Expertenkritik an Arzneimittelreform


Mit einem Gesetzentwurf wird das Verfahren zur Nutzenbewertung und Preisbildung von Arzneimitteln in der GKV weiterentwickelt
Zugleich wird das seit 2010 geltende Preismoratorium für erstattungsfähige Arzneimittel bis Ende des Jahres 2022 verlängert



Der Gesetzentwurf der Deutschen Bundesregierung zur Stärkung der Arzneimittelversorgung (AMVSG) ist unter Gesundheitsexperten umstritten. Mit der Novelle sollen einerseits die Preise für neue, hochwertige Arzneimittel effektiver gedeckelt werden. Andererseits werden die Ergebnisse des sogenannten Pharmadialogs umgesetzt mit dem Ziel, die Branche und den Standort zu stärken. Vertreter der Ärzteverbände und der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sowie Einzelsachverständige äußerten sich anlässlich einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses über die Novelle auch in ihren schriftlichen Stellungnahmen kritisch über wichtige Details der Reform.

Mit dem Gesetzentwurf (18/10208) wird das Verfahren zur Nutzenbewertung und Preisbildung von Arzneimitteln in der GKV weiterentwickelt. Zugleich sollen neue Wirkstoffe möglichst schnell für Patienten verfügbar sein.

Bei neuen Medikamenten soll die freie Preisbildung im ersten Jahr nach Markteinführung künftig nur noch bis zu einem Schwellenwert in Höhe von 250 Millionen Euro gelten. Liegen die Umsätze darüber, werden Rabatte fällig. Die vereinbarten Erstattungsbeträge bleiben geheim. Damit soll nach Darstellung der Bundesregierung der Pharmastandort Deutschland gestärkt und Spielraum für die Preisvereinbarung geschaffen werden.

Zugleich wird das seit 2010 geltende Preismoratorium für erstattungsfähige Arzneimittel bis Ende des Jahres 2022 verlängert. Erhöht ein Hersteller den Abgabepreis, steht den Kostenträgern ein Preisabschlag in derselben Höhe zu. Dies betrifft jene Medikamente, für die noch kein Festbetrag festgelegt worden ist. Allerdings wird ab 2018 eine Preisanpassung entsprechend der Inflationsrate neu eingeführt.

Künftig sollen außerdem die Besonderheiten von Kinderarzneimitteln bei der Nutzenbewertung stärker berücksichtigt werden. Für Antibiotika wird zudem die Resistenzsituation bei der Nutzenbewertung mit einbezogen. Im Fall von neuen Forschungsergebnissen wird die Wartefrist für eine erneute Bewertung des Zusatznutzens verkürzt. Ärzte sollen besser über die Ergebnisse der Nutzenbewertung informiert werden.

Was Arzneimittel zur Krebsbehandlung (Zytostatika) angeht, entfällt dem Entwurf zufolge die Ausschreibungsmöglichkeit der Krankenkassen. Bislang können Kassen die Herstellung und Lieferung der kostspieligen Zytostatika mit Hilfe von Ausschreibungen an jene Apotheken mit dem günstigsten Preis vergeben. Zugleich sollen Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Pharmafirmen ermöglicht und Verhandlungsmöglichkeiten über die sogenannte Hilfstaxe für Apotheker erweitert werden.

Um Lieferengpässe zu vermeiden, erhalten die zuständigen Bundesoberbehörden die Möglichkeit, von den Arzneimittelherstellern Informationen über die Absatzmenge und das Verschreibungsvolumen einzufordern.

Sehr kritisch zu dem Entwurf äußerten sich die Bundesärztekammer (BÄK) und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) sowie die Krankenkassen. Die Mediziner lehnen an mehreren Stellen im Gesetzentwurf "eine mitgestaltende Rolle der pharmazeutischen Unternehmer" ab. Dabei geht es etwa um die Nutzenbewertung der Medikamente. Die Ärzte befürchten neben einem zu großen Einfluss der Pharmafirmen auch unzureichende Strategien zum Schutz der Antibiotika. Die Krankenkassen werteten auch die höhere Vergütung für Apotheker als falsches Signal. Laut GKV-Spitzenverband ist hier mit 115 Millionen Euro Mehrausgaben pro Jahr zu rechnen.

Die Ärzte rügten die geplante Geheimhaltung des Erstattungsbetrages. Dies stehe dem Transparenz- und Wirtschaftlichkeitsgebot in der GKV entgegen. Vor allem bei teuren Medikamenten gegen Krebs müssten die tatsächlichen Therapiekosten beurteilt werden können. Die Umsatzschwelle von 250 Millionen Euro greife in der Praxis kaum, da nur wenige Arzneimittel diese Grenze überschritten. Die höchsten Umsätze erzielten neue Medikamente auch erst im zweiten oder dritten Jahr nach der Markteinführung, das erste Jahr sei somit nicht repräsentativ.

Der Verzicht auf eine öffentliche Listung der Erstattungsbeträge stößt auch beim AOK Bundesverband auf heftige Gegenwehr. Damit reagiere der Gesetzgeber auf die von den Pharmafirmen behaupteten Erlösprobleme, während das drängende Problem der "immer schneller steigenden Arzneimittelpreise" nicht gelöst werde. Die Regelung werde nicht zu Einsparungen, sondern zu höheren Kosten führen. Mit der Umsatzschwelle von 250 Millionen Euro sei angesichts der wenigen betroffenen Präparate die Erwartung einer Ersparnis in zweistelliger Millionenhöhe ungerechtfertigt. Ohne Ausschreibungsoption für Zytostatika verzichte die GKV zudem auf ein Einsparpotenzial von 600-800 Millionen Euro, ohne dass die Versorgung der Krebspatienten verbessert werde.

Auch der GKV-Spitzenverband warnte mit Blick auf die Umsatzschwelle vor einem weiterhin "systematischen Fehlanreiz" für viele Pharmafirmen, "die Preisfreiheit im ersten Jahr gewinnbringend auszunutzen". Nur über eine rückwirkende Geltung des Erstattungsbetrages ab dem ersten Tag der Einführung könnten faire Arzneimittelpreise erreicht werden.

Eine Sachverständige aus Österreich empfahl in der Anhörung, bei der öffentlichen Listung der Erstattungsbeträge zu bleiben. Die Listenpreise für Medikamente seien in Deutschland besonders hoch, und viele europäische Länder nähmen Deutschland als Referenzmarkt. Es sei somit auch in anderen Ländern ein Preisanstieg zu befürchten, wenn die Erstattungsbeträge geheim blieben.

Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) sprach von ungerechtfertigten Sparmaßnahmen, die zu einer verschlechterten Versorgung führten und nannte die Einführung des Umsatzschwellenwertes und die Verlängerung des Preismoratoriums.

Der Pharmakologe Ulrich Schwabe von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hielt der Bundesregierung eine verfehlte Strategie zur Kosteneindämmung vor. In dem Entwurf würden die wirklichen Ursachen für die stark steigenden Arzneimittelausgaben nicht berücksichtigt. Schwabe rechnete in seiner Stellungnahme vor, dass die hohen Ausgaben im Widerspruch zu den Zielen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) stünden. Die bisherigen Einsparungen blieben weit hinter den Erwartungen zurück. (Deutscher Bundestag: ra)

eingetragen: 18.01.17
Home & Newsletterlauf: 09.02.17


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