Verfassungstreue von Beamten wird stets geprüft


Prüfung der Verfassungstreue von Beamten ist weiter nötig: Deutschland habe "aufgrund seiner historischen Erfahrungen" das Recht, von seinen Beamten "die Treue zu den den Staat begründenden Verfassungsgrundsätzen zu verlangen"
Deutsche Bundesregierung hält es nicht für erforderlich, Konsequenzen aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu ziehen


(23.08.07) - Die Bundesregierung hält es nicht für erforderlich, Konsequenzen aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu ziehen, in dem im September 1995 befunden wurde, der "Radikalenerlass" verstoße gegen elementare Bestandteile der Menschenrechte. Damals hatten die Richter über den Fall einer Lehrerin entschieden, die sich aktiv für die KKP engagiert hatte und daraufhin als Lebenszeitbeamtin aus dem Schuldienst entfernt worden war.

In ihrer Antwort (Deutscher Bundestag Drucksache 16/6210) auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion (Deutscher Bundestag Drucksache 16/6128) weist die Regierung darauf hin, der EGMR habe auch klargemacht, dass Deutschland "aufgrund seiner historischen Erfahrungen" das Recht habe, von seinen Beamten "die Treue zu den den Staat begründenden Verfassungsgrundsätzen zu verlangen". Zudem könnten aus einem konkreten Einzelfall keine allgemeinen Konsequenzen gezogen werden.

Man sehe die als rechtmäßig anerkannten Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue "auch weiterhin als notwendig" an. Der Bundestag habe gesetzgeberische Konsequenzen aus dem Fall abgelehnt. Weiter schreibt die Regierung, der so genannte Radikalenerlass sei durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 1975 zur Treuepflicht im öffentlichen Dienst überholt.

Hintergrund für die Prüfung der Verfassungstreue sei der Grundsatz, dass "dem Beamten eine besondere politische Treuepflicht gegenüber dem Staat und seiner Verfassung obliegt". Die Länder führten die Überprüfung der Bewerber für den öffentlichen Dienst nach speziellen Grundsätzen in eigener Zuständigkeit durch. Von der Linksfraktion angesprochene Menschenrechtsverstöße bei der Einstellungspraxis der Länder seien der Bundesregierung "nicht bekannt". Derzeit seien weder bei deutschen Gerichten noch auf Ebene europäischer Gerichte Wiederaufnahmeverfahren von Angehörigen des öffentlichen Dienstes anhängig.

Haltung der Bundesregierung

Jan Korte:
Jan Korte: Kritik an Berufsverbotepraxis, Bild: linksfraktion.de

Zur gegenwärtigen und früheren Berufsverbotepraxis
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Cornelia Hirsch, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.

Vorbemerkung der Fragesteller
Im Januar 1972 beschlossen die Regierungschefs des Bundes und der Länder den so genannten Radikalenerlass. Die daraufhin folgende Praxis, Personen aufgrund ihres politischen Engagements eine Anstellung im öffentlichen Dienst zu verweigern, war und ist in der Europäischen Union einmalig. Insgesamt wurden bis 1991 gegen ca. 1 100 Personen Berufsverbote ausgesprochen, 130 Personen wurden aus dem öffentlichen Dienst entlassen (vgl. http://www.wdr.de/themen/kultur/stichtag/2006/05/19.html.

Der Radikalenerlass wurde im In- und Ausland aufgrund seiner Demokratiefeindlichkeit von breiten gesellschaftlichen Bündnissen scharf kritisiert. Aufgrund dieser Kritik stellte der Bund im Jahr 1979 die Regelanfrage beim Verfassungsschutz auf die Verfassungstreue von Bewerberinnen und Bewerbern für den öffentlichen Dienst ein. Die Länder folgten in den 80er Jahren, das Schlusslicht bildete Bayern, das die Regelanfragen als letztes Bundesland 1991 einstellte. Die Regelanfrage gehört somit der Vergangenheit an, die Praxis der Berufsverbote wurde hierdurch jedoch nicht vollständig abgeschafft. Vielmehr wurde die Regelanfrage durch die so genannte Bedarfsanfrage beim Verfassungsschutz ersetzt. Hiernach erfolgt eine Anfrage dann, wenn sich angeblich konkrete Anzeichen einer Gegnerschaft zur verfassungsmäßigen Ordnung ergeben.

Im Jahr 1995 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, dass der Radikalenerlass gegen die Menschenrechte der Meinungsfreiheit und Koalitionsfreiheit sowie gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstoßen habe. Damit wurde nach dreiundzwanzig Jahren unseliger Gesinnungsprüfungen zumindest juristisch ein Schlussstrich gezogen (vgl. Urteil des EGMR im Fall D. Vogt vom 26. September 1995).

Für erhebliches Aufsehen und Befürchtungen, die überwunden geglaubte Praxis könne wiederaufleben, sorgte in den letzten Jahren das Berufsverbot gegen einen Lehramtsanwärter in Baden-Württemberg. Ihm wurde die Übernahme in den Schuldienst mit dem Hinweis auf sein antifaschistisches Engagement verwehrt.

1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt, dass der 1972 erlassene so genannte Radikalenerlass ein Irrtum gewesen sei (bitte mit Begründung)?

Der Beschluss der Regierungschefs des Bundes und der Länder vom 28. Januar 1972 (sog. "Radikalenerlass" oder "Extremistenerlass") ist durch den grundlegenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975 (BVerfGE 39, 334) zur Treuepflicht im öffentlichen Dienst überholt. Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat das Bundeskabinett am 19. Mai 1976 neue Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue beschlossen. Mit Beschluss vom 17. Januar 1979 wurden diese Grundsätze bekräftigt. Sie gelten bis heute fort.

Der wesentliche Inhalt ist folgender:
>> grundsätzliche Vermutung der Verfassungstreue zugunsten der Bewerber für den öffentlichen Dienst;
>> generelle Einzelfallprüfung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit;
>> keine routinemäßige Anfrage bei den Verfassungsschutzbehörden (Abschaffung der Regelanfrage);
>> Anfragen nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für eine fehlende Verfassungstreue und wenn eine Einstellung tatsächlich beabsichtigt und die Verfassungstreue nur noch die letzte zu prüfende Einstellungsvoraussetzung ist.

Hintergrund für die Prüfung der Verfassungstreue ist, dass die Verfassungstreue ein hergebrachter und zu beachtender Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne des Artikels 33 Abs. 5 des Grundgesetzes ist, der besagt, dass dem Beamten eine besondere politische Treuepflicht gegenüber dem Staat und seiner Verfassung obliegt. Die Gewähr der Verfassungstreue ist daher eine von der Verfassung geforderte Eignungsvoraussetzung für die Einstellung in den öffentlichen Dienst sowie für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst.

2. a) Ist die Bundesregierung angesichts des Vorfalls, dass noch in der jüngsten Vergangenheit einem Lehramtsanwärter in Baden-Württemberg die Übernahme in den Schuldienst mit dem Hinweis auf sein antifaschistisches Engagement verweigert wurde und er erst nach einer erfolgreichen Klage die Möglichkeit hatte, sich auf den von ihm gewünschten Beruf zu bewerben, im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz initiativ geworden oder beabsichtigt die Bundesregierung, dies zu tun (bitte mit Erläuterung)?
b) Wie bewertet die Bundesregierung diesen Vorfall?

Die Bundesregierung äußert sich nicht zu Einzelfällen, die in der Zuständigkeit der Länder liegen.

3. a) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die bestehenden Regelungen in den einzelnen Bundesländern, die zu einer Verweigerung der Übernahme in den Schuldienst aufgrund von politischem Engagement führen können (bitte für die jeweiligen Bundesländer einzeln aufschlüsseln)?

