/946) möchte die AfD-Fraktion von der Bundesregierung wissen, wie die EU-Maschinenverordnung (EU/2023/1230) im Hinblick auf KI-basierte Sicherheitssysteme angewendet und begleitet werden soll. Die Verordnung, die ab dem 20. Januar 2027 gilt, stellt laut Vorbemerkung der Anfrage neue Anforderungen an Maschinen mit eingebetteter Künstlicher Intelligenz.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen