Bürgerversicherung umstritten


Linke wollen Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung: Beitragsbemessungsgrenze perspektivisch abschaffen
Experte: Beitragsbemessungsgrenze "nicht Ausdruck gesetzgeberischer Beliebigkeit", sondern als Gegenleistung für eine bestimmte Leistung konstitutiv für die Sozialversicherung und "nicht verzichtbar

(08.07.13) - Möglichkeit und Wünschbarkeit der Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung werden von Experten höchst unterschiedlich bewertet. Grundlage der Diskussion im Gesundheitsausschuss war ein Antrag der Linksfraktion (17/7197) zur solidarischen Finanzierung von Gesundheit und Pflege. Nach dem Willen der Parlamentarier sollen dabei alle Menschen, die in Deutschland leben, Mitglied der "solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung" werden und nach ihrer "individuellen finanziellen Leistungsfähigkeit" in diese einzahlen. Die Beitragsbemessungsgrenze sei "perspektivisch abzuschaffen".

Insbesondere die von der Union benannten Experten halten dies für nicht umsetzbar und zudem verfassungsrechtlich bedenklich. So betonte der Journalist und Berater im Gesundheitswesen Robert Paquet, im Antrag der Linken würden die Einnahmen der Versicherung "schöngerechnet". Zudem würde mit einer Aufgabe der Beitragsbemessungsgrenze "das Sozialversicherungsprinzip aufgegeben" und "eine Art Flat-tax" eingeführt werden. Zudem würde die geforderte Abschaffung der privaten Krankenversicherung (PKV) rund 60.000 bis 67.000 sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter und Tausende selbständige Versicherungsvermittler treffen. Sie umstandslos in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zu überführen sei nicht möglich, da die Geschäftsprozesse von GKV und PKV "weit auseinander" liegen würden.

Auch der Bonner Rechtswissenschaftler Gregor Thüsing betonte, die Beitragsbemessungsgrenze sei "nicht Ausdruck gesetzgeberischer Beliebigkeit", sondern als Gegenleistung für eine bestimmte Leistung konstitutiv für die Sozialversicherung und "nicht verzichtbar". Der Antrag der Linken suggeriere, mit den Forderungen werde ein Mehr an Solidarität erreicht, allerdings sei der Begriff der Solidarität darin "reichlich undifferenziert und leichtfüßig". Gerade durch den Antrag würden bestehende solidarische Elemente in der Sozialversicherung verschwinden, etwa durch die Forderung eines Rücklagenverbotes. Diese seien aber solidarisch gegenüber nachfolgenden Generationen.

Für den Beamtenbund unterstrich Klaus Dauderstädt, die Abschaffung der Beihilfe könne unter Umständen eine "massive Verletzung der Fürsorgepflicht" sein und müsse gegebenenfalls in Karlsruhe geklärt werden.

Für die Dienstleistungsgewerkschaft verdi erklärte dagegen Herbert Weisbrod-Frey, seine Organisation spreche sich deutlich für eine Bürgerversicherung aus. Das System, nachdem sich Einzelne abhängig von ihrem Einkommen aus der GKV "ausklinken" könnten, sei "überholungsbedürftig". Mit der derzeitigen Weichenstellung, die in Zukunft über Kopfpauschalen die Versicherten zusätzlich belasten werde, werde ein ungerechtes Gesundheitssystem erhalten. Ebenfalls für eine Bürgerversicherung sprachen sich Vertreter der BAG Selbsthilfe, des AWO Bundesverbandes und des Sozialverbands VdK aus.

Der Berliner Jurist Franz Knieps führte aus, er könne derzeit keinen Systemwettbewerb erkennen: Der Weg in die PKV stehe ohnehin nur einem sehr eingeschränkten Personenkreis offen und werde für viele zur "Entscheidung auf Lebenszeit". Der Wettbewerb innerhalb der GKV sei "intensiver", weil Versicherte hier innerhalb bestimmter Fristen bei Unzufriedenheit ihre Krankenkassen neu wählen könnten. Zudem sei die "Mär vom größeren Leistungskatalog" der PKV einer der "großen Mythen": Insbesondere für Familien, Ältere und Menschen mit seltenen Erkrankungen sei der Leistungskatalog der GKV "wesentlich präziser" und "zum Teil umfassender" formuliert. (Deutscher Bundestag: ra)


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • Bitcom lobt und kritisiert Kryptopolitik

    Der Branchenverband Bitcom warnt davor, dass Deutschland seine gute Ausgangsposition im Bereich der Kryptowirtschaft nicht aufs Spiel setzen solle. In einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses zum Finanzmarktdigitalisierungsgesetz (20/10280) sagte Bitcom-Vertreter Benedikt Faupel: "Der Standort Deutschland hat gute Voraussetzungen, ich erinnere an die Blockchain-Strategie."

  • Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Inhalte

    Der Kulturausschuss hat sich in einem öffentlichen Fachgespräch mit den Chancen und Risiken des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz im Medienbereich auseinandergesetzt. Geladen hatte er Sachverständige von Gewerkschaften, Berufsverbänden, Unternehmen und aus der Wissenschaft.

  • Modernisierung des Postrechts

    In einer Anhörung beschäftigten sich neun Sachverständige mit dem Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung zur Modernisierung des Postrechts (20/10283). Dieses beinhalte eine "grundlegende Novellierung des Postrechts", schreibt die Bundesregierung zu dem Entwurf.

  • Einnahmen aus dem Energiekrisenbeitrag

    Die im Zuge des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine massiv gestiegenen Preise für Erdgas, Wärme und Strom haben zeitweise eine existenzbedrohende Belastung für die Bevölkerung und Unternehmen in Europa und nicht zuletzt in Deutschland dargestellt. Dabei sorgten das Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz (EWPBG) und das Strompreisbremsegesetz (StromPBG) für eine zeitlich befristete, schnelle Entlastung in der Breite der Bevölkerung und der Unternehmen in Deutschland, welche durch ihre konkrete Ausgestaltung die Anreize zum Energiesparen aufrechterhalten hat.

  • Soziale und ökologische Nachhaltigkeit

    Eine nachhaltige Künstliche Intelligenz (KI) braucht politische Rahmenbedingungen. Das machte Kilian Vieth-Ditlmann, stellvertretender Leiter des Policy- & Advocacy-Teams bei der AW AlgorithmWatch gGmbH während eines öffentlichen Fachgespräches im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung deutlich. Als ersten Schritt bewertete er die im EU-Parlament verabschiedete KI-Verordnung.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen