Leistungen nach einem Haustarifvertrag
Anspruch auf tarifliche Leistungen - Stichtagsregelung für Gewerkschaftsmitglieder
Die Revision der Klägerin blieb gegen die klageabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen vor dem Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ohne Erfolg
(22.05.15) - Ein Haustarifvertrag, der einen sozialplanähnlichen Inhalt hat, kann für Leistungen, die zur Abmilderung der wirtschaftlichen und sozialen Nachteile an tarifgebundene Arbeitnehmer gezahlt werden, eine Stichtagsreglung vorsehen, nach der ein Anspruch nur für diejenigen Mitglieder besteht, die zum Zeitpunkt der tariflichen Einigung der Gewerkschaft bereits beigetreten waren.
Die Klägerin beansprucht von den beiden Beklagten Leistungen nach einem Haustarifvertrag. Die tarifgebundene Beklagte zu 2) plante zu Beginn des Jahres 2012 eine Betriebsschließung in München. In Verhandlungen mit dem in diesem Betrieb bestehenden Betriebsrat und der zuständigen IG Metall konnte eine vollständige Schließung abgewendet werden. Neben einem Standorttarifvertrag schlossen die Beklagte zu 2) und die IG Metall am 4. April 2012 einen "Transfer- und Sozialtarifvertrag" (TV). Der TV sieht für den Fall einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 2) zum 30. April 2012 und gleichzeitiger Begründung eines "Transferarbeitsverhältnisses" mit der Beklagten zu 1) in einer betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit (beE) durch Abschluss eines dreiseitigen Vertrags die Zahlungen von Abfindungen bis 110.000,00 Euro durch die Beklagte zu 2) sowie Mindestbedingungen für das dann mit der Beklagten zu 1) bestehende Arbeitsverhältnis, ua. "ein beE-Monatsentgelt von monatlich 70 Prozent ihres Bruttomonatseinkommens", vor. Gleichfalls am 4. April 2012 vereinbarten die Beklagte zu 2) und der Betriebsrat einen "Interessenausgleich", nach dem sie auch die Regelungen des TV "für alle betroffenen Beschäftigten abschließend übernehmen". Schließlich schlossen die Beklagte zu 2) und die IG Metall einen weiteren, ergänzenden Tarifvertrag (ETV), der nach seinem persönlichen Geltungsbereich nur für diejenigen Gewerkschaftsmitglieder galt, "die bis einschließlich 23.03.2012, 12.00 Uhr Mitglied der IG Metall geworden sind". Der ETV regelt eine weitere Abfindung von 10.000,00 Euro sowie ein um 10 vH höhere Bemessungsgrundlage für das "beE-Monatsentgelt".
Die Klägerin unterzeichnete mit den beiden Beklagten eine dreiseitige Vereinbarung, in der für den Abfindungsanspruch und die Monatsvergütung auf die beiden Tarifverträge Bezug genommen worden ist. In der Zeit von Juli 2012 bis Januar 2013 war die Klägerin Mitglied der IG Metall. Sie verlangt von den Beklagten die im ETV vorgesehenen weiteren Leistungen.
Die Revision der Klägerin blieb gegen die klageabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen vor dem Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ohne Erfolg. Die Anspruchsvoraussetzungen des ETV sind nicht gegeben. Die im persönlichen Geltungsbereich des ETV vereinbarte Stichtagsregelung - 23. März 2012 - ist wirksam. Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich dabei nicht um eine sog. einfache Differenzierungsklausel, die zwischen Gewerkschaftsmitgliedern einerseits sowie nicht und anders tarifgebundenen Arbeitnehmern - sog. Außenseitern - andererseits unterscheidet. Der TV und der ETV differenzieren in ihrem personellen Geltungsbereich zwischen verschiedenen Gruppen von Mitgliedern der Gewerkschaft IG Metall und damit allein zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern, also denjenigen Beschäftigten, denen ein Tarifvertrag ohnehin nur Ansprüche vermitteln kann.
Die Stichtagsregelung formuliert lediglich Anspruchsvoraussetzungen für tarifliche Leistungen. Die Bestimmungen des ETV erweisen sich auch im Hinblick auf den tariflichen Regelungsgegenstand als wirksam. Den Tarifvertragsparteien kommt auf Grund der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie bei der Bestimmung von Umfang und Voraussetzungen von Ausgleichs- und Überbrückungsleistungen anlässlich einer Teilbetriebsstillegung ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Die Stichtagsregelung orientiert sich am gegebenen Sachverhalt der beabsichtigten Betriebsänderung als einmaligem Vorgang sowie den damit verbundenen Leistungen unter Berücksichtigung des ausgehandelten Tarifvolumens.
Die Bestimmungen des ETV verstoßen auch nicht gegen die sog. negative Koalitionsfreiheit. Die tarifliche Regelungsbefugnis ist von Verfassungs und Gesetzes wegen auf die Mitglieder der tarifschließenden Verbände und vorliegend auf die der IG Metall beschränkt. Die "Binnendifferenzierung" zwischen Gewerkschaftsmitgliedern schränkt weder die Handlungs- oder die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers noch die von sog. Außenseitern ein.
Diesem Personenkreis bleibt es unbenommen, seine vertraglichen Beziehungen frei zu gestalten. Von den Regelungen des ETV kann gegenüber sog. Außenseitern kein "höherer Druck" ausgehen, als derjenige, der sich stets ergibt, wenn die individualvertraglichen Vereinbarungen hinter denjenigen Regelungen zurückbleiben, die durch einen Tarifvertrag für die Mitglieder der Gewerkschaft geregelt wurden.
Die vertraglichen Verweisungen in der dreiseitigen Vereinbarung auf die unterschiedlichen tariflichen Regelungen des TV und des ETV sind nach der Rechtsprechung des Senats nicht anhand des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu überprüfen. Sie setzen die in den beiden Tarifverträgen vorgegebenen Regelungen für die Ausgestaltung des dreiseitigen Vertrags zwischen den Parteien um. Schließlich verstößt auch der "Interessenausgleich" nicht gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 Satz 1 BetrVG. Die Betriebsparteien haben durch die Übernahme der Regelungen des TV, nicht aber des ETV, gerade davon abgesehen, Bestimmungen mit einzubeziehen, die an eine Gewerkschaftsmitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt anknüpfen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. April 2015 - 4 AZR 796/13 -
Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 25. Juli 2013 - 4 Sa 166/13 -
(Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 15. April 2015: ra)
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