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Ungleichbehandlung von Kassenarten aufheben


Künftig sollen alle gesetzlichen Krankenkassen insolvenzfähig sein: Versicherten, Ärzten und Kliniken sollen durch die Neuregelung keine Nachteile entstehen
Die Haftung der Bundesländer für Versorgungsansprüche und auf Insolvenzgeld der Kassenmitarbeiter entfällt laut Entwurf bereits zum geplanten Start des Gesundheitsfonds am 1. Januar 2009


(20.06.08) - Künftig sollen auch Allgemeine Ortskrankenkassen (AOK) und regionale Versicherungen pleite gehen können. Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf (16/9559) – "Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung" (GKV-OrgWG) - vorgelegt, der eine bisherige Ungleichbehandlung von Kassenarten aufhebt und damit als wichtiger Schritt auf dem Weg zum geplanten Gesundheitsfonds gilt.

Der Entwurf wurde am Donnerstag in erster Lesung im Bundestag beraten. Nach den Plänen der Regierung fallen von Januar 2010 an alle gesetzlichen Krankenkassen in den Anwendungsbereich der Insolvenzordnung. Danach haften bei einer Pleite einer der 16 Ortskrankenkassen oder anderer Kassen unter Landesaufsicht nicht mehr die Bundesländer, sondern die Krankenkassen der jeweiligen Kassenart - etwa anderer AOK. Wenn diese damit überfordert sind, sollen notfalls alle Krankenkassen einspringen. Insolvenzfähig waren bislang nur Kassen unter Aufsicht des Bundes wie DAK, Barmer und Techniker Krankenkasse.

Versicherten, Ärzten und Kliniken sollen durch die Neuregelung keine Nachteile entstehen. Die Haftung der Bundesländer für Versorgungsansprüche und auf Insolvenzgeld der Kassenmitarbeiter entfällt laut Entwurf bereits zum geplanten Start des Gesundheitsfonds am 1. Januar 2009. In Deutschland gibt es neben den Ortskrankenkassen Ersatzkassen, Betriebs- und Innungskrankenkassen. Verbunden sind mit dem Gesetzentwurf auch Schutzmaßnahmen, die verhindern sollen, dass es überhaupt zu einer Kasseninsolvenz kommt. So sollen etwa die Ortskrankenkassen untereinander Verträge über Finanzhilfen abschließen können. Notfalls soll es auch finanzielle Hilfen aller im Spitzenverband Bund organisierten Kassen geben, um beispielsweise Fusionen klammer Kassen mit finanzstärkeren zu fördern.

Hintergrund des Gesetzentwurfs ist, dass Kassen wie die AOK keine Rückstellungen für Pensionsansprüche für insgesamt rund 10.000 Mitarbeiter gebildet haben. Sie sollen dafür nun 40 Jahre Zeit bekommen. Allein den Ortskrankenkassen fehlen rund acht Milliarden Euro. Bislang bestritten die betroffenen Kassen die Pensionsansprüche aus laufenden Verwaltungskosten. Unter den Bedingungen des Insolvenzrechts müssen diese aber in die Bilanz aufgenommen und abgedeckt werden. Der Bundesrat muss dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

Mit dem Gesundheitsfonds soll es künftig einen einheitlichen Krankenkassenbeitrag geben, der noch festgelegt werden muss. Die Kassen erhalten aus dem Fonds für ihre Versicherten Pauschalen sowie alters- und risikobezogene Zuschläge. Kassen, die damit nicht auskommen, müssen für ihre Versicherten Zusatzprämien erheben. Gut wirtschaftende Kassen können auf der anderen Seite geleistete Beiträge zurückzahlen.

Hintergrund

Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG)

A. Problem und Ziel
Derzeit gilt die Insolvenzordnung (InsO) nur für bundesunmittelbare Krankenkassen. Dies führt zu ungleichen wettbewerblichen Ausgangspositionen, da die Insolvenzfähigkeit Umlagepflichten für das Insolvenzgeld nach dem SGB 111 und für die Insolvenzsicherung von Altersversorgungsansprüchen der Beschäftigten auslöst (vgl. für Allgemeine Ortskrankenkassen BVerwGE 72, 212 und für Ersatzkassen BSG MDR 1978, 962). Diese finanziell bedeutsame Ungleichbehandlung wird durch die Herstellung der Insolvenzfähigkeit aller Krankenkassen beseitigt.

Die geltenden Regelungen über die Haftung bei Schließung einer Krankenkasse sind mit den wettbewerblichen Strukturen des GKV-Systems immer weniger vereinbar. Der Zusammenhalt innerhalb einer Kassenart wurde durch die grundlegenden organisationsrechtlichen Änderungen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG) im Verbänderecht deutlich gelockert. Auch Krankenkassen einer Kassenart stehen zueinander im Wettbewerb, sodass die nach dem geltenden Haftungsrecht erforderliche Solidarität immer schwieriger eingefordert werden kann. Daher muss das Organisationsrecht der GKV auf den Strukturentscheidungen des GKV-WSG aufbauend weiter entwickelt werden. Durch die Herstellung der Insolvenzfähigkeit aller Krankenkassen sollen deshalb für alle Krankenkassen gleiche Rahmenbedingungen geschaffen, die Transparenz in Bezug auf die tatsächliche finanzielle Situation der Krankenkassen erhöht und eine stärkere Nachhaltigkeit der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung erreicht werden.

B. Lösung
Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, dass ab 1. Januar 2010 alle gesetzlichen Krankenkassen in den Anwendungsbereich der Insolvenzordnung fallen. Die Haftung der Länder für Versorgungsansprüche und Ansprüche auf Insolvenzgeld nach dem SGB 111 der Beschäftigten von bisher insolvenzunfähigen landesunmittelbaren Krankenkassen entfällt bereits zum 1. Januar 2009. Ab 2010 werden alle Krankenkassen verpflichtet, für ihre Versorgungsverpflichtungen ausreichendes Deckungskapital zu bilden, wodurch auch eine Verschiebung der Finanzierung von Altersversorgungslasten in die Zukunft begrenzt wird. Um eine Überforderung einzelner Krankenkassen zu vermeiden, ist für den Kapitalaufbau ein Zeitraum von bis zu 40 Jahren vorgesehen.

Das Schließungsrecht der Aufsichtsbehörde bei nicht auf Dauer gesicherter Leistungsfähigkeit einer Krankenkasse bleibt erhalten. Wegen der im Rahmen eines Schließungsverfahrens bestehenden Möglichkeiten der Aufsichtsbehörde, durch die Organisation finanzieller Hilfen oder von Fusionen die Abwicklung einer Krankenkasse zu vermeiden, hat das Schließungsverfahren Vorrang vor der Einleitung eines Insolvenzverfahrens. Zur Vermeidung von Schließungs- bzw. Insolvenzfällen sieht der Gesetzentwurf auch Regelungen vor, die es den Krankenkassen und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen ermöglichen, Unterstützungsleistungen zu Gunsten Not leidender Krankenkassen zu erbringen.

Bei Insolvenz einer Krankenkasse haften zunächst die übrigen Kassen der Kassenart in vollem Umfang für ungedeckte Versorgungsverpflichtungen der betroffenen Krankenkasse. Erst wenn die Krankenkassen dieser Kassenart nicht mehr in der Lage sind, diese Verpflichtungen zu erfüllen, haften hierfür auch die Krankenkassen der übrigen Kassenarten. Für Verpflichtungen gegenüber Versicherten und Leistungserbringern, die aus verfassungsrechtlichen Gründen in vollem Umfang erfüllt werden müssen, haften die verbleibenden Krankenkassen der Kassenart nur bis zu einem Schwellenwert, um eine finanzielle Überforderung und Folgeinsolvenzen zu vermeiden. Für alle übrigen Verpflichtungen der betroffenen Krankenkasse gelten die Verteilungsregelungen der Insolvenzordnung. Im Fall der Schließung einer Krankenkasse haften wie bisher die Krankenkassen der Kassenart für die Verpflichtungen der geschlossenen Krankenkasse. Reicht das Vermögen dieser Krankenkassen nicht aus, haften hierfür auch die Krankenkassen der anderen Kassenarten.

Die für die Krankenkassen geltenden Rechnungslegungsvorschriften werden an die im Handelsgesetzbuch geregelten Grundsätze einer ordnungsgemäßen Buchführung und Bilanzierung angenähert. Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf u.a. die für die Einführung des Gesundheitsfonds erforderlichen Regelungen zur Standardisierung der Verwaltungsausgaben der Krankenkassen.

C. Alternativen
Keine

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

Finanzielle Auswirkungen für Bund, Länder und Gemeinden
Für Bund, Länder und Gemeinden entstehen durch dieses Gesetz keine finanziellen Belastungen. Durch den Wegfall der Haftung für die Versorgungsansprüche der Beschäftigten von bislang insolvenzunfähigen landesunmittelbaren Krankenkassen werden die Länder ab 2009 im Vergleich zum bislang geltenden Recht von eventuellen finanziellen Haftungsfolgen entbunden.

Finanzielle Auswirkungen für die gesetzliche Krankenversicherung
Durch die Verpflichtung für sämtliche gesetzlichen Krankenkassen, ab dem Jahr 2010 in einem Zeitraum von bis zu 40 Jahren ausreichendes Deckungskapital für ihre Versorgungsverpflichtungen zu bilden, wird eine Verschiebung von Versorgungslasten in die Zukunft begrenzt. Durch die Wahl dieses langen Zeitraums sind im Bereich der Allgemeinen Ortskrankenkassen, bei denen für die sog. "Dienstordnungsangestellten" die im Vergleich mit anderen Krankenkassen mit Abstand höchsten Versorgungsansprüche der Beschäftigten bestehen, voraussichtlich durch ein beim AOK-Bundesverband auf freiwilliger Basis gebildetes Sondervermögen insgesamt genügend Finanzmittel vorhanden, um unter Berücksichtigung einer 40jährigen Verzinsung über das zu diesem Zeitpunkt erforderliche Deckungskapital verfügen zu können.

Bei den einzelnen Krankenkassen können je nach Anzahl der versorgungsberechtigten aktiven und ehemaligen Beschäftigten sowie bereits gebildeten Rückstellungen für Versorgungslasten Zusatzbelastungen entstehen, die kassenindividuell ermittelt werden müssen. Zur Absicherung zukünftig entstehender Versorgungsanwartschaften haben alle Krankenkassen Beiträge an den Pensions-Sicherungs-Verein zu entrichten, deren Höhe sich nach dem Umfang der entsprechenden kassenindividuell zu ermittelnden Anwartschaften richtet. Die für diese Aufwendungen von den Krankenkassen bereitzustellenden Mittel sind ihrer Höhe nach noch nicht quantifizierbar, werden jedoch nur eine geringe, nicht beitragsrelevante Größenordnung haben. Aufgrund der Insolvenzfähigkeit sind zukünftig alle Krankenkassen mit Ausnahme der Landwirtschaftlichen Krankenkassen und der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See beitragspflichtig gemäß § 359 Absatz 2 SGB 111.

Aus den Regelungen zur Risikostrukturausgleichs-Verordnung ergeben sich für die gesetzliche Krankenversicherung insgesamt keine Be- oder Entlastungseffekte.

Durch die Überweisung eines Anteils des pauschalen Bundeszuschusses in Höhe von 4 Mrd. Euro im Jahr 2009 an die landwirtschaftlichen Krankenkassen reduziert sich der Betrag, der zur Finanzierung der Zuweisungen der anderen Krankenkassen verbleibt, um ca. 48 Mio. Euro. Bei einem Anstieg des Bundeszuschusses um jeweils 1,5 Mrd. Euro in den Folgejahren erhöht sich dieser Betrag um jeweils ca. 16 Mio. Euro.

E. Sonstige Kosten

Es ergeben sich keine Auswirkungen auf die Verbraucherpreise, da die Reformmaßnahmen nur zu geringen finanziellen Auswirkungen bei den Verwaltungsausgaben der Krankenkassen führen. Die Bildung eines ausreichenden Deckungskapitals für die eingegangenen Versorgungsverpflichtungen hat auch keine Auswirkungen auf das Preisniveau von Gesundheitsleistungen, da die Preisbildung in diesem Bereich nicht von der Höhe der Verwaltungsausgaben der Krankenkassen bestimmt wird.

F. Bürokratiekosten
Es werden acht neue Informationspflichten für die Verwaltung eingeführt. Sie beinhalten zum Einen Anzeige- und Unterrichtungspflichten der Krankenkassen und Aufsichtsbehörden sowie des Insolvenzgerichts. Sie sind für die Einleitung und die weitere Durchführung des Insolvenzverfahrens, aber auch für die mögliche Vermeidung eines solchen Verfahrens zwingend erforderlich. Zum anderen resultieren die neuen Informationspflichten aus der Annäherung der für die Krankenkassen maßgeblichen Rechnungslegungsvorschriften an die Bilanzierungsregelungen des HGB.
(Deutsche Bundesregierung: ra)


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