Sie sind hier: Home » Recht » Deutschland » Weitere Urteile

Auf strafbare Steuerhinterziehung erkannt


Sog. Cum-Ex-Geschäfte: Übergang des wirtschaftlichen Eigentums beim Handel mit Aktien
Anspruch auf Erstattung von Abzugsteuer (Kapitalertragsteuer/Solidaritätszuschlag) gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG)



Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 02.02.2022 I R 22/20 über sog. Cum-Ex-Aktiengeschäfte entschieden. Mit seinem Urteil erteilt er einem "Geschäftskonzept" eine Absage, das Unsicherheiten bei der eindeutigen wirtschaftlichen Zuordnung von Aktien in der Weise "nutzen" wollte, dass eine einmal einbehaltene Abzugsteuer vom Fiskus möglicherweise zweifach oder sogar mehrfach angerechnet oder ausgezahlt wird.

Nach dem Urteil des BFH hat ein US-amerikanischer Pensionsfonds einen Anspruch auf Erstattung von Abzugsteuer (Kapitalertragsteuer/Solidaritätszuschlag) gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nur dann, wenn er nach Maßgabe nationalen Steuerrechts Gläubiger der Kapitalerträge ist und die Abzugsteuer "einbehalten und abgeführt" worden ist.

Gläubiger der Kapitalerträge ist dabei die Person, die die Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt (§ 20 Abs. 5 EStG); dies ist die Person, der die Anteile an dem Kapitalvermögen im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG) oder des Zuflusses der Dividendenkompensationszahlung (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG) nach § 39 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) zivilrechtlich oder – wenn ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über die Anteile hat – nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO wirtschaftlich zuzurechnen sind.

Wirtschaftliches Eigentum über die Anteile wird bei sog. Cum-Ex-Geschäften mit Aktien allerdings nicht erworben, wenn der Erwerb der Aktien Teil eines modellhaft aufgelegten Gesamtvertragskonzepts ist, nach welchem der Erwerber die wesentlichen mit einem Aktienerwerb verbundenen Rechte weder ausüben kann noch nach der gestalterischen Konzeption soll, er vielmehr nur die Funktion hat, seine (aufgrund Abkommensrechts gestaltungsermöglichende) Rechtsform in den Geschäftsablauf einzubringen und angesichts der umfassenden Kontrolle jedes Geschäftsdetails durch Dritte lediglich als "passiver Teilnehmer" ("Transaktionsvehikel") im Geschäftsablauf anzusehen ist. Ob sich die maßgebenden Transaktionen "außerbörslich" (Erwerb von sog. Single Stock Futures mit nachfolgender Abwicklung über die Eurex Clearing AG) oder "börslich" (im Rahmen sog. Schlussauktionen) abgespielt haben, ist ohne Bedeutung.

Der im Streitfall klagende und nach dem zwischenstaatlichen Abkommensrecht von einer inländischen Abzugsteuer befreite Pensionsfonds begehrte die Steuererstattung, da er kurz vor dem jeweiligen Dividendenstichtag Aktien deutscher Aktiengesellschaften als sog. Futures "cum (mit) Dividende" erworben hatte, die ihm nach den üblichen Börsenusancen zeitverzögert erst nach dem Stichtag "ex (ohne) Dividende" zivilrechtlich übereignet wurden (Gutschrift auf seinem inländischen Wertpapierdepot); zugleich erhielt er eine sog. Dividendenkompensationszahlung (in einem "Nettobetrag" [rechnerisch der Dividendenanspruch nach Abzug der bei einer Ausschüttung anfallenden Abzugsteuer]).

Der im zeitlichen Zusammenhang mit den Geschäften errichtete und finanziell gering ausgestattete Pensionsfonds (eine Rechtsperson mit einem Begünstigten) war dabei Teil eines mit mehreren Parteien eng aufeinander abgestimmten Kaufs- und kurzfristigen Verkaufsgeschehens mit Aktien im finanziellen Umfang von mehreren Milliarden Euro, wobei das Risiko der Realisierung der Erstattungsforderung wiederum vollen Umfangs auf einen von einer Bank aufgelegten luxemburgischen Anlegerfonds gegen das Versprechen einer Kurzfrist-Rendite von über 15 Prozent übertragen worden war. Der Kläger machte geltend, der Erstattungsanspruch beziehe sich auf den Abzugsteuereinbehalt bei der Ausschüttung (ein das zivilrechtliche Eigentum des Anteilsinhabers verdrängendes wirtschaftliches Eigentum vor dem Dividendenstichtag sei durch das Erwerbsgeschäft begründet worden) bzw. folge unmittelbar aus dem Bezug einer "Nettodividende".

Das Finanzgericht wies die Klage ab; ob es sich beim Aktien-Erwerb um eine "Leerverkaufssituation" handelte (Erwerbsgeschäft mit einem "Noch-Nicht-Inhaber" als Verkäufer) oder ein Erwerb vom Aktieninhaber vorlag, konnte nach der entscheidungstragenden Begründung des Urteils unaufgeklärt bleiben.

Der BFH hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Die Stellung als wirtschaftlicher Eigentümer einer Aktie könne nur einnehmen, wer den Aktieninhaber zugleich von den wesentlichen Rechten (Dividendenbezug, Stimmrecht) ausschließe ("Alternativität"). Diese Position gegenüber dem Aktieninhaber könne allein durch eine rechtlich gesicherte Erwerbsaussicht und einen (wirtschaftlichen) Dividendenbezug nicht vermittelt werden (auch wenn frühere BFH-Rechtsprechung in diesem Sinne verstanden wurde), ebenfalls nicht durch Teilnahme an einer "Gesamtvertragskonzeption", die geradezu ausschließe, dass diese Person die wesentlichen Rechte der Aktieninhaberschaft einnehmen und das finanzielle Risiko der Transaktionen tragen solle.

Das Urteil des BFH berücksichtigt spätere gesetzliche Änderungen nicht, da diese im Streitjahr noch nicht galten. Der Bundesgerichtshof hat für ähnlich gelagerte Strukturen (dort auf der Grundlage einer Feststellung, dass eine sog. Leerverkaufssituation vorlag) auf eine strafbare Steuerhinterziehung erkannt. (Pressemitteilung des Bundesfinanzhofs vom 15. März 2022: ra)

eingetragen: 17.03.22
Newsletterlauf: 16.05.22


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Weitere Urteile

  • Datenverarbeitung durch die Finanzverwaltung

    Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschlüssen vom 27.05.2024 in zwei Verfahren (II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV)) des vorläufigen Rechtsschutzes zu den Bewertungsregelungen des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden, dass Steuerpflichtige im Einzelfall unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit haben müssen, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachzuweisen.

  • Grenzen des Auskunftsanspruchs

    Mit Urteil vom 12.03.2024 - IX R 35/21 hat der Bundesfinanzhof (BFH) erstmals zu den Voraussetzungen und der Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs entschieden. Die Datenschutz-Grundverordnung gewährt in Art. 15 Abs. 1 einen Anspruch auf Auskunft, welche personenbezogenen Daten über einen Steuerpflichtigen verarbeitet werden.

  • Datenverarbeitung durch die Finanzverwaltung

    Mit Urteil vom 12.03.2024 - IX R 35/21 hat der Bundesfinanzhof (BFH) erstmals zu den Voraussetzungen und der Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs entschieden. Die Datenschutz-Grundverordnung gewährt in Art. 15 Abs. 1 einen Anspruch auf Auskunft, welche personenbezogenen Daten über einen Steuerpflichtigen verarbeitet werden.

  • Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer

    Ein Parkhaus ist in der Erbschaftsteuer nicht begünstigt - dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 28.02.2024 - II R 27/21 entschieden. Der Kläger war testamentarisch eingesetzter Alleinerbe seines im Jahr 2018 verstorbenen Vaters, des Erblassers. Zum Erbe gehörte ein mit einem Parkhaus bebautes Grundstück.

  • Einnahmenüberschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG)

    Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 06.05.2024 - III R 14/22 entschieden, dass die Art und Weise, in der ein Steuerpflichtiger, der seinen Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung ermittelt, seine Aufzeichnungen geführt hat, eine Tatsache ist, die -wird sie dem Finanzamt (FA) nachträglich bekannt- zur Korrektur eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids führen kann.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen