Finanzmarkt benötigt ein Frühwarnsystem
vzbv kritisiert "Mini-Reförmchen" – Initiative Finanzmarktwächter: Protokollpflicht läuft ins Leere
Aktueller Beleg für die Misere im Finanzmarkt ist eine Untersuchung der Initiative Finanzmarktwächter zur Umsetzung der Protokollpflicht in der Anlageberatung
(19.03.12) - Eine Finanzaufsicht mit Biss und einen starken Finanzmarktwächter fordern der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und die Verbraucherzentralen im Vorfeld des Weltverbrauchertages. "Die bisher vorgesehenen Maßnahmen sind Stückwerk und setzen nicht an den Ursachen der Missstände an", kritisiert vzbv-Vorstand Gerd Billen die Bundesregierung. Politischer Wille und ein Gesamtkonzept seien nicht erkennbar. "Auch dreieinhalb Jahre nach der Lehman-Pleite bestimmen nach wie vor die Höhe der Provision und Vertriebsvorgaben über Vertragsabschlüsse und nicht der Bedarf der Verbraucher", konstatiert Billen.
Um Missstände systematisch aufdecken und verfolgen zu können, fordert der vzbv, dass Verbraucherschutz explizites Ziel der staatlichen Finanzaufsicht wird. Zudem spricht er sich für den Ausbau der unabhängigen Finanzberatung und eine deutliche Stärkung der Finanzmarktwächterfunktion der Verbraucherzentralen und des vzbv aus. "Wer einen funktionierenden Finanzmarkt haben will, muss eine effektive Finanzmarktkontrolle schaffen, in der Verbraucherschutz eine zentrale Rolle spielt", so Billen. "Hier duckt sich die Bundesregierung weg."
Entwurf zur Aufsichtsreform nicht mehr als Kosmetik
Als enttäuschend bewertet der vzbv das geplante "Mini-Reförmchen" der Bundesregierung zur Finanzaufsicht, wie es der Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums vorsieht. Ohne ein klares Mandat, sich auch um die Belange der Verbraucher kümmern zu müssen, ohne formalisierte Beteiligungsformen und ohne entsprechende Mittel wird es weiterhin nur um die Solvenzsicherung gehen. "Die zusätzlichen Mittel für die Stiftung Warentest begrüßen wir ausdrücklich", so Billen. Aber der neue Finanz-TÜV, der Produktsicherheit suggeriert, werde das systematische Problem der Falsch- und Schlechtberatung nicht in den Griff bekommen. Die Stiftung Warentest kann testen und informieren, nicht aber regulieren.
Schnüffeln, bellen, beißen
"Der Finanzmarkt benötigt ein Frühwarnsystem, das Mängel und Missstände aufdeckt und hilft, sie abzustellen", stellt Billen klar. Er fordert die Marktwächterrolle der Verbraucherzentralen zu stärken. Sie erfahren frühzeitig, an welchen Stellen der Finanzmarkt nicht funktioniert, wo Verbraucher übervorteilt werden und finanzielle Verluste erleiden. Auch die Erfahrungen der Initiative Finanzmarktwächter zeigen: Verbraucher haben noch immer keine echte Wahl, weil Produkte zu komplex, Informationen unzureichend und Beratungen viel zu oft mangelhaft sind. Billen: "Hier muss ein Wachhund her, der schnüffelt, bellt und wenn nötig zubeißt."
Protokollpflicht: schlechter als ihr Ruf
Aktueller Beleg für die Misere im Finanzmarkt ist eine Untersuchung der Initiative Finanzmarktwächter zur Umsetzung der Protokollpflicht in der Anlageberatung. "Die beobachtete Praxis stellt das erklärte Ziel der Regelung auf den Kopf. Die Protokolle schützen eher die Berater und Vermittler vor Schadenersatz als die Verbraucher vor Falschberatung", fasst Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg zusammen. Zwischen September 2011 und Februar 2012 hat die Initiative Finanzmarktwächter 50 Anlageberatungen bei 50 Kreditinstituten untersucht.
Die Ergebnisse:
>> In 20 Prozent der Fälle wurde trotz klarer gesetzlicher Verpflichtung kein Beratungsprotokoll ausgehändigt.
>> Keine einzige Dokumentation enthielt die vom Verbraucher gegebenen vollständigen Informationen.
>> Das Vermögen und die vorhandenen Verbindlichkeiten wurden nur in einem Fall vollständig dokumentiert.
>> Die einzelnen Wertpapiere, die Gegenstand der Beratung waren, tauchen in rund 90 Prozent der Fälle in der Dokumentation der Vermögensverhältnisse nicht auf.
>> Kein Institut hat die Risikobereitschaft korrekt dokumentiert. Meist wird sie mit willkürlichen Begriffen umschrieben.
Initiative Finanzmarktwächter
Die Arbeit der Verbraucherzentralen dient als wichtiger Sensor für Mängel und Missstände im Finanzmarkt. Diese Funktion gilt es durch zusätzliche Ressourcen auszubauen. Als Finanzmarktwächter könnten die Verbraucherzentralen unter anderem der staatlichen Finanzaufsicht Impulse geben, unseriöse Geschäftspraktiken gegenüber privaten Anlegern, Kreditnehmern und Versicherten zu erkennen. Die Initiative "Finanzmarktwächter" der Verbraucherzentralen soll das Potential einer solchen Einrichtung aufzeigen. Die Aktion wird vom vzbv und allen 16 Verbraucherzentralen getragen. (Verbraucherzentrale Bundesverband: ra)
Verbraucherzentrale Bundesverband: Steckbrief
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