Brexit wird für Deutschland teuer


Brexit: EU habe bei einem "Harten Brexit" keine rechtliche Handhabe, ausstehende Zahlungen von Großbritannien einzufordern
Über eine generelle Umstrukturierung der Finanzierung des EU-Haushalts nachdenken: Einführung einer eigenen EU-Finanzierungsquelle in Form von EU-Steuern und eine stärkere Konzentration auf die Beiträge basierend auf dem Bruttonationaleinkommen



Der Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union wird je nach Ausstiegsszenario eine deutliche Lücke in den EU-Haushalt reißen und insbesondere für Deutschland als größtem Nettozahler mit Mehrkosten verbunden sein. Zu dieser Einschätzung kamen am Montagnachmittag zahlreiche Experten in einer öffentlichen Anhörung des Europaausschusses. Sollten die Verhandlungen zu einem Austritt ohne Abkommen führen ("Harter Brexit"), fänden die EU-Verträge keine Anwendung mehr auf Großbritannien, warnte Peter Becker von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die EU habe dann keine rechtliche Handhabe, ausstehende Zahlungen einzufordern. Die durch das Ausscheiden Großbritanniens entstehende strukturelle Lücke im EU-Haushalt könne sich nur verringern, wenn die Briten sich weiter finanziell an einzelnen EU-Programmen oder -Agenturen beteiligen würden. Jedoch sei der innenpolitische Druck, überhaupt keine Zahlungen mehr an die EU zu leisten, vor den britischen Neuwahlen im Juni hoch.

Jörg Haas vom Jacques Delors Institut Berlin wies darauf hin, dass der Brexit im Frühjahr 2019 bereits Auswirkungen auf den aktuellen Mehrjährigen Finanzrahmen der EU haben werde, der bis 2020 laufe. Er bezifferte die durch den Wegfall der britischen Beiträge entstehende Haushaltslücke auf jährlich zehn Milliarden Euro. Andere Studien gingen von bis zu 16 Milliarden Euro aus. Weil nicht nur der so genannte Briten-Rabatt wegfalle, sondern auch der "Rabatt auf den Rabatt", von dem derzeit Deutschland und drei weitere Mitgliedstaaten profitierten, würden diese auch stärker belastet, sagte Haas.

Um die Lücke auszugleichen, müsste Großbritannien als Drittstaat weiterhin Beiträge zahlen oder die Beiträge der 27 übrigen Mitgliedstaaten müssten erhöht werden. Deutschland müsste dann mit Mehrzahlungen von mehr als drei Milliarden Euro jährlich rechnen. "Gemessen an der Wirtschaftsleistung ist der deutsche Beitrag damit aber immer noch unterdurchschnittlich", betonte Haas. Als dritte Option nannte er eine Kürzung der EU-Ausgaben.

Professor Carsten Hefeker von der Universität Siegen warnte vor Konflikten unter den verbleibenden EU-Mitgliedern, da weder die Nettoempfänger auf Mittel verzichten noch Nettozahler bereitwillig mehr zahlen wollten. Der Brexit sollte daher zum Anlass genommen werden, über eine generelle Umstrukturierung der Finanzierung des EU-Haushalts nachzudenken. Als Beispiele nannte Hefeker die Einführung einer eigenen EU-Finanzierungsquelle in Form von EU-Steuern und eine stärkere Konzentration auf die Beiträge basierend auf dem Bruttonationaleinkommen.

Für Professor Steffen Hindelang (Freie Universität Berlin) steht fest, dass Großbritannien die vor dem Austritt rechtsverbindlich übernommenen Zahlungsverpflichtungen gegenüber der EU auch nach dem Brexit erfüllen muss. Deren tatsächliche Höhe müsse jedoch "durch Auslegung" ermittelt werden.

Ähnlich argumentierte Alfonso Querejeta von der Europäischen Investitionsbank (EIB) und Leiter der Artikel 50 Task Force. Bei den Darlehen der EIB gehe es um langfristige Garantien der Mitgliedstaaten, betonte er. Diese müssten auch fortbestehen, wenn ein Staat kein EU-Mitglied mehr sei. "Wenn es in dieser Frage keine Einigung gibt, haben wir ein Problem", sagte Querejeta. Alex Barker von der Financial Times bezeichnete die Kostenfrage als "politisch sehr aufgeladen". Niemand wisse, ob die Briten die von der EU-Kommission aufgestellte Austrittsrechnung in Höhe von 60 Milliarden Euro akzeptieren würden.

In einem zweiten Teil der Anhörung zeigten sich die Experten einig, dass der Brexit "mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen wirtschaftlichen Schäden auf beiden Seiten" führen wird, wie Professor Gabriel Felbermayr vom ifo Zentrum für Außenwirtschaft betonte. Stefan Mair vom Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) warnte vor starken Beeinträchtigungen gerade auch für die deutsche Industrie. Professor John Weeks von der SOAS University of London urteilte indes, dass die wirtschaftlichen Kosten des Brexit für das Vereinigte Königreich wahrscheinlich nicht hoch ausfallen werden. Die bedeutendsten negativen Auswirkungen des Brexit seien politischer und nicht wirtschaftlicher Natur. Si gingen den britischen Bürgern die EU-Bestimmungen zu Umwelt, Arbeitnehmerrechten sowie Bürger- und Menschenrechten verloren.

Susanne Wixforth vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) warnte vor einem "Handelskrieg" mit Großbritannien und forderte stattdessen eine "einvernehmliche Scheidung". Der Binnenmarkt müsse zudem sozialer ausgestaltet werden.

Professor Eberhard Eichenhofer von der Friedrich-Schiller-Universität Jena sagte, Großbritannien werde nach dem Austritt zu einem "unwirtlichen Ort" für Unionsbürger in Großbritannien. Wenn Briten und EU weiterhin einen wirtschaftlichen Austausch anstrebten, kämen sie um eine sozialrechtliche Koordinierung nicht umhin. René Repasi vom European Research Centre for Economic and Financial Governance (EURO-CEFG) wies in diesem Kontext aber darauf hin, dass Artikel 50 nicht geeignet sei, hierfür eine Regelung dafür zu finden. Dafür sei ein Freihandelsvertrag zwischen der EU und Großbritannien erforderlich. Professor Christian Tietje von der Martin-Luther-Universität betonte, zur Neuregelung der Statusrechte von Unionsbürgern und juristischen Personen der EU-Mitgliedstaaten bedürfe es einer völkervertraglichen Festlegung zwischen der EU und Großbritannien.

Nach Ansicht von Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) steuert das Vereinigte Königreich "klar auf einen harten Brexit zu". Er wies darauf hin, dass Großbritannien für ein Freihandelsabkommen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes akzeptieren müsse. Dies lehnten die Briten derzeit aber ab. (Deutscher Bundestag: ra)

eingetragen: 20.05.17
Home & Newsletterlauf: 02.06.17


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