Die Überprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst wird in den Bundesländern gemäß den nachfolgenden Regelungen durchgeführt:
>> Baden-Württemberg "Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums zur Durchführung des Landesbeamtengesetzes vom 18.07.2003"
>> Berlin gesonderte Vorschriften zur Überprüfung der Verfassungstreue im Dezember 2003 aufgehoben (Neuerlass von Verwaltungsvorschriften wird derzeit geprüft)
>> Brandenburg "Grundsätze der Landesregierung für die Überprüfung von Dienstkräften des Landes Brandenburg hinsichtlich einer Tätigkeit für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit", seit April 2004 zudem "Rosenholz-Grundsätze"
>> Bremen "Verwaltungsanordnung für das Verfahren bei Feststellung des Erfordernisses der Verfassungstreue von Bewerbern für den öffentlichen Dienst"
>> Hessen "Prüfung der Verfassungstreue von Bewerbern für den öffentlichen Dienst" – Runderlass vom 9. Juli 1979, veröffentlicht im Staatsanzeiger für das Land Hessen
>> Niedersachsen keine gesonderten Vorschriften zur Überprüfung der Verfassungstreue (Prüfung auf Grundlage des Beamtengesetzes)
>> Rheinland-Pfalz "Pflicht zur Verfassungstreue" – Verwaltungsvorschrift des Ministeriums des Innern und für Sport
>> Saarland gesonderte Vorschriften zur Überprüfung der Verfassungstreue 1985 aufgehoben
>> Sachsen-Anhalt gesonderte Vorschriften zur Überprüfung der Verfassungstreue im April 2007 aufgehoben
>> Schleswig-Holstein gesonderte Vorschriften zur Überprüfung der Verfassungstreue 1998 aufgehoben
>> Thüringen "Runderlass der Thüringer Landesregierung über die Prüfung der persönlichen Eignung für den öffentlichen Dienst" (derzeit in der Überarbeitung)
Für die Bundesländer Bayern, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen liegen der Bundesregierung keine aktuellen Informationen bezüglich der Regelungen zur Überprüfung der Verfassungstreue vor. Auch in den Ländern werden keine Regelanfragen mehr durchgeführt.

b) Wie bewertet die Bundesregierung diese Regelungen?
Die Bundesregierung bewertet Regelungen, die ausschließlich in die Zuständigkeit der Länder fallen, grundsätzlich nicht.

4. a) Wie bewertet die Bundesregierung das Urteildes Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 26. September 1995 bezüglich des Falls von Dorothea Vogt, nach dem der "Radikalenerlass" gegen elementare Bestandteile der Menschenrechte verstoßen habe?

In dem genannten Einzelfall hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die Entfernung einer Lebenszeitbeamtin aus dem Schuldienst, die sich aktiv in der DKP engagierte, unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falles unverhältnismäßig war. Dieser Einzelfall kann jedoch nicht ohne weiteres verallgemeinert werden. Wie die Bundesregierung schon 1996 in der Antwort auf die Kleine Anfrage der PDS (Bundestagsdrucksache 13/3853) mitgeteilt hat, kann nur anhand aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, ob eine Maßnahme unverhältnismäßig ist.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ausdrücklich anerkannt, dass Deutschland aufgrund seiner historischen Erfahrungen das Recht hat, von seinen Beamtinnen und Beamten die Treue zu den den Staat begründenden Verfassungsgrundsätzen zu verlangen.

b) Welche politischen Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen, um Konsequenzen aus dem Urteilzu ziehen, insbesondere in Hinsicht auf andere von Berufsverboten betroffene Personen?

Es besteht auch weiterhin keine Veranlassung, allgemeine Konsequenzen aus dem Urteil des EGMR vom 26. September 1995 im Fall Vogt zu ziehen (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der PDS – Bundestagsdrucksache 13/3853). Das Gebot der Einzelfallprüfung und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind bereits aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975 zu beachten. Bei der Einzelfallprüfung wird seitdem auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Vogt beachtet. Auch das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 18. Mai 2001 – 2 WD 42/00, 2 WD 43/00) hat unter Bezugnahme auf die genannte Entscheidung des EGMR darauf hingewiesen, dass im Einzelfall die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis unverhältnismäßig sein könne. Zugleich hat es ausdrücklich angemerkt, dass gleichwohl die Auslegung der Artikel10 und 11 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) durch den EGMR der disziplinaren Ahndung eines Verstoßes gegen die politische Treuepflicht grundsätzlich nicht entgegenstehe. Aus der in einem konkreten Einzelfall ergangenen und nur diesen betreffenden Entscheidung des EGMR können daher keine allgemeinen Konsequenzen gezogen und rechtlich abgeschlossene Fälle wieder aufgegriffen werden. Rechtskräftige Gerichtsentscheidungen zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis binden grundsätzlich alle Beteiligten. Eine Wiederaufnahme des gerichtlichen Disziplinarverfahrens ist für Bundesbeamtinnen und Bundesbeamte nur in den im Bundesdisziplinargesetz ausdrücklich genannten Fällen zulässig.

c) Wie bewertet die Bundesregierung die getroffenen Maßnahmen?
Es wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.

d) Welche Maßnahmen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung von den Bundesländern getroffen?
Hierzu liegen der Bundesregierung keine Informationen vor.

e) Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung nach diesem Urteil keine Initiative ergriffen, um die am 17. Januar 1979 neu gefassten "Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue" ersatzlos zu streichen
und den Bundesländern zu empfehlen, die für ihren Verantwortungsbereich ähnlich lautenden Grundsätze aufzuheben?

Aus Sicht der Bundesregierung werden die als rechtmäßig anerkannten Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue zur Ausgestaltung und Vereinheitlichung der schon verfassungsrechtlich vorgegebenen Einstellungs- und Beschäftigungsvoraussetzung für den öffentlichen Dienst auch weiterhin als notwendig angesehen. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.

5. a) Welche politischen Maßnahmen stehen aus Sicht der Bundesregierung auf Bundes- bzw. auf Länderebene nach wie vor aus?

Im Bereich des Bundes werden die bestehenden Regelungen zur Gewährleistung der Verfassungstreue einer Bewerberin oder eines Bewerbers, auch unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtssprechung, für notwendig, aber auch ausreichend erachtet. Daneben sind keine weiteren politischen Maßnahmen geplant. Für den Bereich der Länder liegen der Bundesregierung keine Informationen vor.

b) Plant die Bundesregierung in der laufenden Legislaturperiode entsprechende Maßnahmen vorzunehmen bzw. die Bundesländer zu entsprechenden Maßnahmen aufzufordern?
Nein.

6. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, auf Bundesländer einzuwirken, deren Berufsverbotepraxis in Anlehnung an das Urteil des EGMR gegen elementare Bestandteile der Menschenrechte verstößt?
Der Bundesregierung sind Menschenrechtsverstöße bei der Einstellungspraxis der Länder nicht bekannt.

7. Wird die Bundesregierung die Initiative zu einem "Wiedergutmachungs- und Rehabilitierungsgesetz" ergreifen, um alle von der Berufsverbotepraxis Betroffenen juristisch, politisch und persönlich zu rehabilitieren sowie materiell zu entschädigen?
a) Wenn ja, wann, und in welcher Form?
b) Wenn nein, warum nicht?
Auf welche Art und Weise sollen die Betroffenen ansonsten eine entsprechende Entschädigung erhalten?

Gesetzgeberische Konsequenzen aus dem Urteil im Fall Vogt hat der Innenausschuss des Deutschen Bundestages nach dem Antrag u. a. der Fraktion der PDS bereits 2002 (Bundestagsdrucksache 14/8967) abgelehnt. Betroffenen bleibt es jedoch unbenommen, Amtshaftungsansprüche gegenüber der zuständigen Körperschaft geltend zu machen und ggf. den Rechtsweg zu beschreiten.

8. a) Welcher Schadensersatz und welche weitergehende Ausgleichsleistungen für berufliche Benachteiligungen (z. B. Ausgleich von Nachteilen in der Rentenversicherung) sind den von der Berufsverbotepraxis Betroffenen gewährt worden?
b) Hält die Bundesregierung diese Ausgleichsleistungen für angemessen und ausreichend (bitte mit Begründung)?

Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse zu Schadensersatz- oder anderen Ausgleichsleistungen vor. Bezüglich der gesetzlichen Rentenversicherung wird angemerkt, dass diese ein lohn- und beitragsbezogenes Versicherungssystem mit Lohnersatzfunktion darstellt. Sie folgt nicht dem Prinzip der Entschädigungsfunktion und erbringt daher auch keine Schadensersatzleistungen für berufliche Benachteiligungen von Personen.

9. a) Inwieweit sind die in Verbindung mit den Berufsverboteverfahren angelegten Dossiers nach Kenntnis der Bundesregierung weiterhin in Verfassungsschutz-und Personalakten enthalten?

Eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis setzt ein Disziplinarverfahren voraus. Die im Rahmen dieses Verfahrens anfallenden Unterlagen werden nach den disziplinar- und personalaktenrechtlichen Regelungen des Bundes in die Personalakte aufgenommen. Für diese Fälle gibt es – anders als für die weniger schwerwiegenden Disziplinarmaßnahmen, bei denen die oder der Betroffene weiter im Beamtenverhältnis verbleibt – keine gesetzliche Frist für ein Verwertungsverbot oder für eine Entfernung von Unterlagen aus der Personalakte.

Die Personalakten von Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten sind nach ihrem Abschluss von der personalaktenführenden Stelle noch fünf Jahre aufzubewahren. Grundsätzlich sind Personalakten im Falle des Ausscheidens aus dem öffentlichen Dienst ohne Versorgungsbezüge mit Ablauf des Jahres der Vollendung des fünfundsechzigsten Lebensjahres der oder des Betroffenen abgeschlossen, in den Fällen der disziplinarrechtlichen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedoch erst, wenn mögliche Versorgungsempfänger nicht mehr vorhanden sind. Damit wird berücksichtigt, dass die beamtenrechtlichen Folgen der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durch einen Gnadenerweis sowohl zu Lebzeiten der oder des Betroffenen als auch danach noch – zugunsten von Hinterbliebenen – ganz oder teilweise beseitigt werden können.

Wird eine Bewerberin oder ein Bewerber im Rahmen des Auswahlverfahrens für eine Einstellung abgelehnt, wird eine Akte zum Bewerbungsverfahren angelegt. Nach Abschluss des Einstellungsverfahrens ist keine weitere Aufbewahrung dieser Vorgänge vorgesehen.

Erfolgt eine Anfrage der Einstellungs- bzw. Beschäftigungsbehörden zur Verfassungstreue von Bewerberinnen und Bewerbern für den öffentlichen Dienst bzw. von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, legt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) keine "Dossiers" im Sinne der Fragesteller an. Das BfV nimmt eine Anfrage zur Verfassungstreue von Bewerberinnen und Bewerbern für den öffentlichen Dienst nicht zum Anlass, Ermittlungen durchzuführen. Es wird bei der Beantwortung der Anfrage vielmehr nur auf schon vorhandene Erkenntnisse zurückgegriffen. Die Speicherung, Sperrung und Löschung der dem BfV mit der Anfrage übermittelten Daten erfolgt nach den einschlägigen rechtlichen Bestimmungen.

b) Welche Nachteile entstehen daraus für die Betroffenen?

Personalakten sind nach den beamtenrechtlichen Vorschriften des Bundes vertraulich zu behandeln und vor unbefugter Einsicht zu schützen. Sie stellen eine Dokumentation des Dienstherrn lediglich im Hinblick auf seine Befugnisse und Verpflichtungen aus dem Beamtenverhältnis dar. Grundsätzlich dürfen nur die Beschäftigten Zugang zu Personalakten haben, die mit der Bearbeitung von Personalangelegenheiten beauftragt sind, und nur soweit dies zu Zwecken der Personalverwaltung oder der Personalwirtschaft erforderlich ist.

Auskünfte an Dritte dürfen nur mit Einwilligung der oder des Betroffenen erteilt werden, es sei denn, dass die Abwehr einer erheblichen Beeinträchtigung des Gemeinwohls oder der Schutz berechtigter, höherrangiger Interessen des Dritten die Auskunftserteilung zwingend erfordert. In diesen Fällen sind Inhalt und Empfänger der Auskunft, die auf den jeweils erforderlichen Umfang zu beschränken ist, der Beamtin oder dem Beamten schriftlich mitzuteilen. Soweit eine Personalakte nach prozessrechtlichen Vorschriften einem Gericht vorgelegt wurde, richtet sich die Einsichtnahme nach den prozessrechtlichen Vorschriften.

Soweit in Personen- oder Sachakten des BfV noch personenbezogene Unterlagen in Zusammenhang mit einer "Verfassungstreueprüfung" vorhanden sein sollten, entsteht für die Betroffenen ebenfalls kein Nachteil. Auskünfte aus Aktenbeständen des BfV werden nur unter strikter Einhaltung der entsprechenden gesetzlichen Übermittlungsvorschriften erteilt. Regel- bzw. routinemäßige Übermittlungen vorliegender Erkenntnisse etwa an die betroffenen Beschäftigungsbehörden finden nicht statt.

c) Wird die Bundesregierung sich für die Entfernung der entsprechenden Dossiers einsetzen?
Falls ja, wann und in welcher Form?
Falls nein, warum nicht?
Nein. Vor dem Hintergrund der geschilderten Praxis und Rechtslage besteht hierzu kein Anlass.

10. a) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über das Ausmaß von Verweigerung der Aufnahme in den öffentlichen Dienst oder Entfernungen aus dem öffentlichen Dienst nach 1990 aufgrund von politischen Aktivitäten in der DDR?
Es werden hierzu keine entsprechenden statistischen Erhebungen geführt.

b) Welche Art politischer Aktivitäten in der DDR war ausschlaggebend für die jeweiligen Aufnahmeverweigerungen bzw. Entlassungen?

Durch den Einigungsvertrag wurde festgelegt, dass eine generelle Überprüfung der Verfassungstreue für alle Bewerberinnen und Bewerber aus den neuen Bundesländern durchgeführt werden sollte. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung ist insbesondere dann gegeben, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat oder für das frühere Ministerium für Staatssicherheit (MfS)/Amt für nationale Sicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Der Einführung der Sonderkündigungstatbestände lag die Einschätzung des Gesetzgebers zugrunde, dass einem Bediensteten, der für das MfS tätig war, grundsätzlich die von Artikel 33 Abs. 2 GG geforderte Eignung für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik fehlt.

Dennoch führt die Tätigkeit für das MfS nicht automatisch zur Kündigung bzw. Entlassung. Zusätzlich ist erforderlich, dass ein Festhalten am Arbeits- bzw. Dienstverhältnis unzumutbar erscheint. Dabei ist eine einzelfallbezogene Würdigung der Eignung anzustellen, bei der neben der konkreten Belastung für den Dienstherrn auch das Maß der Verstrickung des Betroffenen zu berücksichtigen ist. Der Grad der persönlichen Verstrickung ergibt sich vor allem aus Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit für das MfS sowie aus dem Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit. Außerdem ist von Bedeutung, zu welcher Zeit und in welchem Alter der Betreffende für das MfS tätig war, für welche Position bzw. Laufbahn er vorgesehen ist und wie er sich nach der Übernahme in den öffentlichen Dienst nach dem 3. Oktober 1990 verhalten hat (vgl. BVerwG, NJW 1999, 2536, 2537; BVerfGE 96, 189, 198 ff.).

