Sie sind hier: Home » Recht » Deutschland » Gesetze

Keine Speicherung von EU-Fluggastdaten


Unter datenschutz- und verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten absolut inakzeptabel: Grüne lehnen Speicherung von Fluggastdaten ab - Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht
EU-Rahmenbeschluss sieht vor, die Fluggastdaten zu erfassen, auszuwerten und 13 Jahre zu speichern, obwohl gegen die Reisenden "nicht der geringste Verdacht einer strafbaren Handlung" vorliege


(03.03.08) - Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen lehnt den geplanten EU-Rahmenbeschluss zur Einrichtung eines europäischen Systems zur Auswertung von Fluggastdaten (PNR) ab. Das geht aus einem Antrag (16/8199) hervor, der Vorschläge zur Speicherung von PNR-Daten aller Reisenden zwischen Europa und den Nicht-EU-Staaten als "unter datenschutz- und verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten absolut inakzeptabel" bezeichnet.

Der EU-Rahmenbeschluss, so die Abgeordneten, sehe vor, die Fluggastdaten zu erfassen, auszuwerten und 13 Jahre zu speichern, obwohl gegen die Reisenden "nicht der geringste Verdacht einer strafbaren Handlung" vorliege. Es handle sich dabei unter anderem um Datensätze wie Name, Anschrift, Kreditkartennummer, Telefonnummer, E-Mail-Adresse, Beteiligung an Vielflieger-Bonusprogrammen und Hotel- oder Mietwagenbuchungen. Dies stelle einen erheblichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht dar, heißt es weiter. Zudem sei in keiner Weise belegt, dass es durch den Aufbau derartig umfangreicher Datensammlungen zu einem Sicherheitsgewinn komme.

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Vorschläge von EU-Kommissar Franco Frattini, die Fluggastdaten aller Reisenden zwischen Europa und den Nicht-EU-Staaten 13 Jahre auf Vorrat zu speichern (KOM(2007) 654 endg.; Ratsdok. 14922/07), sind unter datenschutz- und verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten absolut inakzeptabel und sollten auch aus sicherheitspolitischen Gründen nicht weiterverfolgt und umgesetzt werden.

2. Der vorgeschlagene Rahmenbeschluss sieht vor, die Fluggastdaten aller Reisenden zwischen Europa und den Nicht-EU-Staaten, ohne dass gegen sie der geringste Verdacht einer strafbaren Handlung oder Gefährdung vorliegen muss, auf Vorrat in Datenbanken zu erfassen, zur Strafverfolgung von Terrorismus sowie Organisierter Kriminalität auszuwerten und 13 Jahre zu speichern. Erfasst, gespeichert und ausgewertet werden sollen 19 Datensätze wie Name und Anschrift, Kreditkartennummer, Telefonnummer, E-Mail-Anschrift, Beteiligung an Vielflieger-Bonusprogrammen, Hotel- oder Mietwagenbuchungen.

3. Die Speicherung und Auswertung von EU-Fluggastdaten stellt einen erheblichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht dar. Nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes (vgl. BVerfGE 65, 1, 47) besteht außerhalb statistischer Zwecke ein "striktes Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat". Trotz vielfältiger Ankündigungen liegt immer noch kein Rahmenbeschluss des Rates über den Schutz personenbezogener Daten vor; folglich fehlen Vorgaben der EU zum Schutz der Fluggastdaten bei der nun vorgeschlagenen Verarbeitung. Die fehlende Möglichkeit der Betroffenen, über die Datenspeicherung Auskunft zu erhalten, fehlerhafte Daten korrigieren oder löschen zu lassen, das Fehlen selbst einer nachträglichen Benachrichtigung der Betroffenen sowie eines entsprechenden Rechtsbehelfs widersprechen grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien.

4. Nach der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) stellt das systematische, rechtlich unbegrenzte Sammeln von Daten eine Verletzung von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) dar (Urteil vom 4. Mai 2000 – 28341/95 – Rotaru, Tz 57 ff.).

5. Ein sicherheitsbedingtes Bedürfnis zu der geplanten Verarbeitung der Fluggastdaten weist weder der vorgeschlagene Rahmenbeschluss nach noch die Folgenabschätzung der Kommission – (SEK(2007) 1453 – zumal Fluggesellschaften bereits mit der Richtlinie 2004/82/EG verpflichtet wurden, den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten erweiterte Fluggastdaten (APIDaten) zu übermitteln. Es liegt keine Evaluation über die Wirkung dieser Richtlinie vor, die die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme aufzeigt.

6. In keiner Weise belegt ist der Sicherheitsgewinn durch den Aufbau solcher umfangreicher Datensammlungen. Nach Angaben der EU-Kommission würde der Aufbau der geplanten Fluggastdatenbank im ersten Jahr 600 Mio. Euro und in den Folgejahren 73 Mio. Euro kosten.

7. Die zweckungebundene Verknüpfung verschiedener Datenbänke unterschiedlicher Sicherheitsorgane weicht das deutsche Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten auf. Die vorgesehene Verwendung der PNR-Daten für Strafverfolgungsmaßnahmen durch die datensammelnden Stellen selbst steht imWiderspruch zur Aufgabenverteilung zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft und gibt das Prinzip der staatsanwaltschaftlichen Sachleistungsbefugnis auf.

II.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, den geplanten EU-Rahmenbeschluss zur Einrichtung eines europäischen Systems zur Auswertung von Fluggastdaten (PNR) abzulehnen.

Begründung
Nach den Vorschlägen von EU-Kommissar Franco Frattini sollen z. B. von allen Touristen oder von allen Geschäftsleuten, die nach China, Russland, Indien oder Ägypten reisen, verdachtsunabhängig Risikoprofile erstellt werden. Sowohl der Grundsatz der Zweckbindung bei der Sammlung von Daten, als auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind hier nicht mehr gewahrt. Schon heute führen sog. Non-Flight-Listen in den USA dazu, dass völlig unbescholtene Bürgerinnen und Bürger mit gravierenden persönlichen Folgen und allenfalls geringen Rechtsschutzmöglichkeiten vom Reiseverkehr mit dem Flugzeug ausgeschlossen werden. Gesehen werden muss auch die Gefahr, dass diese Daten zum Zwecke der Wirtschaftsspionage missbraucht werden könnten. Selbst die Bundesregierung hegt offenbar erhebliche Bedenken gegen das Vorhaben.

Für die Bundesregierung nannte die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, vor dem 11. Europäischen Polizeikongress am 29. Januar 2008 in Berlin u. a. die folgende Kritikpunkte:

PNR steht für "Passenger Name Record" und damit sind die Daten gemeint, die eine Fluggesellschaft bei jedem Flug über die einzelnen Passagiere erhebt. Nach dem Vorschlag der Kommission sollen in Zukunft bei jeder Flugreise aus der EU hinaus oder in die EU hinein über jeden Passagier über 19 verschiedene Kategorien persönlicher Daten gespeichert werden: Wie der Reisende heißt, wo er wohnt und welche Telefonnummer er hat. Wie er das Ticket bezahlt hat, auf welchem Sitzplatz er gesessen hat und "sonstige Sitzplatzinformationen".

Damit sind offenbar auch die Menüwünsche beim Mittagessen gemeint. Erfasst werden sollen zudem auch Daten Dritter: Etwa der Name des Sachbearbeiters im Reisebüro, der das Flugticket verkauft hat, die Namen von Mitreisenden und bei Kindern unter 18 Jahren auch, wer das Kind am Flughafen abgeholt hat und wie er mit ihm verwandt ist. Alle diese Informationen sollen die Fluggesellschaften an staatliche Stellen in den Mitgliedstaaten übermitteln, die diese Daten zur Terrorismusbekämpfung nutzen dürfen. Der Entwurf der Kommission sieht vor, dass die staatlichen Behörden in Zukunft jeden Passagier einer sogenannten Risikoanalyse unterziehen. Wie das genau ablaufen soll, darüber wird nichts gesagt, aber ganz offensichtlich wird hier an eine Art Rasterfahndung gedacht. Über die konkrete Nutzung der Daten sagt der Entwurf ebenfalls wenig, dagegen ist er bei deren Weitergabe sehr großzügig. Ein Datenaustausch ist nicht nur zwischen den Sicherheitsbehörden der Mitgliedstaaten vorgesehen, sondern auch mit Drittstaaten. Ganz exakt hingegen ist die Dauer der Datenspeicherung geregelt: Mindestens 13 Jahre lang sollen die Passagierdaten aufbewahrt werden. Durch diese lange Speicherdauer gewinnt die Datenerhebung eine zusätzliche Eingriffstiefe, dann dadurch entsteht ein Bewegungs- oder vielmehr ein Reisebild einer Person.

Ich fürchte, dieser Vorschlag wäre ein weiterer Schritt hin zu einem Präventionsstaat. Zu einem Staat, der schon vorbeugend seine Bürger überwacht und kontrolliert, ohne das gegen sie irgendetwas vorliegt.

Allein für Deutschland wären von der Speicheraktion jährlich rund 50 Millionen Flugpassagiere betroffen. Ich habe die Sorge, dass hier vor allem viel Datenmüll produziert wird, der uns bei der Terrorismusbekämpfung überhaupt nichts nützt."

Angesichts dieser deutlichen öffentlichen Worte der Bundesministerin wäre es für die Öffentlichkeit überhaupt nicht nachvollziehbar, wenn sich die Bundesregierung nicht mit allem Nachdruck in den EU-Gremien gegen die geplante Speicherung der Fluggastdaten aussprechen würde.
(Deutscher Bundestag: Bündnis 90/Die Grünen: ra)


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Gesetze

  • Verordnung zu Cookies auf Webseiten vorgelegt

    Damit Internetnutzer eine "anwenderfreundliche Alternative zu der Vielzahl zu treffender Einzelentscheidungen" bei Cookie-Einwilligungsbannern haben, hat die Bundesregierung eine Verordnung auf den Weg gebracht (20/12718).

  • Änderung der Außenwirtschaftsverordnung

    Mit der 21. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsordnung soll die Ausfuhr von "Dual-Use-Gütern", also Waren mit doppeltem Verwendungszweck, restriktiver gehandhabt werden.

  • Bekämpfung von Finanzkriminalität

    Der Etat des Bundesfinanzministeriums (Einzelplan 08) soll 2025 um 332 Millionen Euro auf 10,1 Milliarden Euro steigen im Vergleich zu 2024. Das zumindest sieht der Haushaltsentwurf der Bundesregierung vor, der dem Bundestag zugeleitet wurde (20/12400).

  • Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz beschlossen

    Der Rechtsausschuss hat den Gesetzentwurf der Bundesregierung "zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes" (KapMuG - 20/10942, 20/11307) beschlossen. Die Vorlage passierte das Gremium in geänderter Fassung mit Stimmen der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei Ablehnung der CDU/CSU-Fraktion, der Gruppen Die Linke und BSW und Enthaltung der AfD-Fraktion.

  • Auskunftssperren für Mandatsträger

    Die Deutsche Bundesregierung will mit einem Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesmeldegesetzes (20/12349) den Schutz gefährdeter Personen vor Anfeindungen oder sonstigen Angriffen, die nach Bekanntwerden ihrer Wohnanschrift durch Melderegisterauskünfte erfolgen können, verstärken.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen