Gemeinsame Wirtschaftsagenda und Überwachung
EU-Wirtschaftsregierung: Ein großer Schritt in die richtige Richtung
Das neue System der wirtschaftspolitischen Steuerung baut auf den drei wesentlichen Maßnahmen auf
(10.06.22) - Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben eine Reihe wichtiger Beschlüsse gefasst, die die wirtschafts- und haushaltspolitische Koordinierung für die EU insgesamt und insbesondere für den Euroraum verstärken werden. Das bisherige Ungleichgewicht zwischen den beiden Bestandteilen der EU-Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) wird damit korrigiert. Die Beschlüsse werden dafür sorgen, dass die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik besser miteinander abstimmen – was sich in der Krise als unabdingbar erwiesen hat. Infolgedessen werden die voneinander abhängigen Volkswirtschaften der EU künftig besser in der Lage sein, einen Wachstums- und Beschäftigungskurs einzuschlagen. Dies ist ein wichtiger Schritt nach vorne.
Das neue System der wirtschaftspolitischen Steuerung baut auf den drei wesentlichen Maßnahmen auf, die in Reaktion auf die Krise ergriffen wurden:
1. Stärkung unserer gemeinsamen Wirtschaftsagenda durch engere Überwachung auf EU-Ebene
Wir haben wirtschaftliche Prioritäten für die EU festgelegt: Die Strategie Europa 2020 ist die gemeinsame Wirtschaftsagenda der EU. Sie setzt klare Prioritäten und Ziele auf EU- und nationaler Ebene, die das europäische Wachstum im kommenden Jahrzehnt beschleunigen sollen. Der Jahreswachstumsbericht (JWB) legt die Prioritäten für die kommenden 18 Monate fest; diese werden dann in nationale Ziele und Maßnahmen umgemünzt, die genau auf die Anforderungen der einzelnen Mitgliedstaaten zugeschnitten sind. Der Euro-Plus-Pakt enthält zusätzliche Verpflichtungen für die Teilnehmerländer.
Es wird eine engere Überwachung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik durch die EU geben: Die Kommission hat vorgeschlagen, der EU neue Mittel an die Hand zu geben, um unhaltbare öffentliche Finanzen und größere Ungleichgewichte bei der Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten von vornherein zu verhindern. Dabei sind auch Sanktionen vorgesehen: Euro-Länder, die sich nicht an die Regeln halten, können mit einer Geldbuße belegt werden. Es wird erwartet, dass das Europäische Parlament und der Rat das Paket im Juni 2011 endgültig verabschieden werden.
Wir werden unsere wirtschaftlichen Prioritäten und unsere haushaltspolitischen Strategien jedes Jahr zur gleichen Zeit erörtern: Unser neuer Koordinierungsmechanismus, mit dem die Umsetzung der Verpflichtungen auf EU-Ebene überwacht werden soll, wird Europäisches Semester genannt. In der ersten Jahreshälfte werden jeweils sowohl die EU-Wirtschaftsagenda auf der Grundlage des von der Kommission im Januar vorgelegten Jahreswachstumsberichts als auch die Prioritäten der Mitgliedstaaten erörtert, die diese im Frühjahr in ihren nationalen Programmen vorstellen. Länderspezifische Empfehlungen werden dann im Juni ausgegeben, d.h. so rechtzeitig, dass sie bei der Aufstellung der nationalen Haushalte und wirtschaftspolitischen Strategien für das Folgejahr berücksichtigt werden können.
2. Wahrung der Stabilität des Euroraums.
Die EU hat auf die staatliche Schuldenkrise im Jahr 2010 mit der Einführung befristeter Rettungsschirme reagiert, die 2013 dauerhaft durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) abgelöst werden. Diese Stützungsmaßnahmen tragen dazu bei, die Finanzstabilität des Euroraums zu erhalten. Sie sind an die Bedingung geknüpft, dass die öffentlichen Finanzen rigoros konsolidiert und Reformprogramme durchgeführt werden, und werden in enger Zusammenarbeit mit dem IWF entwickelt.
3. Beseitigung von Schwachstellen im Finanzsektor.
Die EU hat neue Regeln aufgestellt und Agenturen eingerichtet, um etwaige Probleme früher in Angriff zu nehmen und sicherzustellen, dass alle Finanzakteure einer angemessenen Regulierung und Aufsicht unterliegen. Weitere Arbeiten werden folgen, darunter systematischere und strengere Stresstests für Banken, die inzwischen angelaufen sind. Ein gesunder Finanzsektor ist unverzichtbar, damit Unternehmen und private Haushalte Zugang zur Kreditfinanzierung haben.
1. Stärkung unserer gemeinsamen Wirtschaftsagenda durch engere Überwachung auf EU-Ebene
Ein gemeinsamer Rahmen ist unabdingbar, damit die EU ihre wirtschaftlichen Herausforderungen bewältigen und zu einem kräftigeren Wachstum zurückkehren kann. Dass es in der Vergangenheit kein eindeutiges System der wirtschaftspolitischen Steuerung unter den Mitgliedstaaten gab, hat zu Ungleichgewichten und vertanen Chancen geführt und die Verwundbarkeit der EU bei Ausbruch der Krise erhöht. Damit dies nie wieder geschehen kann, hat die Kommission die Strategie Europa 2020 vorgeschlagen, die im Juni 2010 vom Europäischen Rat gebilligt wurde. Diese Strategie vereint 1. eine gemeinsame Wirtschaftsagenda mit 2. einem verstärkten Rahmen für die Überwachung auf EU-Ebene, der 3. zeitgleich beschlossen und überwacht werden sollte.
1.1 Europa 2020, Jahreswachstumsbericht und Euro-Plus-Pakt
Die Strategie Europa 20201 ist die gemeinsame Wirtschaftsagenda der EU – ein Programm zur Überwindung der Krise und zur Förderung eines intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums in den kommenden 10 Jahren. Sie befasst sich sowohl mit den aus der Krise erwachsenden kurzfristigen Herausforderungen als auch mit Strukturreformen und wachstumsfördernden Maßnahmen, die nötig sind, um Europa dabei zu helfen, die Krise zu überwinden und die Wirtschaft gegenüber wirtschaftlichen Erschütterungen in der Zukunft widerstandsfähiger zu machen.
Europa 2020 basiert auf einfachen und wirksamen Umsetzungsmechanismen, d.h. Zielen, konkreten prioritären Maßnahmen und Überwachung. Sie umfasst Folgendes:
>> Fünf Zielvorgaben für 2020. Für 2020 wurden fünf Ziele festgelegt, die die Anstrengungen in Bereichen voranbringen sollen, die für die Zukunft der EU entscheidend sind: Beschäftigung, Innovation, Klima/Energie, Bildung und soziale Integration. Diese Ziele wurden für die EU insgesamt festgelegt und inzwischen von jedem Mitgliedstaat in nationale Ziele umgesetzt.
>> 75 Prozent der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren sollten in Arbeit stehen.
>> 3 Prozent des EU-BIP sollten für Forschung und Entwicklung aufgewendet werden.
>> Die EU sollte ihre CO2-Emissionen um 20 Prozent senken, ihre Energieeffizienz um 20 Prozent steigern und den Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten Energieverbrauch auf 20 Prozent erhöhen.
>> Der Anteil der Schulabbrecher sollte auf unter 10 Prozent abgesenkt werden, und mindestens 40 Prozent der jüngeren Menschen sollten einen Hochschulabschluss haben.
>> Die Zahl der armutsgefährdeten Menschen sollte um 20 Millionen gesenkt werden.
>> Sieben "Leitinitiativen". Um die Erreichung der Ziele von Europa 2020 voranzutreiben, hat die Kommission sieben "Leitinitiativen" vorgestellt: "Eine Digitale Agenda für Europa", die "Innovationsunion", "Jugend in Bewegung", "Ressourcenschonendes Europa", "Eine Industriepolitik für das Zeitalter der Globalisierung", "Eine Agenda für neue Kompetenzen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten" und die "Europäische Plattform gegen Armut". Die jüngste Verabschiedung der Binnenmarktakte ist ein weiteres Beispiel für die Maßnahmen der Kommission zugunsten von Europa 2020.
>> Zehn konkrete Prioritäten für 2011. Im Januar 2011 hat die Kommission in ihrem Jahreswachstumsbericht das weitere Vorgehen mit unmittelbareren Maßnahmen für die kommenden achtzehn Monate skizziert.
>> Drei Prioritäten zur Gewährleistung makroökonomischer Stabilität: 1. die öffentlichen Finanzen in Ordnung bringen, 2. eingreifen, wenn große Leistungsbilanzdefizite oder -überschüsse erkennbar sind, und 3. die Stabilität des Finanzsektors sichern. Beispiel: Im Jahr 2011 setzen alle Mitgliedstaaten Finanzkonsolidierungspläne um, die strenge Defizitziele schon ab diesem Jahr vorsehen und die Haushaltsdefizite innerhalb festgelegter Fristen unter die 3 Prozent-Marke drücken werden.
>> Vier Prioritäten zur Verstärkung der Strukturreformen: 1. dazu beitragen, dass Menschen (wieder) in Arbeit kommen, indem Arbeit finanziell attraktiver gemacht wird, 2. die dringende Reform der Rentensysteme vorantreiben, 3. Beihilfen für Arbeitslose so gestalten, dass Leistung sich lohnt, und 4. auf dem Arbeitsmarkt ein besseres Gleichgewicht zwischen Flexibilität und Sicherheit schaffen. Dies bedeutet keineswegs die Abkehr von unserem gemeinsamen europäischen Sozialmodell, sondern vielmehr, dass jenen, die derzeit vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, der Wiedereinstieg ermöglicht wird.
>> Drei Prioritäten für frühzeitige Wachstumsimpulse: 1. Abschaffung der noch verbleibenden Binnenmarktbarrieren, 2. mehr Investitionen in Energie, Transport und IT-Infrastruktur, teilweise durch innovative Finanzierungsformen (u.a. projektbezogene EU-Anleihen), und 3. kosteneffizienten Zugang zu Energie. Ein rascheres Wachstum wird auch eine schnellere Haushaltskonsolidierung erleichtern und die Strukturreformen unterstützen.
Angesichts ihrer noch tieferen gegenseitigen Abhängigkeit haben die Mitgliedstaaten des Euroraums sowie sechs Nicht-Euro-Länder ergänzend dazu eine Agenda mit zusätzlichen Reformen vereinbart – den so genannten Euro-Plus-Pakt. Die Nicht-Euro-Länder, die sich zur Unterzeichnung entschlossen haben, sind: Bulgarien, Dänemark, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien. Dieser Pakt ist auf vier Schwerpunktziele ausgerichtet: Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung, langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und Stärkung der Finanzstabilität.
Der Pakt wurde auf der Frühjahrstagung des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 gebilligt. Alle 23 Unterzeichnerstaaten haben sich verpflichtet, die darin ausgeführten Reformen umzusetzen. Die verbleibenden vier Mitgliedstaaten können sich dem Pakt freiwillig anschließen.
Der Pakt ist vollständig eingebettet in den neuen Rahmen der wirtschaftspolitischen Steuerung und die darin übernommenen Verpflichtungen werden in die Nationalen Reformprogramme der betreffenden Mitgliedstaaten aufgenommen.
Ein integrierter Umsetzungsmechanismus, um sicherzustellen, dass aus den EU-Verpflichtungen tatsächlich nationale Reformen werden. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich,
>> nationale Ziele festzulegen, die sie bis 2020 erreichen müssen, womit sie sich auf ihren konkreten Beitrag zu den Gesamtanstrengungen der EU festlegen. Dies ist 2010 geschehen. Die Kommission wacht nun über die Fortschritte;
>> in ihren Nationalen Reformprogrammen (NRP) sowie den Stabilitäts- bzw. Konvergenzprogrammen (SKP) festzulegen, mit welchen Maßnahmen sie in ihrem Land zu den auf EU-Ebene beschlossenen Zielen beitragen wollen. Dabei sollten sie sowohl dem Jahreswachstumsbericht als auch den Schlüsselbereichen des Euro-Plus-Pakts Rechnung tragen. Die NRP und die SKP sollten der Kommission übermittelt werden;
>> diese Maßnahmen über die einzelstaatlichen Haushalte und ihre Gesetzeseingaben in die nationalen Parlamente in konkrete Maßnahmen umzusetzen.
