Beginn der Widerrufsfrist erkennen
Bahnbrechende Entscheidung des LG Saarbrücken vom 17.01.2019: Wirksamer Widerruf trotz Musterwiderrufsinformation
Entscheidung klärt erstmals die Widerruflichkeit Hunderttausender Darlehensverträge aus den Jahren 2010 bis 2016
Das LG Saarbrücken legt in einer noch weithin unbekannten, gleichwohl als sensationell zu bezeichnenden Entscheidung vom 17.01.2019, 1 O 164/18, eine seit langem strittige Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung vor. "Unsere Kanzlei vertritt seit jeher die Ansicht, dass die gesetzliche Musterwiderrufsinformation nicht im Ansatz geeignet ist, einen Verbraucher ausreichend deutlich über das bestehende Widerrufsrecht zu belehren", halten Dr. Marcus Hoffmann und Mirko Göpfert, Partner der im Bank- und Verbraucherschutzrecht tätigen Kanzlei Dr. Hoffmann & Partner Rechtsanwälte aus Nürnberg fest.
Innerhalb der deutschen Gerichtsbarkeit wird es ganz überwiegend als "Selbstverständlichkeit" erachtet, dass die vom Gesetzgeber geschaffene "Musterwiderrufsinformation" sowohl nationalen als auch europarechtlichen Vorgaben entspricht. "Der BGH hat bereits in diversen Entscheidungen festgestellt, dass die Musterwiderrufsinformation trotz des hierin enthaltenen Verweises gleichwohl ausreichend deutlich sein soll", erläutert Rechtsanwalt Göpfert.
Mit sehr guten Argumenten sieht das LG Saarbrücken in seiner Entscheidung vom 17.01.2019 die Formulierungen demgegenüber gerade nicht als "klar" und "prägnant" an. "Das Landgericht ist aus einleuchtenden Gründen der Auffassung, dass es für einen durchschnittlichen Verbraucher unmöglich ist, aus einem Verweis auf eine gesetzliche Vorschrift des BGB, die wiederum auf verschiedene andere Regelungen verweist, den Beginn der Widerrufsfrist zu erkennen", erläutert Rechtsanwalt Dr. Hoffmann. Der Europäische Gerichtshof muss nun klären, ob gemeinschaftsrechtliche Vorgaben den Formulierungen der deutschen Musterwiderrufsinformation entgegenstehen.
Falls der EuGH dies bestätigt, kommt auf die deutsche Bankenlandschaft eine ihren Ausmaßen noch nicht abzuschätzende Widerrufswelle zu, nachdem sich die Musterwiderrufsinformation in hunderttausenden Darlehensverträgen befindet. Im Grundsatz geht es dabei um die folgende Formulierung
Widerrufsrecht
Der Darlehensnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrages, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach §492 Abs. 2 BGB (z.B. zur Angabe des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.
Bereits jetzt ist allein die Vorlage-Entscheidung des LG Saarbrücken für Darlehensnehmer, die in der Zeit ab dem 11.06.2010 bis zum 20.03.2016 Verträge geschlossen haben, ein Paukenschlag. Sie eröffnet völlig neue Verhandlungsspielräume. "Banken in Deutschland müssen nun sehr genau überlegen, wie sie sich im Falle eines Widerrufs gegenüber dem Darlehensnehmer positionieren. Denn die vom EuGH zu entscheidende Frage wird in nahezu allen Rechtsstreitigen künftig vorgreiflich sein", stellt Rechtsanwalt Göpfert heraus. Nach Auffassung der Nürnberger Rechtsanwälte, die bereits über 1000 sogenannte Widerrufsfälle behandelt haben, lässt sich nur im Falle einer Einigung mit dem Darlehensnehmer zeitnah Rechtsklarheit schaffen, sodass Banken unter deutlichem Zugzwang stehen dürften.
Darlehensnehmer sollten ihre Finanzierungen daher durch einen auf dem Gebiet des Bankrechts fachkundigen Rechtsanwalt sorgfältig prüfen lassen, wenn sie von der Möglichkeit eines regelmäßig wirtschaftlich vorteilhaften Widerrufs Gebrauch machen möchten.
(Dr. Hoffmann & Partner Rechtsanwälte: ra)
eingetragen: 11.03.19
Newsletterlauf: 06.05.19
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