Dem entsprechend hat das Bundesverfassungsgericht auch die Kündigung von Beschäftigten, die etwa als hauptamtliche Mitarbeiter oder herausgehobene Funktionäre der SED, einer Massenorganisation oder einer gesellschaftlichen Organisation das frühere Unrechtssystem repräsentierten, unter der Maßgabe, dass bei der anzustellenden Prognose alle Umstände des Einzelfalles zu würdigen sind, grundsätzlich für zulässig erachtet (BVerfGE 92, 140, 152 ff.; 96, 152, 165 ff.). Im Oktober 2000 wurde die Praxis der generellen Anfrage bei dem bzw. der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) für Bewerberinnen und Bewerber aus den neuen Bundesländern geändert. Seitdem wurden grundsätzlich nur noch in begründeten Einzelfällen entsprechende Anfragen vorgenommen.

Aufgrund der Änderung des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR im Dezember 2006 ist nunmehr die Verwendung der Stasi-Unterlagen zum Zwecke der Prüfung der Verfassungstreue nur noch – befristet für fünf weitere Jahre – für bestimmte Personengruppen in gesellschaftlich oder politisch herausgehobenen Ämtern und Funktionen möglich. Eine unbefristete Überprüfungsmöglichkeit besteht seither nur noch für Beschäftigte, deren Aufgabe in der Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes der DDR besteht.

c) Wie bewertet die Bundesregierung diese neuere Praxis der Berufsverbote?

Es wird auf die vorstehenden Ausführungen zur verfassungsrechtlichen Vorgabe und den gesetzlichen Bestimmungen zur notwendigen Eignung einer Beamtenbewerberin bzw. eines Beamtenbewerbers und die Pflichten aus dem Beamtenverhältnis verwiesen. Übernahmeverweigerungen bzw. Entlassungen sind ausschließlich auf Grundlage des Einigungsvertrages, der nicht zu beanstandende rechtsstaatliche Kündigungsregelungen bzw. -möglichkeiten vorsieht, in Zuständigkeit der jeweiligen Einstellungsbehörde vorgenommen worden.

11. a) Welche Materialien zur Aufklärung über die Berufsverbotepraxis gibt es bei der Bundeszentrale für politische Bildung?

Kontext und Auswirkungen des Beschlusses der Regierungschefs des Bundes und der Länder vom 28. Januar 1972 werden u. a. in nachfolgend genannten, derzeit vorrätigen Publikationen der Bundeszentrale für politische Bildung dargestellt:
>> Helmut M. Müller, Schlaglichter der Geschichte, S. 392, S. 395f, Schriftenreihe Band 402, 2. aktualisierte Ausgabe, Bonn 2003
>> Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen II. Deutsche Geschichte 1933–1990, S. 301f, Schriftenreihe Band 463, Bonn 2005
>> Manfred Görtemaker, Kleine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, S. 229, Schriftenreihe Band 380, Bonn 2004
>> Hans Georg Lehmann, Deutschland-Chronik 1945–2000, S. 229, Schriftenreihe Band 366, Bonn 2002
>> Peter Zolling, Deutsche Geschichte von 1871 bis zur Gegenwart, Schriftenreihe Band 523, Bonn 2005
>> Deutschland in den 70er/80er Jahren, Informationen zur politischen Bildung Heft 270, S. 3, Bonn 2001

In der von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Beilage Zur Wochenzeitung das Parlament "Aus Politik und Zeitgeschichte" (ApuZ) sind zu diesem Thema Beiträge in den Heften B 27/1973, B 50/1973, B 5/1974, B 20–21/1976, B 25/1976, B 3/1978, B 16/1985 erschienen.

Zu dem in Frage 10. a) als "Verweigerung der Aufnahme in den öffentlichen Dienst oder Entfernung aus dem öffentlichen Dienst nach 1990 aufgrund von politischen Aktivitäten in der DDR" beschriebenen Sachverhalt hat die im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung vom W. Bertelsmann Verlag herausgegebene Zeitschrift "Deutschland-Archiv" einschlägige Informations- und Diskussionsbeiträge publiziert.
Beispiele dafür sind die folgenden Beiträge:
>> Thomas Ammer, Der Konflikt um die "Abwicklung" an den Hochschulen in der ehemaligen DDR, DA 24 (1991), S. 118 ff.
>> Reinhard Myritz, Elite ohne Alternative. Zur Situation der Führungskräfte in ostdeutschen Unternehmen, ebd., S. 475 ff.
>> Wilhelm Bleek, Der Aufbau der Politikwissenschaft in den neuen Bundesländern. Ein Zwischenbericht, ebd., S. 681 ff.
>> Hans-Joachim Reeb, Eingliederung ehemaliger NVA-Berufssoldaten in die Bundeswehr. Maßnahmen und Probleme, ebd., S. 845 ff.
>> Fred Henneberger, Personalentwicklung in den öffentlichen Verwaltungen der neuen Bundesländer, DA 28 (1995), S. 392 ff.
>> Gert-Joachim Glaeßner, Regimewechsel und Elitentransfer. Parlamentarischpolitische und Verwaltungseliten in Ostdeutschland, ebd., S. 849 ff.
>> Peter Eisenfeld, Zehn Jahre nach dem Mauerfall. Thesen zur heutigen gesellschaftlichen Situation ehemaliger DDR-Nomenklaturkader und politisch Verfolgter der SED-Diktatur, DA 33 (2000), 68 ff.

Mehrere Beiträge im Deutschland-Archiv beschäftigten sich mit beruflichen Schwierigkeiten ehemaliger Kader, auch im Kontext von Prozessen gegen DDR-Funktionsträger.
Darüber hinaus hält die Bundeszentrale Publikationen bereit, in denen die Berufsverbotspraxis in der DDR im Kontext der Themen Menschenrechte, Ministerium für Staatssicherheit, Opposition und Widerstand sowie Ausreise dargestellt wird.

b) Welche weiteren Publikationen sind geplant?
Aktuell sind keine spezifisch auf dieses Thema bezogenen Publikationen geplant.

12. a) Wie viele Wiederaufnahmeverfahren von Angehörigen des öffentlichen Dienstes bei Bundesbehörden sind derzeit bei deutschen Gerichten anhängig, und welche Position vertritt die Bundesregierung in diesen Verfahren?
Für den Bereich der Bundesverwaltung sind keine entsprechenden Verfahren bei deutschen Gerichten anhängig.

b) Wie viele Wiederaufnahmeverfahren von Angehörigen des öffentlichen Dienstes bei Bundesbehörden sind derzeit auf europäischer Ebene anhängig, und welche Position vertritt die Bundesregierung in diesen Verfahren?
Für den Bereich der Bundesverwaltung sind keine entsprechenden Verfahren auf Ebene europäischer Gerichte anhängig.

13. a) Wie viele Verfahren wegen Rehabilitierung und/oder Entschädigung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes bei Bundesbehörden sind derzeit bei deutschen Gerichten anhängig, und welche Position vertritt die Bundesregierung in diesen Verfahren?
Für den Bereich der Bundesverwaltung sind keine entsprechenden Verfahren bei deutschen Gerichten anhängig.

b) Wie viele Verfahren wegen Rehabilitierung und/oder Entschädigung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes bei Bundesbehörden sind derzeit auf europäischer Ebene anhängig, und welche Position vertritt die Bundesregierung in diesen Verfahren?
Für den Bereich der Bundesverwaltung sind keine entsprechenden Verfahren auf Ebene europäischer Gerichte anhängig.

14. a) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über entsprechende Verfahren von Angehörigen des öffentlichen Dienstes auf kommunaler bzw. Länderebene?
Keine.

b) Beabsichtigt die Bundesregierung, diese Thematik gegenüber den Ländern anzusprechen, und wenn nein, warum nicht?

Nein. Es besteht kein Anlass, diese Thematik anzusprechen. Die Länder regeln die Prüfung der Verfassungstreue ihrer Beschäftigten auf Grundlage der Verfassung, der beamtenrechtlichen Vorschriften sowie von Gerichtsentscheidungen in eigener Zuständigkeit.
(Deutscher Bundestag: ra)


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