1.2. Engere Überwachung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik durch die EU
Dass die EU ihre selbst gesteckten Ziele in der Wirtschafts- und Finanzpolitik während der letzten Jahren nicht erreicht hat, lag teilweise daran, dass der Überwachungsmechanismus nicht streng genug war. Um dem abzuhelfen, hat die Kommission am 29. September 2010 sechs Rechtsvorschläge (das so genannte "Six Pack") vorgelegt. Es wird erwartet, dass das Europäische Parlament und der Rat dem Paket im Juni 2011 abschließend zustimmen werden.
Mit dem Paket werden im Wesentlichen drei Ziele verfolgt:
>> 1. Ziel: Bessere Prävention durch einen verschärften Stabilitäts- und Wachstumspakt
Die Mitgliedstaaten müssen übermäßige öffentliche Defizite (von über 3 Prozent des BIP) und einen übermäßigen Schuldenstand (von über 60 Prozent des BIP) vermeiden, um die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen nicht zu gefährden. Diese Regeln sind in den Verträgen verankert und im Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) näher ausgeführt.
Verwirklicht wird dies sowohl durch die Überwachung der nationalen Haushalte als auch durch die Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitik (auf der Grundlage von Artikel 121 AEUV). Hierzu legen die Mitgliedstaaten in ihren Stabilitäts- bzw. Konvergenzprogrammen (SKP) alljährlich die Strukturreformen und Anstrengungen dar, die zur Herstellung langfristig tragfähiger öffentlicher Finanzen erforderlich sind.
Das neue System der wirtschaftspolitischen Steuerung bringt in diesem Zusammenhang drei wesentliche Neuerungen:
Mehr Transparenz: Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass der EU-Haushaltsrahmen in all ihren haushaltspolitischen Rahmenvorgaben (auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene) zum Ausdruck kommt. Das heißt, dass alle maßgeblichen Bestandteile – wie das öffentliche Rechnungswesen, die Statistiken und die Prognoseverfahren – an EU-Standards angepasst werden, was für mehr Transparenz und Peer Pressure sorgen wird.
Strengere Regeln: Von Mitgliedstaaten mit unhaltbarer öffentlicher Finanzlage werden signifikante Fortschritte bei dem mittelfristigen Haushaltsziel zur Einhaltung des Defizitkriteriums von 3 Prozent verlangt. Das Ausgabenwachstum sollte an das mittelfristige BIP-Wachstum gekoppelt sein, damit Mehreinnahmen nicht zu höheren Ausgaben führen, sondern die Einsparungen erhöhen. Von Ländern mit einem Schuldenstand von über 60 Prozent des BIP, mit stark steigendem Schuldenstand oder mit Risiken für die langfristige Tragfähigkeit wird erwartet, dass sie sich ihrem mittelfristigen Haushaltsziel schneller annähern.
Bessere Durchsetzung: Bei Nichteinhaltung der vereinbarten Grundsätze muss der betreffende Mitgliedstaat bereits in der präventiven Phase mit einer Verwarnung durch die Kommission rechnen. Bei fortwährenden und/oder besonders gravierenden Regelverstößen legt die Kommission eine Empfehlung an den betreffenden Mitgliedstaat mit entsprechenden Korrekturmaßnahmen vor. Die Empfehlung wird vom Rat erlassen, wenn sie nicht von einer qualifizierten Mehrheit der Mitgliedstaaten abgelehnt wird (Abstimmungsverfahren mit "umgekehrter qualifizierter Mehrheit"). Für die Euroraum-Mitgliedstaaten wird die Empfehlung durch einen Durchsetzungsmechanismus (auf der Grundlage von Artikel 136 AEUV) ergänzt, der eine verzinsliche Einlage in Höhe von 0,2 Prozent des BIP vorsieht. Diese präventive Komponente des SWP wurde durch den Euro-Plus-Pakt weiter gestärkt, mit dem sich die Mitgliedstaaten des Euroraums (und einige andere Mitgliedstaaten) verpflichtet haben, die im SWP verankerten haushaltspolitischen Vorschriften der EU mit einem einzelstaatlichen Rechtsinstrument ihrer Wahl in nationales Recht umzusetzen. Das betreffende Rechtsinstrument sollte ausreichend verbindlich und dauerhaft sein (z.B. Verfassung oder Rahmengesetz).
>> 2. Ziel: Bessere Korrektur durch einen verschärften Stabilitäts- und Wachstumspakt
Hält ein Mitgliedstaat die in den Verträgen festgelegten Schwellenwerte nicht ein, kommt das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (Defizitverfahren) in Gang. Allerdings zeigen die derzeitige Haushaltslage fast aller Mitgliedstaaten und die Probleme bei der Staatsfinanzierung einiger Mitgliedstaaten, dass das bisherige Defizitverfahren nicht wirkungsvoll war. Die Kommission hat vorgeschlagen, dem SWP durch eine bessere Durchsetzung und die Möglichkeit, Geldbußen gegen Mitgliedstaaten zu verhängen (siehe oben), mehr Schlagkraft zu verleihen. Die beiden wesentlichen Neuerungen sind:
Strengere Regeln: der Schuldenabbau wird bei der Bewertung der öffentlichen Finanzlage künftig ein Kriterium sein. Mitgliedstaaten mit einem Schuldenstand von über 60 Prozent des BIP müssen den Betrag, mit dem sie über der Schwelle liegen, künftig über einen Zeitraum von drei Jahren um mindestens ein Zwanzigstel pro Jahr senken. Andernfalls wird ein Defizitverfahren gegen sie eingeleitet. Bei der Bewertung, ob der Schuldenstand rasch genug abgebaut wird, sind alle im Kommissionsvorschlag erläuterten einschlägigen Faktoren zu berücksichtigen.
Bessere Durchsetzung: Euroraum-Staaten, gegen die ein Defizitverfahren läuft, müssen 0,2 Prozent ihres BIP als unverzinsliche Einlage hinterlegen. Die Kommission legt den Entwurf einer Empfehlung an den betreffenden Mitgliedstaat mit entsprechenden Korrekturmaßnahmen vor. Diese Empfehlung wird vom Rat erlassen, wenn keine qualifizierte Mehrheit von Mitgliedstaaten dagegen stimmt (Abstimmungsverfahren mit "umgekehrter qualifizierter Mehrheit"). Wird die ursprüngliche Empfehlung für Korrekturmaßnahmen nicht befolgt, wird diese unverzinsliche Einlage in eine Geldbuße umgewandelt. Bei wiederholtem Verstoß gegen die Empfehlungen wird die Geldbuße erhöht.
>> 3. Ziel: Abbau makroökonomischer Ungleichgewichte und auseinanderklaffender Wettbewerbsfähigkeit.
In den letzten zehn Jahren haben die Mitgliedstaaten die Weichen in ihrer Wirtschaftspolitik unterschiedlich gestellt, so dass die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der EU auseinanderklafft und makroökonomische Ungleichgewichte entstanden sind. Um solche Entwicklungen erheblich früher zu erkennen und zu korrigieren, wird ein neuer Überwachungsmechanismus eingeführt.
Dieser umfasst im Wesentlichen Folgendes:
Ein klares Warnsystem: ein Scoreboard mit (rund zehn) außen- und binnenwirtschaftlichen Indikatoren soll die Entstehung von Ungleichgewichten in den verschiedenen Teilen der Wirtschaft frühzeitig anzeigen. Die Zusammensetzung der Indikatoren kann sich mit der Zeit ändern. Die einschlägigen Schwellenwerte werden festgelegt und bekanntgegeben. Die Beurteilung der Indikatoren erfolgt nicht rein mechanisch, sondern wird von der Kommission auf der Grundlage einer eingehenden Überprüfung, der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme und der nationalen Reformprogramme durchgeführt.
Strengere Regeln: auf der Grundlage von Artikel 121 AEUV wird ein neues Verfahren bei einem übermäßigen Ungleichgewicht (Ungleichgewichtsverfahren) eingeführt. Dieses ist dem für die öffentlichen Finanzen geltenden Defizitverfahren nachempfunden. Gelangt die Kommission zu der Auffassung, dass ein makroökonomisches Ungleichgewicht besteht (oder sich ergeben könnte), schlägt sie dem Rat die Einleitung des entsprechenden Verfahrens vor und empfiehlt, dass der/die betroffene(n) Mitgliedstaat(en) innerhalb einer bestimmten Frist einen Korrekturmaßnahmenplan beschließt/beschließen, in dem er/sie sich auf einen klaren Fahrplan mit Durchführungsmaßnahmen festlegt/festlegen. Die erzielten Fortschritte werden regelmäßig überprüft.
Bessere Durchsetzung: Für Euroländer sehen die Durchsetzungsmechanismen für den Fall, dass Ungleichgewichte nicht korrigiert werden, sowohl Geldbußen (0,1 Prozent des BIP) als auch nichtfinanzielle Maßnahmen vor.
1.3. Das "Europäische Semester"
Früher nahmen die EU-Institutionen die Wirtschaftspolitik im Frühjahr und den Haushaltsrahmen im Herbst unter die Lupe, wobei erst im Nachhinein überprüft wurde, inwieweit die Mitgliedstaaten ihre auf EU-Ebene gemachten Zusagen umgesetzt hatten. Im Grunde wurden die wirtschaftspolitischen Ziele also festgelegt, ohne dass zwangsläufig bekannt war, wie viel Geld dafür zur Verfügung stehen würde.
Von nun an werden die Mitgliedstaaten und die Kommission Strukturreformen, wachstumsfördernde Maßnahmen und die Haushaltsüberwachung gleichzeitig erörtern. Die entsprechenden Diskussionen werden alljährlich auf EU-Ebene von Januar bis Juni geführt (das "Europäische Semester" bezeichnet also im Grunde jeweils die erste Jahreshälfte). Auf diese Weise wird Europa sicherstellen, dass wirtschaftspolitische Beschlüsse und budgetäre Sachzwänge miteinander in Einklang stehen. Dies dürfte die Effektivität und die Umsetzung auf nationaler Ebene verbessern. Die im Rahmen des Euro-Plus-Pakts übernommenen zusätzlichen Verpflichtungen werden ebenfalls vollends in diesen neuen Prozess eingebunden.
Wie wird dies in der Praxis aussehen?
Januar: Kursvorgabe durch die Kommission. Mit der Vorlage ihres Jahreswachstumsberichts stößt die Kommission den jeweiligen Zyklus an. Dieser Bericht enthält eine klare Einschätzung der EU-Wirtschaftslage und Orientierungen für weitere notwendige Reformen sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene. Er widmet sich drei wirtschaftlichen Komponenten: makroökonomische Strategie und Haushaltspolitik, Strukturreformen und Wachstumsförderung.
März: politische Billigung durch den Europäischen Rat. Auf der Frühjahrstagung erörtert und billigt der Europäische Rat den Fahrplan für Wirtschaftsreform und Haushaltspolitik in einem speziellen Kapitel seiner Schlussfolgerungen. Die Staats- und Regierungschefs werden die Wirtschaftsagenda und den Rahmen für die haushaltspolitische Überwachung somit zu ihrem ureigenen Anliegen machen und sich auf deren ordnungsgemäße Umsetzung in ihrem jeweiligen Land verpflichten.
April/Mai: Vorlage der nationalen Programme. Die Mitgliedstaaten werden der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten sodann ihre Nationalen Reformprogramme (NRP) und ihre Stabilitäts- bzw. Konvergenzprogramme (SKP) übermitteln (Euroraum-Teilnehmer legen Stabilitätsprogramme, die anderen Mitgliedstaaten Konvergenzprogramme vor). Die NRP enthalten die Zeitpläne der Mitgliedstaaten für Strukturreformen und Maßnahmen zur Förderung von Wachstum und Arbeitsplätzen; sie zeigen auf, wie die Mitgliedstaaten die Europa-2020-Ziele erreichen wollen. Außerdem enthalten sie die kurzfristigen Verpflichtungen, die die am Euro-Plus-Pakts teilnehmenden Länder eingegangen sind. Die SKP dagegen enthalten nationale Pläne für solide und tragfähige öffentliche Finanzen. Die zeitliche Abstimmung der Abfassung dieser beiden Programme wird dafür sorgen, dass die Prozesse gestrafft werden, und trägt den Wechselwirkungen zwischen soliden öffentlichen Finanzen und Strukturreform Rechnung.
Juni: Empfehlungen der Kommission. Nach gebührender Prüfung dieser nationalen Berichte wird die Kommission dem Rat jeweils im Juni Entwürfe für länderspezifische Empfehlungen vorlegen, in denen der Fortschritt bzw. Rückstand der einzelnen Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen aufgezeigt wird. Diese Empfehlungen werden auf der Junitagung des Europäischen Rates erörtert und anschließend vom Rat verabschiedet. Bei der Aufstellung ihrer Haushalte für das Folgejahr werden die Mitgliedstaaten die vom Rat vorgegebenen Orientierungen berücksichtigen. Die Haushaltsentwürfe werden auch in Zukunft jeweils in der zweiten Jahreshälfte in die nationalen Parlamente eingebracht, die nach wie vor die volle Haushaltsgewalt ausüben. Mit anderen Worten werden die Hoheitsrechte der nationalen Parlamente mit dem neuen Rahmen in keiner Weise beschnitten.
2. Sicherung der Stabilität des Euroraums
Die Wirtschaftskrise hat die öffentlichen Finanzen stark belastet, so dass die öffentlichen Defizite und Schuldenstände in allen Mitgliedstaaten angewachsen sind. Drei Mitgliedstaaten, die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehören, erhielten eine finanzielle Unterstützung durch die EU (durch den Zahlungsbilanzmechanismus), den IMF und die Weltbank. Im Gegenzug mussten sie zustimmen, Programme zur Haushaltskonsolidierung und Strukturreformen durchzuführen. Das erste wurde mit Ungarn vereinbart, das zwischen Oktober 2008 und November 2010 Finanzhilfen in Höhe von 5,5 Mrd. EUR erhielt. Ein zweites Programm wurde im Januar 2009 für Lettland beschlossen – als Ausgleich für eine Unterstützung in Höhe von 7,5 Mrd. EUR. Und ein drittes Programm wurde mit Rumänien im Mai 2009 vereinbart: Das Land soll 5 Mrd. EUR erhalten. Die Programme Rumäniens und Lettlands laufen derzeit.
Seit 2010 hat sich die Entwicklung der Staatsschulden zu einem ernsten Problem ausgewachsen, und einigen Mitgliedstaaten des Euroraums ist eine nachhaltige Finanzierung über die Märkte unmöglich geworden.
Um die Stabilität des Euroraums insgesamt zu bewahren und einzelnen Mitgliedstaaten, die mit finanziellen Schwierigkeiten und/oder ernsthaftem Druck von Seiten der Märkte zu kämpfen haben, zu helfen, wurden für den Fall der Fälle befristete Rettungsschirme aufgespannt. Außerdem wurde beschlossen, ab 1. Juli 2013 einen dauerhaften Rettungsmechanismus einzurichten.
So kann Euroraum-Mitgliedstaaten auf Antrag finanzieller Beistand unter strengen Auflagen gewährt werden, die in einem von Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) im Kontakt mit der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgehandelten wirtschaftlichen Anpassungsprogramm zum Ausdruck kommen. Diese Mechanismen verschaffen der EU die nötige Handlungsfähigkeit, um den Euro selbst in äußersten Stressszenarien verteidigen zu können. Sie sind klarer Ausdruck der Interessengemeinschaft und der Solidarität im Euroraum sowie der individuellen Verantwortung eines jeden Mitgliedstaats gegenüber den anderen.
>> Mechanismus bilateraler Darlehen (für Griechenland). Am 2. Mai 2010 wurde ein Ad-hoc-Mechanismus eingerichtet, um die unmittelbar drohende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands abzuwenden. Die Mitgliedstaaten des Euroraums beschlossen, gemeinsam mit dem IWF über einen Zeitraum von drei Jahren insgesamt 110 Mrd. EUR an bilateralen Darlehen zu Sonderzinsen für Griechenland bereitzustellen. Diese Darlehen wurden davon abhängig gemacht, dass das Land ein rigoroses Konsolidierungsprogramm durchführt, und mit Kommission, EZB und IWF abgesprochen. Die Kommission überwacht die Fortschritte vierteljährlich vor Ort und erstattet den Finanzministern Bericht.
Mit der Vereinbarung vom 11. März 2011 wurden die Laufzeiten der künftigen und der bereits ausgezahlten Tranchen der Darlehen für Griechenland an die Laufzeit des Darlehens für Irland (durchschnittlich siebeneinhalb Jahre) angepasst. Außerdem wurde beschlossen, die Zinsen der künftigen und der bereits ausgezahlten Tranchen der Darlehen für Griechenland um 100 Basispunkte abzusenken.
>> Befristete Mechanismen im Volumen von bis zu 500 Mrd. EUR (2010-2013). Angesichts der anhaltenden Spannungen an den Staatsanleihemärkten beschlossen die Euroraum-Mitgliedstaaten und die Kommission am 10 Mai 2010, zw
i befristete Rettungsschirme im Volumen von maximal 500 Mrd. EUR für den Fall einzurichten, das ein weiterer Euroraum-Staat Hilfe benötigen sollte. Dabei handelt es sich um den Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM), der auf Garantien aus dem EU-Haushalt von bis zu 60 Mrd. EUR basiert, und um die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), eine durch Vertrag zwischen den Euroraum-Staaten geschaffene Einrichtung, die Garantien der Euroraum-Staaten in Höhe von maximal 440 Mrd. EUR bereitstellt. Der IWF beschloss, diese Rettungsschirme durch eine potenzielle finanzielle Unterstützung der Euroraum-Länder von bis zu 250 Mrd. EUR zu ergänzen.
Im November 2010 beantragte Irland 85 Mrd. EUR an Hilfen aus diesen neuen Mechanismen, nachdem sich seine Finanzlage aufgrund außergewöhnlicher Probleme im Bankensektor, die zu den Auswirkungen der Rezession noch erschwerend hinzukamen, rapide verschlechtert hatte. Kommission, IWF und EZB handelten daraufhin ein entsprechendes Programm aus. Das Vereinigte Königreich, Dänemark und Schweden beschlossen, diese Finanzhilfe durch bilaterale Darlehen zu ergänzen.
Angesichts der Erfahrungen Irlands und um etwaigen weiteren Anträgen schon vor 2013 entsprechen zu können, hat der Europäische Rat bestimmte Komponenten dieser befristeten Mechanismen am 24./25. März noch verbessert. Die Zinsen für EFSF-Darlehen (und später auch für EFSM-Darlehen) wurden abgesenkt, um der langfristigen Tragfähigkeit der Schuldenlage der betreffenden Länder besser Rechnung zu tragen, doch liegen sie entsprechend den Grundsätzen des IWF nach wie vor über den Finanzierungskosten der Fazilität. Außerdem wurden die Einsatzmöglichkeiten der EFSF flexibler gestaltet: So kann sie im Kontext eines an strenge Auflagen gebundenen Programms in Ausnahmefällen auch am Primärmarkt intervenieren (d.h. neu aufgelegte Staatsanleihen ankaufen). Schließlich soll die vereinbarte Darlehenskapazität der EFSF von 440 Mrd. EUR entsprechend den Empfehlungen der Kommission voll ausgeschöpft werden. Die Änderungen an den rechtlichen Vereinbarungen über die EFSF werden so vorbereitet, dass sie unter uneingeschränkter Achtung der nationalen verfassungsrechtlichen Anforderungen bis Ende Juni 2011 von den nationalen Parlamenten verabschiedet werden können.
Im Mai 2011 wurde auch Portugal eine Finanzhilfe in Höhe von 78 Mrd. EUR gewährt, um dem Land die Möglichkeit zu geben, seine Finanzierungsprobleme zu bewältigen. Zwei Drittel der Hilfe kommen aus EU-Quellen: 26 Mrd. EUR aus der EFSF und 26 Mrd. EUR aus dem EFSM, während die restlichen 26 Mrd. EUR vom IWF bereitgestellt werden. Die Hilfe wird über einen Zeitraum von drei Jahren ausgezahlt, je nach Ergebnis der vierteljährlichen Bewertung, wie Portugal das vereinbarte Programm umsetzt, das eine ambitionierte Konsolidierung der Staatsfinanzen, breit gefächerte Reformen für mehr Wachstum und Beschäftigung sowie Maßnahmen zur Stärkung der Finanzsektorstabilität beinhaltet.
>> Europäischer Stabilitätsmechanismus (ab 1. Juli 2013). Im vergangenen Herbst beschlossen die Mitgliedstaaten des Euroraums, einen im AEUV verankerten dauerhaften Mechanismus einzurichten und so die nötige Struktur zu schaffen, um etwaigen Anträgen auf finanziellen Beistand auch nach 2013 entsprechen zu können.
Der Europäische Stabilitätsmechanismus15 (ESM) wird einen dauerhaften Krisenbewältigungsrahmen bieten und ab 1. Juli 2013 die Aufgabe der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und des Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) übernehmen, die darin besteht, für Mitgliedstaaten des Euroraums externe Finanzhilfe bereitzustellen. Der Zugang zur Finanzhilfe des ESM wird unter strengen Auflagen im Rahmen eines makroökonomischen Anpassungsprogramms und auf der Grundlage einer rigorosen Prüfung der Tragbarkeit der Staatsverschuldung gewährt, die die Kommission zusammen mit dem IWF im Benehmen mit der EZB durchführt. Vom Empfängermitgliedstaat wird verlangt, dass er – unter Berücksichtigung der spezifischen Gegebenheiten und in voller Übereinstimmung mit der Praxis des IWF – für eine Beteiligung des Privatsektors in angemessener Form Sorge trägt. Nicht zum Euroraum gehörende Mitgliedstaaten können beschließen, sich auf Ad-hoc-Basis an Maßnahmen im Rahmen des ESM zu beteiligen (wie es aktuell bei Irland der Fall ist).
Die Modalitäten des ESM, einschließlich Leitung, Kapital- und Beteiligungsstruktur, Sitz, Instrumente und IWF-Beteiligung wurden auf der Tagung der Eurogruppe am 11. März festgelegt und am 24./25. März vom Europäischen Rat bestätigt. Der ESM wird über eine effektive Darlehenskapazität von 500 Mrd. EUR verfügen (gezeichnetes Gesamtkapital von 700 Mrd. EUR, davon 80 Mrd. EUR an eingezahltem Kapital und 620 Mrd. EUR an gebundenem abrufbarem Kapital in Kombination mit Bürgschaften der Euroraum-Mitgliedstaaten).
Die Einrichtung des ESM erfordert eine Änderung des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (Artikel 136). Nach den befürwortenden Stellungnahmen von Kommission und Europäischem Parlament hat der Europäische Rat dieser Änderung im Februar und März 2011 zugestimmt und somit den Weg für die Ratifikation durch die nationalen Parlamente frei gemacht.
3. Beseitigung von Schwachstellen im Finanzsektor
Seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 hat sich die EU mit ihren Maßnahmen vor allem darauf konzentriert, Lücken in der Finanzregulierung zu schließen und die Finanzaufsicht zu stärken, um so mehr Stabilität, Transparenz und Vertrauen zu schaffen.
Im Januar 2011 wurde mit dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board – ESRB) eine neue Finanzaufsichtsarchitektur geschaffen, die echten Biss hat und gewährleisten soll, dass makroökonomische Risiken rechtzeitig entdeckt werden. Diese wird durch drei sektorale europäische Aufsichtsbehörden ergänzt: die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA mit Sitz in London), die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA mit Sitz in Frankfurt) und die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA mit Sitz in Paris).16
Strengere Eigenkapitalvorschriften für Banken, Wertpapierfirmen und Versicherungsunternehmen werden festgelegt: eine vierte Änderung der Eigenkapitalrichtlinie für Banken und Wertpapierfirmen (CRD) und eine Richtlinie "Solvabilität II" für Versicherungsunternehmen (die 2013 in Kraft treten wird). Ein besseres Risikomanagement der Finanzinstitute wird durch die bestehenden und neuen Vorschriften erleichtert, die die von Finanzinstituten gezahlten Vergütungen und Boni regeln und Anreize für die Übernahme kurzfristiger Risiken verringern. Ein ganzheitlicher Ansatz wird sicherstellen, dass kein Finanzakteur, kein Markt und kein Produkt einer angemessenen Regulierung und wirksamen Aufsicht entgeht.17 Maßnahmen wurden bereits ergriffen, um einen Rahmen für Hedgefonds und Private Equity zu schaffen und Regeln für Rating-Agenturen einzuführen, doch muss noch mehr getan werden. Weitere Initiativen werden derzeit verhandelt oder stehen in naher Zukunft18 an, unter anderem zu Derivaten, Leerverkäufen, Finanzmärkten und Marktmissbrauch. Die Kommission hat sich verpflichtet, alle nötigen Rechtsvorschläge zur Umsetzung der auf den G20-Gipfeln von London, Pittsburgh und Washington gemachten Zusagen noch vor Sommerende 2011 vorzulegen.
