Compliance im Gesundheitswesen
Verstoß gegen das Mehr-Augen-Prinzip als auch gegen die Praxis interdisziplinärer Konferenzen: Sachverständige kündigen Konsequenzen aus dem Transplantationsskandal an
Vielfach gegen Richtlinien verstoßen: Kein "Skandal der Organspende, sondern im Transplantationsbereich"
(28.09.12) - Über den Ablauf und mögliche Konsequenzen aus den Organspende-Vorfällen in Göttingen und Regensburg hat der Gesundheitsausschuss des Bundestages beraten. "Alle Zentren werden im Laufe der nächsten Monate durchgeprüft", kündigte der Vorsitzende der zuständigen Prüfungs- und Überwachungskommission der Bundesärztekammer, Professor Hans Lippert, an. Seine Kollegin, Anne-Gret Rinder, berichtete den Abgeordneten, dass in Göttingen vielfach gegen Richtlinien verstoßen worden sei. Einem Arzt der Transplantations-Chirurgie an der Universitätsklinik in Göttingen wird vorgeworfen, von 2008 bis 2011 Krankenakten manipuliert zu haben, um seine Patienten auf einer Warteliste nach oben zu befördern, und sie so bevorzugt mit einer Organspende versorgt zu haben. Derselbe Arzt war bereits 2005 wegen ähnlicher Verdachtsfälle an der Universitätsklinik Regensburg auffällig geworden. Entsprechende Hinweise waren damals an die Staatsanwaltschaft Regensburg übermittelt worden. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt.
Rinder führte weiter aus, dass in Göttingen unter dem betroffenen Arzt 150 Transplantationen vorgenommen worden sein. In 40 Fällen habe es dabei Manipulationen oder andere Verstöße gegen Richtlinien gegeben. Zudem habe der Arzt gegen geltende organisatorische Regeln verstoßen. So habe er etwa die Stabsstelle für Transplantation sich selbst unterstellt und sei als Arzt alleine für Transplantationen zuständig gewesen. Dies verstoße sowohl gegen das Mehr-Augen-Prinzip als auch gegen die Praxis interdisziplinärer Konferenzen.
Der Vertreter des Landes Niedersachsen, Josef Lange, erklärte, dass der Fall am 2. Juli 2011 nach einem anonymen Anruf bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) ins Rollen gekommen sei. Der betreffende Arzt sei am 24. November 2011 vom Dienst freigestellt worden. An der Klinik seien seitdem organisatorische Änderungen vorgenommen worden: So sei die Lebertransplantationseinheit nicht mehr selbstständig und ein Transplantationskoordinator habe dort seine Arbeit aufgenommen.
Hans Neft, der Vertreter des Landes Bayern, gab an, dass nach den Ereignissen in Göttingen eine Überprüfung aller Transplantationen der letzten fünf Jahre stattgefunden habe. Dabei seien keine weiteren Manipulationen bekannt geworden. Auch er betonte, dass als Konsequenz verstärkt auf die Einhaltung von Maßnahmen wie das Sechs-Augen-Prinzip und interdisziplinäre Transplantationskonferenzen geachtet werden müsse.
Als eine unmittelbare Maßnahme nach den Ereignissen in Göttingen und Regensburg erklärte der Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft, Professor Wolf Bechstein, dass den Vertretern des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) und der Länder bei Beratungen in Transplantationsfragen seines Gremiums ein Gaststatus eingeräumt worden sei. Nach den entsprechenden Vertragsänderungen sollen die Vertreter des BMG und der Länder dort ständig mit einem Sitz- und Stimmrecht vertreten sein.
Auch Professor Günter Kirste von der DSO betonte, dass die Vorgänge in Göttingen und Regensburg genau aufgeklärt werden müssten. Dabei hob er hervor, dass es sich nicht "um einen Skandal der Organspende, sondern im Transplantationsbereich" handele.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Frank Ulrich Montgomery, warf den zuständigen Behörden vor, im Jahr 2006 mit den Informationen über die Vorfälle in der Universitätsklinik in Regensburg nicht angemessen umgegangen zu sein. "Wenn in Regensburg angemessen auf die Vorwürfe reagiert worden wäre, hätte es den Skandal in Göttingen nicht gegeben", sagte Montgomery.
Der ärztliche Direktor von Eurotransplant, Axel Rahmel, sagte, durch den Transplantationsskandal in Göttingen und Regensburg hätte das Vertrauen in Deutschland und in die internationale Solidarität in Fragen der Organspende keinen Schaden genommen. (Deutscher Bundestag: ra)
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