Skandal: Wegfallen der Bußgeldregelung
Experten uneins über Maßnahmen für inklusiveren Arbeitsmarkt
Die Ausgleichsabgabe wird künftig zweckgebunden zur Förderung von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt genutzt
Der Großteil der befragten Sachverständigen begrüßt die im Gesetzentwurf (20/5664) der Bundesregierung geplante Einführung einer "vierten Stufe" bei der Ausgleichsabgabe. Das Wegfallen der Bußgeldregelung für "Null-Beschäftiger" wiederum kritisierten einige Experten. Dies ging aus einer Anhörung zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts hervor, die im Ausschuss für Arbeit und Soziales stattfand. Gegenstand der Anhörung waren neben dem Gesetzentwurf, Anträge der AfD-Fraktion (20/5999) und der Fraktion die Linke (20/5820).
Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, mehr Menschen mit Behinderung auf den sogenannten ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Erreicht werden soll dieses Ziel unter anderem durch die Einführung einer höheren Ausgleichsabgabe für Betriebe, die trotz gesetzlicher Vorgaben keine Menschen mit Behinderung beschäftigen ("vierte Stufe"). Sogenannte Null-Beschäftiger mit mehr als 60 Angestellten müssen künftig 720 Euro monatlich pro unbesetzter Stelle zahlen. Bislang gab es drei Stufen der Ausgleichszahlung, die höchste sah einen Betrag von 360 Euro vor. Im Gegenzug soll die Bußgeldregelung abgeschafft werden. Bislang können "Null-Beschäftiger" zunächst mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 Euro belegt werden.
Da noch immer viele Unternehmen die Beschäftigungspflicht nicht erfüllten, sei die Einführung der vierten Stufen "absolut richtig", sagte Dorothee Czennia vom Sozialverband VdK Deutschland e.V. Jörg Polster vom Allgemeinen Behindertenverband in Deutschland e.V. kritisierte, dass Unternehmen die Ausgleichsabgabe weiterhin steuerlich absetzen könnten.
Dass die Ausgleichsabgabe künftig zweckgebunden zur Förderung von Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt genutzt werde, begrüßte Claudia Rustige von der Bundesarbeitsgemeinschaft Inklusionsfirmen e.V. Da der inklusive Arbeitsmarkt laut Rustige eine "gesamtgesellschaftliche Aufgabe" ist, muss eine Finanzierung durch Haushaltsmittel gesichert sein. Konstantin Fischer (Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen) mahnte, dass "Dienste und Einrichtungen" weiterhin dieselbe Qualität gewährleisten müssten, auch wenn die Ausgleichsabgabe als Finanzierungsmöglichkeit für die Werkstätten mit der neuen Zweckbindung wegfalle. Die Werkstätten thematisierte auch Janina Jänsch vom Bundesverband für körperlich- und mehrfachbehinderte Menschen. So müsse dringend der Übergang von Schule zu Beruf in den Fokus gesetzt werden, um dem "Automatismus, von Förderschule direkt in die Werkstatt zu gehen", entgegenzuwirken, sagte sie.
Als "Skandal" bezeichnete der ehemaligen Richter am Bundesarbeitsgericht Franz Josef Düwell das Wegfallen der Bußgeldregelung. Der Staat habe dadurch künftig keine Möglichkeit mehr, Unternehmen bei Nicht-Beschäftigung durch eine Ordnungswidrigkeit zu belangen. Auch Felix Welti (Universität Kassel) kritisierte das Vorhaben, das Bußgeld zu streichen. Eine "Nicht-Beschäftigung" stelle eine Diskriminierung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention dar und müsse entsprechend als Ordnungswidrigkeit behandelt werden.
Zweifel an der Effektivität einer vierten Stufe äußerte Olivia Trager (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V.)."Weitere Sanktionierungen" seien nicht der richtige Schritt, da eine Beschäftigung von Menschen mit Behinderung nicht am Willen der Unternehmen scheitere und höhere Abgaben die Wirtschaft insgesamt stärker belasten würden, sagte sie.
Monika Labruier, die als Geschäftsführerin der ProjektRouter gGmbH aktiv auf einen inklusiven Arbeitsmarkt hinarbeitet, betonte, dass Jobcoaches und eine gute Beratung für Unternehmen entscheidend seien, um mehr Menschen mit Behinderung auf den ersten Arbeitsmarkt zu holen.
Dass der Gesetzentwurf ein sogenanntes Genehmigungsverfahren vorsieht, begrüßte Evelyn Räder vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Dadurch würden Anträge, sollte das Integrationsamt sich nicht binnen sechs Wochen einschalten, automatisch als genehmigt gelten.
Eva-Maria Thoms (mittendrin e.V.) berichtete von ihrer Erfahrung mit dem Projekt "Ausbildung mittendrin": Es sei hierbei kein Problem, Auszubildende mit geistiger Beeinträchtigung auf dem Arbeitsmarkt zu bringen. Vielmehr seien systematische Hürden im Weg, sagte Thoms. So seien beispielsweise Berufsschulen nicht darauf vorbereitet, mit der neuen Zielgruppe umzugehen.
Die Anhörung zum Gesetzentwurf im Video, die Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen auf bundestag.de:
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw13-pa-arbeit-soziales-arbeitsmarkt-938570 (Deutscher Bundestag: ra)
eingetragen: 01.04.23
Newsletterlauf: 06.07.23
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