Experten befürworten Lieferkettengesetz


Einhaltung von Menschenrechte: Deutschland solle aufgrund seiner "Vorreiterrolle als Wirtschaftsmacht" und seiner besonderen historischen Verantwortung für den Schutz von Menschenrechten "mit gutem Beispiel und einem eigenen Gesetz vorangehen"
Das Gesetz sei von Wirtschaftsverbänden zunächst erbittert bekämpft worden, mit dem Inkrafttreten habe es sich jedoch als "bahnbrechend" erwiesen für ähnliche Regelungen in anderen europäischen Ländern



Eine Mehrheit der Experten befürwortet ein Lieferkettengesetz. Das zeigte eine Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zum Thema "Menschenrechte und Wirtschaft" unter der Leitung der Ausschussvorsitzenden Gyde Jensen (FDP): Die Sachverständigen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft unterstützten überwiegend den Plan der Bundesregierung für ein solches Gesetz, das die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in der globalen verbessern soll.

So sagte Nanda Bergstein, Director Corporate Responsibility der Tchibo GmbH, weil es der globalen Wirtschaft nicht gelungen sei, ihre unternehmerischen Sorgfaltspflichten zu erfüllen, brauche es dringend eine gesetzliche Regelung, "optimalerweise auf Ebene der EU". Deutschland solle aber aufgrund seiner "Vorreiterrolle als Wirtschaftsmacht" und seiner besonderen historischen Verantwortung für den Schutz von Menschenrechten "mit gutem Beispiel und einem eigenen Gesetz vorangehen", forderte sie. Bei der Ausgestaltung gelte es aus ihrer Sicht einerseits die Sorgfaltspflichten entsprechend der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte in den Fokus zu nehmen, andererseits die Verantwortung "vom Rohstoff bis zum Endprodukt". Hinsichtlich der Instrumente zur Erfüllung der Pflichten sprach sich Bergstein gegen Auditierungen und Zertifizierungen aus. Diese seien nicht ausreichend, um Sorgfaltspflichten zu erfüllen. "Gemäß des Sorgfaltspflichtansatzes müssen Managementsysteme und Qualifizierungsprogramme etwa für Fabriken und Farmer eine Rolle spielen."

Von den Erfahrungen seit der Einführung des französischen Sorgfaltspflichtgesetzes als weltweit weitreichendstem Gesetz zur Regelung unternehmerischer Sorgfaltspflichten 2017 berichtete Lucie Chatelain, Mitarbeiterin der Nichtregierungsorganisation Sherpa in Paris. Das Gesetz sei von Wirtschaftsverbänden zunächst erbittert bekämpft worden, mit dem Inkrafttreten habe es sich jedoch als "bahnbrechend" erwiesen für ähnliche Regelungen in anderen europäischen Ländern. Obwohl inzwischen mehr als drei Jahre in Kraft, sei es aktuell jedoch noch zu früh, um Fragen nach dessen Wirkung definitiv zu beantworten, räumte Chatelain ein. Einige Lehren könne das französische Beispiel dennoch bieten. So habe sich etwa gezeigt, dass die Regelung letztlich zu wenige Unternehmen erfasse, da sie nur für jene mit mehr als 5.000 Mitarbeitern in Frankreich oder 10.000 Mitarbeitern weltweit gelte.

Als einziger Sachverständiger in der Runde vertrat Philipp Bagus, Professor für Volkswirtschaft an der Universidad Rey Juan Carlos Madrid, die Auffassung, dass ein Lieferkettengesetz nicht helfen werde, die Lage von Menschen in Entwicklungsländern zu verbessern. Im Gegenteil: Es werde sie in Armut stürzen, sagte Bagus. "Aus moralischer Verantwortung sollten wir deshalb alles Menschenmögliche tun, um ein Lieferkettengesetz es verhindern", so seine Forderung. Der Grund: In armen Ländern könne man sich hohe Arbeits- und Umweltstandards nicht leisten. Um das zu ändern, müsse die Arbeitsproduktivität steigen. "Da hilft aber nicht mehr Bürokratie wie ein Lieferkettengesetz, sondern das Gegenteil - mehr Freiheit, mehr Kapitalismus."

Maren Leifker, Initiative Lieferkettengesetz und Referentin für Wirtschaft und Menschenrechte bei Brot für die Welt, verwies in ihrem Statement zunächst darauf, dass "viele der schweren Menschenrechtsverletzungen am Anfang von globalen Lieferketten durch die Kolonialzeit geprägt" seien. In der Globalisierung hätten sich solche Strukturen durch ungerechte Handelsbeziehungen fortgesetzt und behinderten die Länder des globalen Südens daran, Menschenrechte und Umweltstandards gegenüber multinationalen Unternehmen durchzusetzen. Dies sei der Hintergrund für die Verabschiedung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte im Jahr 2011 gewesen, so Leifker. Hinsichtlich der Debatte in Deutschland über ein Lieferkettengesetz sagte die Sachverständige, sie finde es "erschreckend, mit welcher Hartnäckigkeit an Positionen festgehalten wird, die den internationalen Standards widersprechen und ein Gesetz wirkungslos machen würden". Es sei wichtig, dass die angestrebte Regelung für alle - nicht nur für große Unternehmen - gelte. Es brauche kein "Symbolgesetz", sondern eines, "das wirkt".

Markus Löning, ehemaliger Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung und Geschäftsführer der Beratungsfirma "Löning - Human Rights & Responsible Business", sprach sich ebenfalls deutlich für ein Regulierung der Lieferkettenverantwortung aus. Abgesehen von einer historischen Verantwortung habe die deutsche Wirtschaft auch ein "eigenes Interesse" an einer "regelbasierten Handelsordnung", erklärte Löning. Aus seiner Erfahrung seien derzeit viele Unternehmen "verwirrt", welche Regeln für sie gelten. Zu dieser Verwirrung habe "trotz guter Intention" auch der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte aufgrund seiner Unverbindlichkeit beigetragen, so der Sachverständige. Daher sei es wichtig, dass der Gesetzgeber "endlich klar macht, was er von Unternehmen erwartet". Die beste Lösung sei hier eine einheitliche, europäische, so Löning. Weil der Handlungsdruck aber hoch sei, brauche es für die Übergangszeit auch ein nationales Gesetz.

Annette Niederfranke lenkte als Direktorin der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Deutschland den Blick auf die internationale Diskussion um die Regulierung in globalen Lieferketten: Diese würde zwischen Regierungen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen innerhalb der ILO äußerst kontrovers debattiert. Dies sei aber nicht schlecht, betonte Niederfranke. "So wächst der Handlungsdruck." Die Länder, die mit eigenen Gesetzen vorangingen - Frankreich, Niederlande, Großbritannien und nun auch Deutschland - brächten die Sache international voran. Sie warb dennoch für eine EU-Regelung. Diese habe den Vorteil, gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen im europäischen Raum zu schaffen - an dies sich auch Firmen aus Drittstaaten halten müssten, die hier wirtschaftlich aktiv seien, betonte Niederfranke. Zudem räumte sie mit dem Vorurteil auf, Sorgfaltspflichten bedeuteten für Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil. "Die Forschungen dazu sind klar: Das ist nicht der Fall." Unternehmen, die die Pflichten erfüllten, seien sogar produktiver und wettbewerbsfähiger.

Miriam Saage-Maaß, stellvertretende Legal Director und Leiterin des Programmbereichs Wirtschaft und Menschenrechte am European Center für Constitutional and Human Rights (ECCHR), verwies schließlich in ihrer Stellungnahme auf einen aktuellen Weltbank-Bericht, wonach in den letzten Jahrzehnten Wertschöpfung über globale Lieferketten zwar zur Entwicklung von vielen Ländern beigetragen habe. Gleichzeitig sei aber zu befürchten, dass diese Entwicklung stagniere, wenn es nicht bessere Umwelt- und Sozialstandards gebe. Damit spreche sich auch eine Institution für Regulierungen aus, die "nicht verdächtig ist, gegen Handel zu sein", unterstrich Saage-Maaß.

Die Corona-Krise mache das Problem noch deutlicher: "Wir brauchen resilientere Lieferkette." Diese seien eben nur dann widerstandsfähig, wenn in diesen Arbeits- und Umweltstandards akzeptiert seien. Die Juristin appellierte an die Bundesregierung, die deutsche EU-Ratspräsidentschaft dazu zu nutzen, die Blockadehaltung der EU gegenüber dem UN Binding Treaty aufzubrechen. Ein Entwurf für das völkerrechtliche Abkommen, das Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen verringern und verfolgbar machen soll, werde aktuell verhandelt. (Deutscher Bundestag: ra)

eingetragen: 18.11.20
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