Unabdingbar ist auch die Überwindung des aktuellen "Moral Hazard", bei dem sich die Banken de facto darauf verlassen, dass der Staat bei ernsthaften Schwierigkeiten als Retter in der Not einspringen wird. Darum wird die Kommission in den nächsten Monaten einen umfassenden Rahmen für die Abwicklung zahlungsunfähiger Banken vorlegen – um sicherzustellen, dass Banken in eine geordnete Insolvenz gehen können und Probleme nicht auf den Steuerzahler abgewälzt werden.
Parallel dazu laufen Arbeiten zur Sicherung der Tragfähigkeit des Bankensektors und zur Überwindung der Krise.
Stresstests für Banken sind dabei eines der Aufsichtsinstrumente, die auf EU-Ebene eingesetzt werden, um mögliche Schwachstellen aufzudecken und Insolvenzen oder einem Systemausfall vorzubeugen. Konkret werden dabei die Krisenfestigkeit des EU-Bankensektors insgesamt und die Solvabilität einzelner Banken unter der Hypothese widriger Ereignisse auf den Prüfstand gestellt. Bei diesen Tests ist die EBA federführend. Beteiligt sind außerdem die EZB, die Kommission und die nationalen Aufsichtsbehörden, die die Tests auf nationaler Ebene durchführen.
Seit 2008 wurden zwei Serien von Stresstests durchgeführt. Die EBA hat im März eine neue Stresstestrunde bei einer breiten Stichprobe von EU-Banken eingeleitet. Vorgesehen sind ein rigoroser Peer Review und eine Qualitätskontrolle, deren Ergebnisse Mitte Juni 2011 veröffentlicht werden sollen. Bei den von den Banken eingegangenen Risiken muss volle Transparenz herrschen. Banken, die laut Stresstest anfällig und möglicherweise unterkapitalisiert sind, müssen die nötigen Abhilfemaßnahmen treffen. Schon vor Veröffentlichung der neuen Stresstestergebnisse werden die Mitgliedstaaten spezifische Sanierungspläne für die Restrukturierung anfälliger Institute vorlegen, einschließlich etwaiger marktbasierter Lösungen wie einer direkten Finanzierung über die Märkte oder Veräußerungen von Aktiva, aber auch solider Rahmenvorgaben für die Rekapitalisierung einzelner Institute und ggf. einer beschleunigten Restrukturierung von Banken im Rahmen der EU-Beihilfevorschriften. Die von der EBA in enger Zusammenarbeit mit EZB, ESRB und Kommission entwickelten Stressszenarios sind rigoros und werden den Bedenken der Märkte hinsichtlich des Strengegrads und der Reichweite der Tests gerecht. Zur Ermittlung des Staatsanleiherisikos werden Schocks bei den Handelsbuchpositionen der Banken simuliert.
Unabhängig davon überprüft die EBA die Finanzierungsstrukturen der Banken und die Liquidität ihrer Anlagebestände.
Glossar: Zentrale Begriffe zum Thema Wirtschaftsregierung
Jahreswachstumsbericht (JWB) – In dem von der Kommission jeweils am Jahresanfang vorgelegten Jahreswachstumsbericht werden die wirtschaftlichen Prioritäten für die EU dargelegt, mit denen in den nächsten zwölf Monaten das Wachstum angekurbelt und Arbeitsplätze geschaffen werden sollen. Der Jahreswachstumsbericht ist Grundlage für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates, der Richtungsvorgaben macht, die bis April/Mai in nationale Pläne umgesetzt werden. Die Vorlage des Jahreswachstumsberichts ist außerdem der Auftakt zum Europäischen Semester.
Euro-Plus-Pakt – Der Euro-Plus-Pakt ist eine Zusatzagenda zum Jahreswachstumsbericht mit zusätzlichen Reformen, auf die sich die Mitgliedstaaten des Euroraums festgelegt haben; andere Mitgliedstaaten können sich dem Pakt freiwillig anschließen (Bulgarien, Dänemark, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien haben dies bereits getan). Im Mittelpunkt des im März 2011 vereinbarten Pakts stehen Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung, langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und Stärkung der Finanzstabilität.
Europa 2020 – Dies ist die gemeinsame Wirtschaftsagenda der EU: eine auf zehn Jahre angelegte Reformstrategie für mehr Wachstum und Beschäftigung unter Förderung der sozialen Integration und Bekämpfung des Klimawandels. Die im März 2010 vereinbarte Strategie legt fünf wachstumsentscheidende Schlüsselbereiche und fünf Ziele fest, die bis 2020 in den Bereichen Beschäftigung, Forschung und Innovation, Energie, Bildung und Armutsbekämpfung erreicht werden sollen.
Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) – Die im Mai 2010 geschaffene EFSF ist eine durch Vertrag zwischen den Euroraum-Staaten geschaffene Einrichtung, die finanzhilfebedürftigen Euroraum-Staaten bis zu 440 Mrd. EUR an Darlehen zur Verfügung stellen kann. Garantiert werden diese Darlehen von den Mitgliedstaaten des Euroraums selbst. Die EFSF wird ab 1. Juli 2013 durch den ESM ersetzt.
Europäischer Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) – Der ebenfalls im Mai 2010 eingerichtete EFSM kann finanzhilfebedürftigen Mitgliedstaaten des Euroraums bis zu 60 Mrd. EUR an Darlehen zur Verfügung stellen. Der EFSM ist durch eine Garantie aus dem EU-Haushalt abgesichert, wird jedoch nicht aus dem EU-Haushalt finanziert. Die EFSM wird ebenfalls ab 1. Juli 2013 durch den ESM ersetzt.
Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) – Der dauerhafte Krisenbewältigungsmechanismus der EU wird ab 1. Juni 2013 zur Verfügung stehen. Er wird den EFSM und die EFSF als Mechanismus zur Unterstützung finanzhilfebedürftiger Euroraum-Staaten ablösen. Die Hilfe wird an strenge politische Auflagen gebunden und mit einem makroökonomischen Anpassungsprogramm verknüpft. Die Modalitäten des ESM wurden vom Europäischen Rat auf seiner Tagung im März 2011 festgelegt. Er wird über eine effektive Darlehenskapazität von 500 Mrd. EUR verfügen. Um die Einrichtung des ESM zu ermöglichen, wurde eine Änderung an Artikel 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU beschlossen.
Europäisches Semester – Ab 2011 wird jeweils in der ersten Jahreshälfte ein Zyklus intensiver politischer Koordinierung zwischen den EU-Institutionen und den 27 Mitgliedstaaten stattfinden, der sowohl die Wirtschaftsagenda als auch die haushaltspolitische Überwachung umfasst. Dies ist eine zentrale Komponente der verstärkten wirtschaftspolitischen Steuerung. Das Europäische Semester beginnt im Januar mit der Vorlage des Jahreswachstumsberichts der Kommission, der die Prioritäten für die EU im Bereich Wirtschaftsreform und Finanzkonsolidierung enthält. Diese Prioritäten werden dann erörtert und im März vom Europäischen Rat gebilligt. Im April legen die Mitgliedstaaten der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten ihre Nationalen Reformprogramme und ihre Stabilitäts- bzw. Konvergenzprogramme vor. Die Kommission verfasst Empfehlungen zu diesen Programmen, die im Juni vom Europäischen Rat gebilligt und im Juli förmlich vom Rat verabschiedet werden. Diese Richtungsvorgaben werden von den Mitgliedstaaten bei der Aufstellung ihrer Haushalte berücksichtigt, die nach dem üblichen Verfahren in der zweiten Jahreshälfte von den nationalen Parlamenten erörtert werden. Dadurch wird sichergestellt, dass in diesen Prozess erstmals eine europäische Dimension einfließt.
Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (Defizitverfahren) - Die Mitgliedstaaten müssen übermäßige öffentliche Defizite (von über 3 Prozent des BIP) und einen übermäßigen öffentlichen Schuldenstand (von über 60 Prozent des BIP) vermeiden. Die Kommission hat vorgeschlagen, das bestehende Defizitverfahren, mit dem verhindert werden soll, dass Regierungen diese Schwellenwerte nicht einhalten, zu verschärfen. Hält ein Mitgliedstaat die Schwellenwerte nicht ein, beschließt der Rat auf Empfehlung der Kommission, das Defizitverfahren einzuleiten. Euroraum-Staaten, gegen die ein Defizitverfahren läuft, müssen 0,2 Prozent ihres BIP als unverzinsliche Einlage hinterlegen und die vom Rat empfohlenen Korrekturmaßnahmen einleiten. Leistet ein Land der Empfehlung nicht Folge, wird die Einlage in eine Geldbuße umgewandelt.
Verfahren bei einem übermäßigen Ungleichgewicht (Ungleichgewichtsverfahren) – Ein zentraler Bestandteil des neuen Systems der wirtschaftspolitischen Steuerung ist das verstärkte Augenmerk auf der Überwachung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte und auseinanderklaffender Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere im Euroraum. Mit Hilfe eines Scoreboards mit rund zehn außen- und binnenwirtschaftlichen Indikatoren wird die Kommission die Entstehung von Ungleichgewichten in den verschiedenen Teilen der Wirtschaft frühzeitig erkennen. Auf Empfehlung der Kommission kann der Rat ein Verfahren bei einem übermäßigen Ungleichgewicht gegen einen Mitgliedstaat einleiten, in dem ein Ungleichgewicht besteht oder zu entstehen droht. Versäumt es ein Euroraum-Staat, Ungleichgewichte nach einem vereinbarten Fahrplan innerhalb einer vorgegebenen Frist zu korrigieren, droht ihm eine Geldbuße von 0,1 Prozent des BIP.
Nationales Reformprogramm (NRP) – Im Anschluss an den Europäischen Rat vom März übermitteln alle Mitgliedstaaten der Kommission im April/Mai ein NRP. Darin wird dargelegt, welche Wirtschaftsreformen und wachstumsfördernden Maßnahmen im kommenden Jahr und danach verabschiedet werden sollen, damit der betreffende Mitgliedstaat den Zielen, auf die er sich im Rahmen von Europa 2020 festgelegt hat, näherkommt. Die Mitgliedstaaten legen ihre NRP zusammen mit ihren Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen (bei denen die Finanzkonsolidierung im Mittelpunkt steht) vor. Die Kommission stützt ihre länderspezifischen Empfehlungen auf beide Programme.
Stabilitäts- bzw. Konvergenzprogramme (SKP) – In den auf die Märztagung des Europäischen Rates folgenden Wochen übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission ihre Pläne für solide öffentliche Finanzen und eine tragfähige Haushaltspolitik. Die Länder des Euroraums legen so genannte Stabilitätsprogramme vor, die anderen Mitgliedstaaten Konvergenzprogramme. Die Kommission bewertet diese Programme zusammen mit den Nationalen Reformprogrammen der Mitgliedstaaten im Zeitraum April/Mai. Ihre Empfehlungen werden im Juni vom Europäischen Rat gebilligt und kurz darauf vom Rat formell verabschiedet.
Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) – Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist der Rahmen, mit dem die EU eine tragfähige öffentliche Finanzlage aller 27 Mitgliedstaaten und insbesondere des Euroraums sicherstellt. Die Reformen am System der wirtschaftspolitischen Steuerung der EU, die im Juni 2011 förmlich beschlossen werden, werden den SWP – was die Stadien der Vermeidung wie auch der Durchsetzung angeht – eindeutiger, stärker und wirkungsvoller machen. Öffentlicher Schuldenstand und öffentliches Defizit werden als Kriterien erstmals dasselbe Gewicht erhalten. Den Mitgliedstaaten werden signifikante Fortschritte in Richtung auf ihre mittelfristigen Haushaltsziele und die Eindämmung des Ausgabenwachstums auf eine dem BIP-Wachstum entsprechende Rate abverlangt. Für Euroraum-Staaten, die keine Korrekturmaßnahmen treffen, um diese Ziele innerhalb einer vorgegebenen Frist zu erreichen, wird die Kommission eine Geldbuße in Höhe von 0,2 Prozent des BIP empfehlen. Diese Geldbußen werden wirksam, wenn nicht eine qualifizierte Mehrheit von Mitgliedstaaten dagegen stimmt.
(Europäische Kommission: ra)
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