Nahrungsmittelindustrie und Preisabsprachen


Ermittlungen des Bundeskartellamtes in der Nahrungsmittelindustrie wegen des Verdachts illegaler Preisabsprachen: Eine systematische Marktbeobachtung findet nicht statt
Das Bundeskartellamt betreibt, anders als die Bundesnetzagentur, keine ex-ante Preisaufsicht - Außerhalb der regulierten Märkte der Netzindustrien gibt es keine staatliche Preisaufsicht oder -kontrolle


(09.04.08) - Zu laufenden Kartellverfahren äußert sich die Bundesregierung nicht. Dies geht aus ihrer Antwort (16/8681) auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion (16/8560) hervor, bei der es um Ermittlungen des Kartellamtes in der Nahrungsmittelindustrie geht. Im Übrigen würden laut Regierung die vorhandenen gesetzlichen Instrumentarien ausreichen, um das Wohl der Allgemeinheit und den Wettbewerb nachhaltig zu sichern. Weitere gesetzliche Maßnahmen seien in diesem Bereich nicht geplant.

Vorbemerkung der Fragesteller:
Im Jahr 2007 stiegen die Verbraucherpreise um 2,2 Prozent und damit so stark wie seit 1994 nicht mehr. Mitverantwortlich waren neben den Energiekosten steigende Lebensmittelpreise bei einzelnen Produkten im zweistelligen Bereich. Laut Jahreswirtschaftsbericht nimmt 2008 die allgemeine Teuerung weiter um 2,3 Prozent zu und frisst damit das real verfügbare Einkommen der Bevölkerung weiter auf.

Es ist fraglich, ob das Ausmaß der Preiserhöhungen bei Nahrungsmitteln in den letzten Monaten tatsächlich nur auf steigenden Rohstoff- und Produktionskosten beruht. Bereits im Oktober 2007 stellte die Verbraucherzentrale fest, es gäbe "eine Reihe von Indizien, die dafür sprechen, dass die Lebensmittelindustrie und der Handel Trittbrett fahren und versuchen, die Stimmungslage auszunutzen, um ihre Margen zu erhöhen" (Ifo Schnelldienst 19/2007). Träfe dies zu, wäre das die Bereicherung einiger weniger Handels- und Lebensmittelkonzerne auf Kosten der Allgemeinheit.

Unter dem Verdacht illegaler Preisabsprachen durchsuchte in den letzten Wochen das Bundeskartellamt die Geschäftsräume mehrerer Lebensmittelhersteller: Am 7. Februar 2008 erfolgte eine Durchsuchung bei sieben großen Süßwarenherstellen, die auffälligzeitnah eine zweistellige Preiserhöhung für ihre Produkte angekündigt hatten. Am 21. Februar 2008 durchsuchten Beamte des Bundeskartellamts 18 Unternehmen und einen Verband der Mehlherstellung unter dem Verdacht von Absprachen über Preise und Kapazitäten.

1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die oben genannten Durchsuchungen bzw. Verfahren des Bundeskartellamtes?
Zu laufenden Kartellverfahren äußert sich die Bundesregierung nicht.

2. Welchen Zusammenhang sieht die Bundesregierung zwischen den sukzessiven Preiserhöhungen im Lebensmittelbereich in den letzten Monaten und den oben genannten aktuellen Kartellverfahren?
Siehe Antwort zu Frage 1.

3. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass das Bundeskartellamt in den letzten Jahren keine Preiskartelle im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels aufdeckte, aber in den letzten Wochen bereits zweimal tätig wurde?
Kartellabsprachen sind wesensimmanent geheim. Aus diesem Grund ist es extrem schwierig, Kartelle aufzudecken. Häufig sind Aussagen von Kronzeugen oder Hinweise aus dem Markt Ausgangspunkt für die Aufdeckung von Kartellen. Zeitpunkt und Häufigkeit solcher Hinweise sind nicht vorhersehbar.

4. Wie kann ausgeschlossen werden, dass Hersteller und Handel Preiserhöhungen durchsetzen, die über die Steigerung der Rohstoff- und Produktionspreise hinausgehen?
Das wirksamste Instrument gegen überhöhte Preise ist wirksamer und nachhaltig gesicherter Wettbewerb. Die nationalen und europäischen kartellrechtlichen Vorschriften stellen den Schutz des Wettbewerbs und wettbewerblicher Strukturen sicher.

5. Welche Möglichkeiten hat das Bundeskartellamt, von sich aus Preis- bzw. Marktbeobachtungen durchzuführen und gegebenenfalls einzuschreiten, also jenseits der gängigen Praxis nur bei externen Hinweisen oder Selbstanzeigen aktiv zu werden?
Das Bundeskartellamt betreibt, anders als die Bundesnetzagentur, keine ex-ante Preisaufsicht. Neben Hinweisen oder Selbstanzeigen steht den Kartellbehörden außerdem das Instrument der Sektoruntersuchung nach § 32e GWB zur Verfügung. Wenn starre Preise oder andere Umstände vermuten lassen, dass der Wettbewerb im Inland möglicherweise eingeschränkt oder verfälscht ist, können die Kartellbehörden die Untersuchung des betreffenden Wirtschaftszweigs durchführen.

6. Reichen nach Ansicht der Bundesregierung die derzeitigen Sanktionsmöglichkeiten mittels Bußgeldverfahren und Gewinnabschöpfung aus, illegale Preisabsprachen zu verhindern, wenn ja, warum kommt es dennoch immer wieder dazu?
Die vorhandenen behördlichen und privaten Sanktionsmöglichkeiten im Hinblick auf illegale Preisabsprachen sind ausreichend. Illegale Preisabsprachen werden sich aber, unabhängig von drohenden Sanktionen, ebenso wenig wie Rechtsverstöße auf anderen Rechtsgebieten, nie vollständig verhindern lassen.

7. Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag, Verstöße gegen das Wettbewerbs- bzw. Kartellrecht nicht mehr wie bisher – abgesehen von § 298 des Strafgesetzbuches – als Ordnungswidrigkeit, sondern als strafbare Handlung zu ahnden?
Sollte das Wettbewerbsrecht Eingang ins Strafgesetzbuch finden, wie in einigen europäischen Ländern und den USA?
Die Bundesregierung sieht derzeit keinen Anlass, ihre bisherige ablehnende Haltung zur Kriminalisierung kartellrechtlicher Verstöße zu ändern. Erfahrungen aus anderen Ländern haben bislang keine Anhaltspunkte dafür erbracht, dass die Kriminalisierung auf die Zahl oder das Ausmaß von Wettbewerbsverstößen signifikante Auswirkungen hat.

8. Welche rechtlichen Grundlagen für eine staatliche Preisaufsicht bzw. -kontrolle gibt es derzeit in Deutschland, und erachtet die Bundesregierung diese als ausreichend?
Außerhalb der regulierten Märkte der Netzindustrien gibt es keine staatliche Preisaufsicht oder -kontrolle. Eingriffe in die freie Preisbildung kommen nur in wenigen Ausnahmefällen in Betracht (z. B. bei missbräuchlichem Verhalten von marktmächtigen Marktteilnehmern).

9. Ist von der Bundesregierung angedacht, für den Einzelhandel ähnlich wie jüngst im Energiebereich, Möglichkeiten einer stärkeren staatlichen Preiskontrolle zu prüfen, wenn ja, in welcher Form, wenn nein, warum nicht?
Die Bundesregierung plant derzeit keine weiteren gesetzlichen Maßnahmen, die über die jüngst in Kraft getretenen neuen Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen hinausgehen. Sie ist der Auffassung, dass die erfolgten Änderungen erforderlich aber auch hinreichend waren.

10. Ist es zum Wohle der Gemeinheit nach Ansicht der Bundesregierung notwendig, in hochkonzentrierten Teilbranchen des Einzelhandels einen genauen Einblick in die Wertschöpfungskette zu erhalten, um zu verhindern, dass marktmächtige Unternehmen illegale Preisabsprachen treffen oder zwischenzeitlich Preisdumpingdurchführen zu Lasten der Beschäftigten, der Zulieferbranche und der Verbraucher?
Nach Auffassung der Bundesregierung reichen die vorhandenen gesetzlichen Instrumentarien aus, um das Wohl der Allgemeinheit und den Wettbewerb nachhaltig zu sichern. Bei entsprechenden Anhaltspunkten haben die Kartellbehörden bereits heute die Möglichkeit, den erforderlichen Einblick in die relevanten Unterlagen zu nehmen.

11. Wie viele Mitarbeiter sind im Bundeskartellamt unmittelbar für den Bereich des Einzelhandels zuständig, und wie viele führen eine systematische Marktbeobachtung durch?
Mit dem Lebensmitteleinzelhandel beschäftigen sich unmittelbar insgesamt drei Beamte des höheren Dienstes und mit dem weiteren Konsumgüterbereich insgesamt neun Beamte (inklusive der bereits drei genannten), wobei zu beachten ist, dass es sich hierbei nicht um neun Vollzeitkräfte handelt. Die Beamten des höheren Dienstes werden von insgesamt vier Personen des gehobenen und mittleren Dienstes bei ihrer Arbeit unterstützt. Eine systematische Marktbeobachtung findet nicht statt.

12. Wie hoch ist das Budget des Bundeskartellamtes, und wie hoch sind die Budgets der Wettbewerbs- bzw. Kartellbehörden in anderen europäischen Ländern und den USA?

13. Wie viele Mitarbeiter hat das Bundeskartellamt, und wie viele Mitarbeiter haben vergleichbare Kartell- bzw. Wettbewerbsbehörden in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission und den USA?

14. Gibt es bezogen auf die jeweiligen nationalen Wettbewerbs- bzw. Kartellbehörden eine internationale Statistik über die Relation von Budget/ Bruttoinlandsprodukt bzw. beschäftigtes Personal/Bruttoinlandsprodukt, wenn ja, welchen Platz nimmt Deutschland ein?
Das Budget des Bundeskartellamtes betrug im Jahr 2006 16,6 Mio. Euro, im Jahr 2007 17 Mio. Euro. Es handelt sich jeweils um die tatsächlich angefallenen Ausgaben (Ist-Ausgaben nach Abschluss der Rechnungslegung). Im Haushaltsjahr 2007 verfügte das Bundeskartellamt über 260 Stellen (person years).

Zu den Budgets, der Anzahl der Beschäftigten und die Relation von Budget/ Bruttoinlandsprodukt bzw. Personal/Bruttoinlandsprodukt der für die Wettbewerbsaufsicht zuständigen Behörden anderer europäischer Länder und den USA liegen der Bundesregierung keine genauen Daten vor.

Die Zeitschrift Global Competition Review (GCR) erstellt jährlich vergleichende Studien von Wettbewerbsbehörden, die Budgets, Beschäftigtenzahlen etc. umfassen, deren Belastbarkeit von der Bundesregierung aber nicht beurteilt werden kann.

In diesem Zusammenhang ist aber außerdem darauf hinzuweisen, dass die Wettbewerbsbehörden in den verschiedenen Staaten teilweise sehr unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen (z. B. Wettbewerbsaufsicht, Regulierung, Verbraucherschutz etc.), so dass ein reiner Vergleich der in den Fragen 12. bis 14. abgefragten Zahlen isoliert wenig Aussagekraft besitzt.
(Deutsche Bundesregierung: ra)


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