Leerverkaufsverbot erneut im Fokus
Leerverkaufsverbot für die Wirecard-Aktie: Ein Leerverkaufsverbot ist ein erheblicher Markteingriff, der gut überlegt sein sollte
Denn wenn die Bilanz eines Unternehmens tatsächlich Schwächen aufweist, dann tragen die Handelsbewegungen kritischer Investoren zu einer realistischen Neubewertung am Markt bei - und das ist erwünscht
Das Bundesfinanzministerium (BMF) hatte die Fachaufsicht über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin). Diese leistete sich jedoch bei der Überwachung der inzwischen insolventen Wirecard AG zahlreiche Fehler. Mit der Frage, ob - und wenn ja, wo - das Ministerium hätte eingreifen müssen, beschäftigte sich der 3. Untersuchungsausschuss ("Wirecard") bei seiner Sitzung am 16. April 2021 unter dem Vorsitz von Kay Gottschalk (AfD).
Es war eine mühsame Vernehmung für beide Seiten: Udo Franke, Leiter des Referats Börsen- und Wertpapierwesen im BMF, verwies immer wieder auf die Zuständigkeit der Bafin für Detailentscheidungen bei der Finanzüberwachung. Doch viele der Ausschussmitglieder akzeptierten diese Sichtweise nicht und fragten weiter nach. Konkret ging es um eine Bafin-Entscheidung vom Februar 2019, ein sogenanntes Leerverkaufsverbot für die Wirecard-Aktie zu verhängen.
Dabei handelte es sich zwar nicht in der Theorie, aber in der Praxis um eine staatliche Vertrauenserklärung. Denn ein Leerverkaufsverbot untersagt es Anlegern, auf Kursverluste zu setzen. Die vermeintliche Botschaft der Bafin lautete daher: Die Medien verbreiten Lügen über Wirecard, in Wirklichkeit ist alles weitgehend in Ordnung.
Ein Leerverkaufsverbot ist jedoch ein erheblicher Markteingriff, der gut überlegt sein sollte. Denn wenn die Bilanz eines Unternehmens tatsächlich Schwächen aufweist, dann tragen die Handelsbewegungen kritischer Investoren zu einer realistischen Neubewertung am Markt bei - und das ist erwünscht. Dass Aktienkurse mitunter heftig schwanken, ist Teil des Börsengeschehens - die Bafin kann die Bewegungen gar nicht wegregulieren. Laut Gesetz darf die Bafin Leerverkäufe nur verbieten, wenn durch sie das Vertrauen in den gesamten Markt gefährdet ist und eine heftige Schieflage droht. Experten der Deutschen Börse und der Bundesbank sahen so eine heftige Störung im Februar 2019 nicht, wie der Ausschuss in früheren Sitzungen bereits erfahren hat.
Das BMF als Aufsichtsbehörde war über das Leerverkaufsverbot informiert. Doch hätte es sich kritischer einbringen müssen? "Wir duplizieren nicht das, was die Bafin an recht komplexen Überlegungen anstellt und in Entscheidungen überführt", sagte Franke. "Die Frage, welche Maßnahmen im Einzelnen zu ergreifen sind, ist eine Frage, die im Zuständigkeitsbereich der Bafin liegt." Das BMF solle die Bafin zwar beaufsichtigen, aber nicht ihre Detailarbeit doppelt machen. Diese Haltung empörte mehrere der Abgeordneten im Ausschuss. Das Leerverkaufsverbot sei keine Routine gewesen, sondern "ein Jahrhundertereignis, das Auswirkungen auf viele Marktteilnehmer hat", sagte Matthias Hauer (CDU). Das BMF versuche, sich "aus der Fachaufsicht herauszumogeln".
Franke führte aus, es habe die Gefahr fallender Kurse infolge der Medienberichte über möglichen Betrug bei Wirecard gegeben. So etwas könne auch durch Insiderhandel entstehen. "Schlechte Presse für ein Unternehmen, und dann fällt der Aktienkurs - das passiert doch jede Woche!", wunderte sich Florian Toncar (FDP). Der Bafin sei es bis heute nicht gelungen, eine realistische Darstellung der drohenden Gefahr zu liefern. Doch offenbar gab es im BMF niemanden, der das problematisiert habe.
Während Franke die direkte Kontaktperson der Bafin im Finanzministerium war, verwaltete sein höherrangiger Kollege Marcus Pleyer den Bereich Geldwäsche. Pleyer ist Unterabteilungsleiter im BMF. Der Ausschuss hat ihn vor allem zu Zuständigkeitsfragen vernommen. Zwar war die Firmengeschichte von Wirecard schon seit Jahren von Geldwäschevorwürfen begleitet, doch es war bis fast zum Schluss nicht ganz geklärt, wer hier die Aufsicht über Wirecard hatte. Denn für Unternehmen aus der Realwirtschaft sind Landesbehörden zuständig - im Fall Wirecard konkret der Bezirk Niederbayern. Für Banken, Versicherungen und Finanzholdinggesellschaften ist die Bafin zuständig. Was war die Wirecard AG? Sie hatte eine Bank als Tochtergesellschaft und ging als Zahlungsdienstleister im Kerngeschäft vor allem mit Geld um. Aus Sicht der Bafin war sie jedoch ein Unternehmen aus dem Bereich Informationstechnik und keine Finanzholding. Die zuständigen Beamten für Geldwäschevorbeugung in Niederbayern nahmen ihre Zuständigkeit jedoch erst wahr, als sie der Verdacht gegen Wirecard verdichtete - das war im Ausschuss bereits Thema.
Die Koordination der Geldwäschebekämpfung lag nun in Pleyers Abteilung. Die Existenz dieser Koordinierungsstelle änderte jedoch über Jahre nichts an der Lücke, in der Wirecard seine Praktiken fortsetzen konnte. "Wenn keine Zuständigkeit vorliegt, gibt es auch nichts zu koordinieren", gab Pleyer zu. Der Ausschussvorsitzende Gottschalk kommentierte: "Wenn Sie bei Bafin und BMF nicht gelernt haben, was falsch läuft, wenn ein Dax-Unternehmen durch alle Roste fällt, dann haben sie die Lektion aus dem Wirecard-Skandal noch nicht gelernt."
Pleyer nutzte die Gelegenheit seinerseits, um eine Stärkung der Geldwäscheaufsicht durch die Länder zu fordern. Der Ausschuss hatte bereits erkannt, dass die wenigen Beamten der Bezirksregierung Niederbayern mit der Kontrolle über einen internationalen Konzern überfordert seien. "Man müsste das Problem Geldwäsche im Nichtfinanzsektor höher priorisieren und mehr in ihre Bekämpfung investieren", um die Lage zu verbessern, sagte Pleyer. (Deutscher Bundestag: ra)
eingetragen: 28.04.21
Newsletterlauf: 20.07.21
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