"Null Strafe" gebe es nur im Steuerbereich


Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige unter Sachverständigen umstritten
Selbstanzeige dürfe nicht mehr als Gegenstand einer Hinterziehungsstrategie missbraucht werden


(14.07.10) - Die nach der Abgabenordnung mögliche strafbefreiende Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung ist unter Sachverständigen völlig umstritten. "Wer die Selbstanzeige gänzlich abschaffen will, schießt über das Ziel hinaus", erklärte Professor Wolfgang Joecks von der Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald in einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses.

Dagegen betonte Martin Kemper, Richter am Finanzgericht München, "dass die Legitimation der Selbstanzeige nur schwach begründet ist und einer Streichung von § 371 Abgabenordnung damit im Ergebnis keine gewichtigen Argumente entgegenstehen".

In der Anhörung ging es um mehrere Anträge und Gesetzentwürfe der Fraktionen. So fordern die CDU/CSU- und FDP-Fraktion in einem gemeinsamen Antrag (17/1755), die Selbstanzeige dürfe nicht mehr als Gegenstand einer Hinterziehungsstrategie missbraucht werden. Strafbefreiung solle nur noch derjenige erhalten, der alle noch verfolgbaren Steuerhinterziehungen der Vergangenheit vollständig offenbare.

Ähnlich argumentieren die Ausschüsse des Bundesrates, deren Empfehlungen ebenfalls Gegenstand der Anhörung waren. Die Rückkehr in die Steuerehrlichkeit dürfe nur dann mit Strafbefreiung honoriert werden, wenn die Selbstanzeige freiwillig, vollständig und richtig erstattet werde.

Die SPD-Fraktion verfolgt dagegen mit einem Gesetzentwurf (17/1411) das Ziel, die Möglichkeit der Selbstanzeige abzuschaffen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert eine Verschärfung der Kriterien der Selbstanzeige (17/1765). Die Linksfraktion will unter anderem eine Meldepflicht für größere Auslandsüberweisungen (17/1149) zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung.

Joecks erklärte, er habe die Selbstanzeige als Hinterziehungsstrategie in 30 Jahren Berufspraxis noch nicht erlebt. Er rate zu einem behutsamen Vorgehen. Man könne aber über die Vorschläge des Bundesrates reden, empfahl der Wissenschaftler.

Der Steuerberater-Verband wies ebenfalls den Verdacht zurück, es könne Hinterziehungsstrategien geben. Vielmehr gebe es Fälle, dass Schwarzgeld irgendwann Probleme bereitet, etwa weil es sich nicht vererben lasse und dann zum Instrument der Selbstanzeige gegriffen werde.

Ein Vertreter der Steuerberaterkammer erklärte, das bestehende System mit der Selbstanzeige habe sich in der Praxis bewährt. Hinterziehungsstrategien bei der Selbstanzeige konnte er ebenfalls nicht bestätigen. Er wies außerdem darauf hin, dass zum Beispiel in Fällen von unwissentlich falschen Angaben für den Kindergeldbezug – etwa wenn Einkünfte der Kinder nicht bekannt gewesen seien – das Instrument der Selbstanzeige notwendig sei, um Kriminalisierungen zu vermeiden.

Solchen Angaben widersprachen Deutsche Steuer-Gewerkschaft und Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) energisch. Der Vorsitzende der Steuer-Gewerkschaft, Dieter Ondracek, erklärte, unwissentlich gemachte falsche Angaben beim Kindergeld seien "nie und nimmer strafrechtlich relevant". Dass jemand mit "null Strafe" davon kommen könne, gebe es nur im Steuerbereich. Es habe mit dem Rechtsstaat nichts mehr zu tun, wenn sich der Staat die Pflicht zur Strafverfolgung abkaufen lasse. Ondracek empfahl einen "klaren Schnitt". Selbstanzeigen gebe es nur, wenn die Entdeckung unmittelbar bevorstehe: "Das ist das, was ich Strategie nenne."

Auch Susanne Uhl vom DGB bestritt, dass Kindergeldfälle unter die Selbstanzeige fallen würden. Auf die Selbstanzeige könne problemlos verzichtet werden.

Professor Rudolf Hickel vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen sagte zu den in diesem Jahr bisher eingegangenen 21.000 Selbstanzeigen mit einem Volumen von 1,5 Milliarden Euro an entgangenen Steuern: "Das sind keine Kindergeldfälle". Wie Hickel sah auch die Organisation “Tax Justice Network" Probleme mit Vereinbarungen zum besseren Informationsaustausch mit sogenannten Steueroasen. Die geschlossenen Abkommen seien fast nur Placebos, so "Tax Justice Network".

Professor Markus Jäger, Richter am Bundesgerichtshof, warnte davor, durch eine Abschaffung der Selbstanzeige, "das Kind mit dem Bade auszuschütten".

Auch Steueranwalt Rainer Spatschek empfahl die Beibehaltung der Selbstanzeige. Oft sei es so, dass Mandaten, etwa aus Altersgründen, mit dem Schwarzgeld nichts mehr anzufangen wüssten und zum Instrument der Selbstanzeige greifen würden.

Der Zentrale Kreditausschuss, in dem die großen Bankenverbände zusammengeschlossen sind, hält die Selbstanzeige "für ein grundsätzlich geeignetes Instrument des Fiskus, um Kenntnis von bislang nicht bekannten steuerlich relevanten Sachverhalten zu erlangen und diese zu besteuern". (Deutscher Bundestag: ra)


Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • Gleichstellung als verbindliches Förderkriterium

    Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert in einem Antrag (21/790) die Bundesregierung auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Gleichstellung von Frauen und Mädchen im organisierten Sport in Deutschland deutlich zu verbessern.

  • Ausbau der digitalen Infrastruktur

    Die von der schwarz-roten Koalition geplante Novelle des Telekommunikationsgesetzes ist bei einer Mehrheit der Sachverständigen auf Zustimmung zu den Zielen und Kritik an Details gestoßen. In einer öffentlichen Anhörung des Digitalausschusses zum TKG-Änderungsgesetz 2025 bezeichnete eine Reihe von Sachverständigen den Entwurf als ein wichtiges Signal für die Branche.

  • Auskunft zum Cum/Ex und Cum/Cum

    Zum Stichtag 31. Dezember 2023 befanden sich 380 Verdachtsfälle zur Steuergestaltung bei Cum-Ex-Geschäften bei den Obersten Finanzbehörden der Länder und beim Bundeszentralamt für Steuern mit einem Volumen nicht anrechenbarer/erstatteter Kapitalertragssteuer inklusive Solidaritätszuschlag von rund 3,8 Milliarden Euro in Bearbeitung. Diese Angaben macht die Bundesregierung in ihrer Antwort (21/548) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion die Linke (21/310).

  • Kosten der Vermeidung von CO2-Emissionen

    Keine konkreten Angaben zu den Kosten, die ihre Pläne zur Vermeidung von CO2-Emissionen verursachen, macht die Bundesregierung in ihrer Antwort (21/715) auf eine Kleine Anfrage (21/296) der AfD-Fraktion. Zur Begründung verweist sie darauf, dass Deutschland zur Erreichung der Klimaschutzziele auf ein "breites Spektrum aufeinander abgestimmter Klimaschutzmaßnahmen" setze. Diese dienten neben der Minderung von Treibhausgasen auch der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, dem sozialen Ausgleich sowie der langfristigen Transformation hin zur Klimaneutralität. Die Ausgestaltung der Klimaschutzmaßnahmen gehe dabei über eine "kurzfristige, rein statische Betrachtung der CO2-Vermeidungskosten" hinaus.

  • Steuerung des Windenergieausbaus

    An der von den Koalitionsfraktionen geplanten Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU (RED III) besteht Nachbesserungsbedarf. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Umweltausschusses zu dem Gesetzentwurf "zur Umsetzung von Vorgaben der Richtlinie (EU) 2023/2413 für Zulassungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz und dem Wasserhaushaltsgesetz, zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes, zur Änderung des Windenergieflächenbedarfsgesetzes und zur Änderung des Baugesetzbuchs" (21/568) deutlich.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen