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Null-Ethik-Linie in der "Finanzindustrie"


Auf dem Weg zum Primat der "Finanzindustrie" und ihrer "Lobbyisten"? - Bundespräsident Horst Köhler mahnt an: "Die Krise nicht verschwenden"
Köhler "Die Praxis des heute vorherrschenden Finanzkapitalismus kann für uns kein Leitbild sein"

(12.05.10) - "Stellen Sie sich vor …." - Als der deutsche Bundespräsident Horst Köhler am 29. April 2010 in seiner denkwürdige Rede beim IX. Munich Summit in München die "Finanzindustrie" und ihre "Lobbyisten" brandmarkte, konnte er nicht damit rechnen, dass ihn rund eine Woche später die Realität mehr als einholen und seine Kritik faustdick unterstreichen würde.

Ausgelöst durch die Griechenlandkrise und die Schuldensituation in Portugal und Spanien hat sich laut Regierungsangaben am 7. Mai 2010 erstmals auf den Finanzmärkten ein systematischer Großangriff auf den Euro abgezeichnet. High Noon sollte offenbar Montag der 10. Mai 2010 sein, an dem die Spekulanten der "Finanzindustrie" den Euro in Grund und Boden spekulieren wollten. Mit anderen Worten: Der Euro sollte als Währung zerfallen.

Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker nannte dies eine "weltweit organisierte Attacke gegen den Euro". Das Interessante daran: Offiziell weiß bis heute niemand so genau, welche Personen konkret hinter diesen Angriffen auf den Euro stehen. Faktisch weiß es jedoch jeder: Es sind die Hedgefonds, die auf einen fallenden Euro wetten, zumeist gemanagt von Personen, die das Wort Moral kaum buchstabieren können oder es zumeist mit dem Morast verwechseln, den sie einen freien Finanzmarkt nennen.

Hedgefonds unterliegen so gut wie keinen Anlagerichtlinien. Sie operieren mit dem zum Teil 15- bis 20-fachen ihres Eigenkapitals, erreichen oftmals auf diese Weise eine gigantische Hebelwirkung. Laut Wikipedia sollen Hedgefonds Ende 2006 über ein Volumen von rund 1,6 Billionen US-Dollar verfügt haben. Daheim sind diese Hedgefonds zum großen Teil in sogenannten Offshore-Finanzplätzen, also dort, wo es keine oder nur geringe Kontrolle gibt.

Verschweigen sollte man natürlich nicht, dass es ausgerechnet eine sozialdemokratisch-grüne Bundesregierung war, die die Hedgefonds in Deutschland salonfähig gemacht hatte: Bis 2004 waren Hedgefonds in Deutschland nicht zum öffentlichen Handel zugelassen. Erst das Investment-Modernisierungsgesetz, das am 1. Januar 2004 in Kraft trat, veränderte die Situation. Die Schmuddelkinder der Finanzwirtschaft durften in die gute Stube.

Um die Gemeinschaftswährung zu retten, hatten die Finanzminister der 27 EU-Mitgliedstaaten noch Sonntagnacht (09. Mai 2010) umfangreiche Rettungsmaßnahmen beschlossen. Im Kern bedeutet dies für Deutschland, dass es im Ernstfall sogar für weit mehr als 120 Milliarden Euro geradestehen muss.

Köhler sprach in seiner Rede davon, dass wir "die (abgelaufene Finanz-)Krise nicht verschwenden, sondern aus ihr lernen" müssen. Gleichzeitig hielt Köhler drei Antworten auf die Krise für geboten, von denen die erste lautete:

"Wir brauchen erstens Finanzmärkte unter dem Primat demokratischer Politik und im Dienst der Gemeinwirtschaft."

Doch schon gerade bei der jetzt erfolgten Attacke auf den Euro hat sich gezeigt, dass es den Primat der Politik im Bereich der Finanzwirtschaft nicht gibt oder kaum geben wird, wenn nicht alle wichtigen Wirtschaftsnationen am gleichen Strang ziehen.

Die jetzige Euro-Krise macht deutlich: Offensichtlich ordnet sich die internationale Finanzindustrie nicht der Politik unter - eher ist es umgekehrt. Die Politik wird zum Krisen-Handeln genötigt. Sie muss sich dem Primat der Finanzwirtschaft unterordnen. Sie muss selbst handeln wie ein Finanzjongleur, um den Hedgefonds den Wind aus den Segeln zu nehmen. Primat sieht eigentlich anders aus.

Köhler stellte in seiner Rede fest:
"Die internationale 'Finanzindustrie' hat mit so genannten Finanzinnovationen ihre eigenen Gewinne in schwindelnde Höhen getrieben und nicht nach den Risiken gefragt. Sie hat damit eine Krise ausgelöst, die ohne staatliche Rettungsmaßnahmen zu einem Zusammenbruch des globalen Finanzsystems geführt hätte."

Köhler wies darauf hin, dass die Regierungen, Parlamente und Zentralbanken durch mit ihrem Finanzkrisen-Management eine "Explosion der Staatsverschuldung und die damit verbundene Haftung der heutigen und künftiger Steuerzahler in Kauf nehmen" mussten.

"Solch eine Rettungsaktion lässt sich nicht wiederholen", sagte Köhler, "weder finanziell noch politisch."
Offensichtlich doch? Rund 750 Milliarden Euro umfasst das Rettungspaket, mit dem nun der Zerfall des Euros verhindert und die Attacke der Hedgefonds verhindert werden soll. Um mit Köhler zu sprechen: Da könnten wir nun also schon bald die nächste Explosion der Staatsverschuldung sehen.

Köhler verweist in seiner Rede auf die Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs der G 20 in Pittsburgh und darauf, dass sie richtige und wichtige Grundlagen gelegt hätten. Dies werde aber durch die "Finanzindustrie und ihre Lobbyisten" sabotiert.

"Die internationale 'Finanzindustrie' und ihre Lobbyisten lassen offensichtlich nichts unversucht, die verabredeten Maßnahmen zu verwässern. Zugleich geht das Wetten weiter, es bauen sich schon wieder neue Finanzblasen auf, und während die Staaten und die Bürger noch immer mit den Folgen der Krise kämpfen, genehmigen sich Teile der Finanzbranche schon wieder gigantische Boni."

Köhler schickt dann die wohl eher rhetorische Frage nach:
"Haben die Betreffenden überhaupt verstanden, was auf dem Spiel steht?"

Köhler stellte weiter fest:
"Die Praxis des heute vorherrschenden Finanzkapitalismus kann jedenfalls für uns kein Leitbild sein. Er ist sich selbst genug. Er operiert vor allem mit Wetten und Schulden. Er steigert seine eigenen Renditen ohne Rücksicht darauf, ob das dem Wohlergehen der Nationen nutzt. Die aktuelle Krise zeigt ein Muster, das nicht akzeptabel ist - die Gewinne haben wenige gemacht, die Verluste muss die Allgemeinheit tragen."

Köhler verwies in seiner Rede auf ein Leitbild, auf das Ralf Dahrendorf schon vor 25 Jahren hingewiesen habe. "Dauerhafte Werte schaffen, statt Wetten einzugehen."
Köhler weiter:
"Einer Wirtschaft mit diesem Leitbild haben auch die Finanzmärkte zu dienen. Sie sollen als vertrauenswürdiger Mittler zwischen Sparer und Investoren treten, statt alles in Gefahr zu bringen. Diese dienende Rolle ist die eigentliche Existenzberechtigung der Finanzmärkte, und sie darauf festzulegen, muss das zentrale Ziel der Neuordnung der Finanzmärkte sein."

Primat über die Finanzmärkte zurückgewinnen
Köhler fordert:
"Die Politik muss ihr Primat über die Finanzmärkte zurückgewinnen. Sie hat den Interessen der Finanzmarktakteure zu viel Raum ohne Regeln überlassen. Das war ein Grund dafür, dass die Finanzkrise überhaupt entstehen konnte. Und es hat dazu geführt, dass der Staat in der Finanzkrise erpressbar war - und es bis heute ist. So etwas darf sich nicht wiederholen."

Das gebietet einfache und harte Regeln für die 'Finanzindustrie'. Sie muss Grenzen gesetzt bekommen, damit Freiheit sich nicht selbst zerstört.

Vier Konsequenzen aus der Krise halte ich für vorrangig:

Erstens: Dem zentralen marktwirtschaftlichen Prinzip der Haftung muss wieder durchgängig Geltung verschafft werden, vor allem durch ausreichend hohes Eigenkapital für alle Arten von Finanzgeschäften, unabhängig vom Bankbegriff, das heißt unter Einbeziehung zum Beispiel auch von Hedgefonds und Private Equity-Firmen.

Zweitens - und das hat auch viel mit Haftung zu tun: Keine Bank und kein Finanzakteur darf mehr zu groß zum Scheitern sein. Das verlangt dringend eine besondere Insolvenzordnung für international operierende Finanzinstitute, einschließlich der Möglichkeit, ein Institut vorübergehend in staatliche Zwangsverwaltung zu nehmen.

Drittens: Wir brauchen größtmögliche Transparenz im Bereich der so genannten Derivate und ein Ende des Schattenbankenwesens. Es sollte für Finanzinnovationen ein internationales Zulassungsverfahren, eine Art internationaler TÜV, geschaffen werden, und Derivate sollten nur noch an öffentlichen Börsen gehandelt werden.

Viertens: Die Staats- und Regierungschefs der G 20 sollten darauf bestehen, dass die "Finanzindustrie", wie in Pittsburgh gesagt, einen "fairen und substanziellen Beitrag" zur Bewältigung der Kosten der Krise leistet. Mir persönlich scheint eine Abgabe auf internationale Finanztransaktionen hierfür immer noch der beste Weg.

Köhler fordert "kraftvolle Vorschläge für ein neues Regelwerk". Im Detail sollten "einige Geschäftsarten und auch Assetklassen" schlichtweg verboten werden, "zum Beispiel ungedeckte 'Leergeschäfte' oder Over the counter-Transaktionen mit riesiger Hebelwirkung. Auch für solche 'weapons of mass destruction' brauchen wir Abrüstung. Und Europa braucht eine effiziente zentrale Aufsicht über grenzüberschreitend tätige Institute und eine europäische Rating-Agentur. Harte Regeln für die Finanzmärkte würden zugleich der Logik unseres Einsatzes für einen wertbeständigen Euro entsprechen."
(Deutsche Bundesregierung: ra)

Lesen Sie die Rede von Bundespräsident Horst Köhler: "Die Krise nicht verschwenden!"


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