Künftiger multilateraler Investitionsgerichtshof
Beilegung von Investitionsstreitigkeiten und damit eine Abkehr von der Ad-hoc-Investor-Staat-Streitbeilegung
Der multilaterale Investitionsgerichtshof würde bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit künftigen und bestehenden Investitionsabkommen entscheiden
Die Europäische Kommission und die kanadische Regierung arbeiten gemeinsam auf die Errichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshofs hin. Angestrebt wird die Schaffung einer ständigen Einrichtung für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten und damit eine Abkehr von der Ad-hoc-Investor-Staat-Streitbeilegung (Investor-State Dispute Settlement – ISDS). Der multilaterale Investitionsgerichtshof würde bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit künftigen und bestehenden Investitionsabkommen entscheiden. Auf EU-Ebene würde er an die Stelle der bilateralen Investitionsgerichtssysteme treten, die in den jüngsten EU-Handels- und Investitionsabkommen vorgesehen sind.
Hintergrund
Das Konzept einer multilateralen Beilegung von Investitionsstreitigkeiten wurde auf EU-Ebene bereits im Rahmen der 2014 durchgeführten öffentlichen Konsultation von einigen Interessenträgern angeregt, die darin einen effektiveren Weg zur Reform des ISDS-Systems sahen als in bilateralen Reformen. Auch die Kommission legte in ihrem Konzeptpapier vom 5. Mai 2015 mit dem Titel "Investitionen in der TTIP und darüber hinaus: der Reformkurs" dar, dass parallel zu dem im Wege bilateraler EU-Verhandlungen eingeleiteten Reformprozess Arbeiten zur Errichtung eines multilateralen Systems für die Beilegung internationaler Investitionsstreitigkeiten in Angriff genommen werden sollten.
Der Vorschlag, auf eine multilaterale Lösung hinzuarbeiten, fand breite Unterstützung im Europäischen Parlament. Ganz in diesem Sinne wurde auch in der Kommissionsmitteilung "Handel für alle" aus dem Jahr 2015 das Ziel formuliert, sich gemeinsam mit den Partnern um einen Konsens über einen eigenständigen ständigen internationalen Investitionsgerichtshof zu bemühen, um eine kohärente, einheitliche und wirksame Politik zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zu entwickeln.
Der Vorschlag für eine multilaterale Reform stößt auch in vielen Drittländern auf wachsendes Interesse. Sowohl das zwischen der EU und Kanada unterzeichnete Handelsabkommen (CETA) als auch das Handelsabkommen zwischen der EU und Vietnam enthalten eine Verweisung auf die Errichtung eines ständigen multilateralen Investitionsgerichtshofs. Die EU sieht bei allen ihren laufenden Verhandlungen, die Investitionen zum Gegenstand haben, derartige Verweisungen vor.
Im Rahmen der Debatte über den Abschluss des CETA-Abkommens nahmen die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten im Ministerrat eine Erklärung zum multilateralen Investitionsgerichtshof an: "Der Rat unterstützt im Übrigen die Europäische Kommission in ihren Bestrebungen, darauf hinzuwirken, dass ein multilateraler Investitionsgerichtshof errichtet wird, der, sobald er errichtet ist, gemäß dem im CETA vorgesehenen Verfahren an die Stelle des mit dem CETA eingeführten bilateralen Systems treten wird."
Und im Gemeinsamen Auslegungsinstrument EU-Kanada heißt es wie folgt:
"Somit bedeutet das CETA einen wichtigen, radikalen Wandel der Investitionsvorschriften und Streitbeilegung. Es bildet die Grundlage für multilaterale Bemühungen um eine Weiterentwicklung dieses neuen Konzepts für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zu einem multilateralen Investitionsgerichtshof. Die EU und Kanada werden zügig auf die Errichtung des multilateralen Investitionsgerichtshofs hinarbeiten. Er sollte errichtet werden, sobald eine kritische Mindestmasse an Teilnehmern erreicht ist, und unverzüglich bilaterale Systeme wie das im CETA ersetzen; er sollte jedem Land, das sich zu den dem Gericht zugrunde liegenden Grundsätzen bekennt, uneingeschränkt zum Beitritt offenstehen."
Im Übrigen führt die Kommission derzeit eine Folgenabschätzung zu der Initiative durch (siehe hier und hier). In Kürze wird eine 12-wöchige öffentliche Konsultation eingeleitet und bis Februar 2017 soll eine Zusammenkunft der Interessenträger in Brüssel organisiert werden.
Fragen und Antworten
Hat die Kommission bereits eine Vorstellung davon, wie ein ständiger multilateraler Investitionsgerichtshof aussehen würde?
Genau darum geht es bei den ersten auf Regierungsebene geführten Sondierungsgesprächen in Genf. Deshalb ist es jetzt noch zu früh, um konkrete Angaben dazu zu machen.
Der multilaterale Investitionsgerichtshof könnte aufgebaut sein wie die meisten nationalen und internationalen Gerichte, die normalerweise zwei Instanzen umfassen, nämlich ein Gericht erster Instanz und eine Berufungsinstanz. Die erstinstanzliche Ebene könnte über Klagen entscheiden, die im Rahmen von Investitionsabkommen eingereicht werden und bei denen interessierte Länder beschließen, den multilateralen Gerichtshof zu befassen. Die Berufungsinstanz wäre zuständig, wenn gegen Entscheidungen des Gerichts erster Instanz Rechtsbehelfe eingelegt werden. Nach dem Vorbild anderer bestehender Gerichte könnte auch der multilaterale Investitionsgerichtshof über ständiges Personal und ein Sekretariat verfügen, das ihn in seiner täglichen Arbeit unterstützt.
Ist das nicht dasselbe Modell(Gericht erster Instanz/Berufungsgericht), wie es von der EU und Kanada im CETA-Abkommen vorgeschlagen wird?
Das im Rahmen von CETA vereinbarte Investitionsgerichtssystem (Investment Court System – ICS) basiert auf denselben Grundprinzipien wie die meisten nationalen und internationalen Gerichte: ständiger Charakter des Gerichts, Möglichkeit der Einlegung von Rechtsbehelfen und Zuweisung der Fälle nach dem Zufallsprinzip. Diese Grundprinzipien würden auch im Mittelpunkt der Gespräche über einen multilateralen Gerichtshof stehen.
Verhandlungen in einem multilateralen Kontext werfen jedoch eine Reihe spezifischer Fragen auf: Zuständigkeitsbereich des Gerichts, Mitgliedschaft, Ernennung der Richter, geografische Ausgewogenheit, ständiger Charakter des Gerichts, Vollstreckung, Zuweisung der Kosten, Standort usw. Diese Fragen stellen sich in einem bilateralen Kontext nicht unbedingt in gleicher Weise und können auch nicht unbedingt in gleicher Weise behandelt werden. Bei den anstehenden Gesprächen wird es um ebendiese Aspekte gehen.
Auf welche Weise würden die Interessenträger in den Verhandlungsprozess einbezogen?
Es handelt sich hier um einen inklusiven Prozess, an dem alle interessierten Länder teilnehmen können. Auf EU-Ebene möchte die Europäische Kommission den Prozess möglichst offen und transparent gestalten und zu diesem Zweck regelmäßige Treffen mit den Interessenträgern abhalten, um die gemeinsam mit anderen Ländern erzielten Fortschritte zu erörtern. Außerdem erstellt die Kommission derzeit eine spezielle Website, auf der alle relevanten Materialien zu der Initiative öffentlich zugänglich gemacht werden sollen.
Darüber hinaus führt die Kommission eine umfassende Folgenabschätzung zur angestrebten Errichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshofs durch. Die 12-wöchige öffentliche Konsultation auf der Grundlage eines Fragebogens wird in Kürze eingeleitet. Bis Februar 2017 soll zudem eine Zusammenkunft der Interessenträger organisiert werden, die der Initiative gewidmet sein wird. Der abschließende Folgenabschätzungsbericht dürfte im Sommer 2017 veröffentlicht werden.
Was würde mit den Investitionsgerichtssystemen geschehen, die im Rahmen von EU-Handels- und Investitionsabkommen eingerichtet wurden?
Sobald der multilaterale Investitionsgerichtshof seine Tätigkeit aufnehmen kann, würde er an die Stelle der in EU-Abkommen vereinbarten bilateralen Investitionsgerichtssysteme und etwaiger anderer in Investitionsabkommen der EU-Mitgliedstaaten oder Investitionsabkommen zwischen Drittländern vereinbarten Streitbeilegungsmechanismen treten. Die unlängst von der EU geschlossenen Abkommen mit Vietnam und Kanada enthalten jeweils Bestimmungen, die einen Übergang vom derzeitigen Investitionsgerichtssystem zu einem ständigen multilateralen Investitionsgerichtshof vorsehen und damit die Verpflichtung, gemeinsam mit der EU auf die Schaffung eines künftigen multilateralen Investitionsgerichtshofs hinzuarbeiten. Die EU sieht bei allen ihren Verhandlungen, die Investitionen zum Gegenstand haben, derartige Verweisungen vor.
Wäre ein solcher ständiger Investitionsgerichtshof Teil einer bereits bestehenden internationalen Organisation?
Der multilaterale Gerichtshof müsste ein Rechtsgebilde des Völkerrechts sein. Noch ist es jedoch verfrüht, Aussagen dazu zu machen, ob es sich um eine neue, eigenständige Einrichtung handeln würde oder ob der Gerichtshof bei einer bestehenden internationalen Organisation angesiedelt wäre. Diese Möglichkeit bleibt offen. In jedem Fall wird jedoch den Standpunkten der Mitglieder der in Frage kommenden internationalen Organisationen, deren derzeitiger und künftig zu erwartender Arbeitsbelastung sowie dem Zweck und den sonstigen Tätigkeiten dieser bestehenden Organisationen Rechnung zu tragen sein.
Wie sieht der Zeithorizont für die Errichtung eines ständigen multilateralen Investitionsgerichtshofs aus?
Hier bedarf es eines Konsenses mit gleichgesinnten Ländern. Dies lässt sich nicht über Nacht bewerkstelligen. Wir werden uns gemeinsam mit unseren Partnern über das weitere Vorgehen verständigen.
Welche Kosten würden durch die Errichtung eines ständigen multilateralen Investitionsgerichtshofs entstehen?
Eine Möglichkeit könnte darin bestehen, den multilateralen Gerichtshof über regelmäßige Zahlungen der Mitglieder zu finanzieren, wie es auch bei den meisten internationalen Organisationen, etwa der Welthandelsorganisation (WTO), der Fall ist.
Die zu veranschlagenden Kosten wären mit denen anderer internationaler Gerichte vergleichbar, beispielsweise des Internationalen Seegerichtshofs, dessen laufende Kosten rund 10 Mio. USD pro Jahr betragen, oder des WTO-Berufungsgremiums, dessen laufende Kosten rund 7 Mio. USD pro Jahr betragen.
Die auf die einzelnen Mitgliedstaaten entfallenden Kosten würden natürlich von der Gesamtzahl der Mitglieder abhängen. Mit der Zeit dürften die laufenden Kosten des multilateralen Gerichtshofs infolge der steigenden Mitgliederzahl und der zunehmenden Effizienz der Institution zurückgehen.
Würde die EU für die Errichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshofs Verhandlungsrichtlinien benötigen? An welchem Punkt des Prozesses stehen wir?
Die erste Frage ist mit Ja zu beantworten, da die Aushandlung, die Unterzeichnung und der Abschluss einer internationalen Übereinkunft erforderlich wären. Im Einklang mit Artikel 218 AEUV würde die Kommission auf der Grundlage eines Ratsbeschlusses über die Ermächtigung der Kommission zur Aushandlung eines solchen Abkommens im Namen der EU sowie entsprechender Verhandlungsrichtlinien tätig werden.
Da die Empfehlung für eine solche Ermächtigung als wichtige politische Initiative der EU betrachtet würde, ist auf Ebene der Kommission eine Folgenabschätzung erforderlich. Die entsprechenden Arbeiten werden bis Mitte 2017 abgeschlossen sein. (Europäische Kommission: ra)
eingetragen: 02.01.17
Home & Newsletterlauf: 19.01.17
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