Sie sind hier: Home » Recht » EU & Europa » Europäische Kommission

Globaler Wettbewerb wäre ausgeschaltet


Fusionskontrolle: Europäische Kommission untersagt geplanten Zusammenschluss Deutsche Börse/NYSE Euronext
Zusammen kontrollieren beide Unternehmen über 90 Prozent des weltweiten Handels mit europäischen Finanzderivaten


(13.02.12) - Die Europäische Kommission hat den geplanten Zusammenschluss von Deutscher Börse und NYSE Euronext nach der EU-Fusionskontrollverordnung untersagt, da er im Bereich des weltweiten Börsenhandels mit europäischen Finanzderivaten zu einer monopolartigen Stellung geführt hätte. Zusammen kontrollieren die beiden Unternehmen über 90 Prozent des weltweiten Handels mit den genannten Derivaten. Der Prüfung der Kommission zufolge hätten neue Wettbewerber kaum Chancen, sich in der Weise auf dem Markt zu behaupten, dass sie auf das aus dem Zusammenschluss hervorgehende Unternehmen einen ernsthaften Wettbewerbsdruck ausüben könnten. Im Rahmen der Unterbreitung von Verpflichtungsangeboten boten die Unternehmen insbesondere an, bestimmte Vermögenswerte zu veräußern und für bestimmte Kategorien neuer Kontrakte Zugang zu ihrem Clearinghaus zu gewähren. Insgesamt waren die Verpflichtungszusagen jedoch nicht geeignet, um die festgestellten wettbewerbsrechtlichen Bedenken auszuräumen.

Der für Wettbewerbspolitik zuständige Vizepräsident der Kommission Joaquín Almunia erklärte: "Der Zusammenschluss Deutsche Börse/NYSE Euronext hätte auf dem Markt für europäische Finanzderivate weltweit zu einer monopolartigen Stellung geführt. Da diese Märkte den Mittelpunkt des Finanzsystems bilden, ist es für die gesamte europäische Wirtschaft sehr wichtig, dass sie wettbewerbsfähig bleiben. Wir haben versucht, eine Lösung zu finden, aber die angebotenen Abhilfemaßnahmen haben bei Weitem nicht ausgereicht, um die Bedenken auszuräumen."

Die von der Deutschen Börse betriebene Eurex und die von NYSE Euronext betriebene Liffe sind weltweit die beiden größten Börsen für auf europäischen Werten basierende Finanzderivate. Sie konkurrieren auf Augenhöhe und sind einander die wettbewerblich nächststehenden Wettbewerber.

Der geplante Zusammenschluss hätte diesen globalen Wettbewerb ausgeschaltet und bei einer Reihe von Vermögenswertkategorien eine monopolartige Stellung geschaffen, was den Derivatenutzern und der europäischen Wirtschaft insgesamt erheblichen Schaden zugefügt hätte. Wenn auf dem Markt kein wirksamer Wettbewerbsdruck mehr verbliebe, könnten die Kunden nicht mehr von den Vorteilen des Preiswettbewerbs profitieren. Ferner gäbe es in einem Bereich, in dem ein durch Wettbewerb gekennzeichneter Markt sowohl für die KMU als auch für die größeren Unternehmen sehr wichtig ist, weniger Innovationsanreize.

Zusammenfassung der Ergebnisse der Kommission

1. Relevanter Markt
Die Prüfung der Kommission konzentrierte sich auf die Auswirkungen des geplanten Zusammenschlusses auf die Märkte für börsengehandelte europäische Finanzderivate (europäische Zinsderivate, Einzelaktienderivate und Aktienindexderivate). In anderen Bereichen, wie etwa Börsennotierungen, Kassahandel und Nachhandelsdienste, wurden keine erheblichen wettbewerbsrechtlichen Bedenken geäußert.

Derivate sind Finanzkontrakte, deren Wert sich von einer zugrundeliegenden Referenzgröße (z. B. Zinssatz) oder einem zugrundeliegenden Vermögensgegenstand (z. B. Aktien) ableitet. Sie werden von Unternehmen und Finanzinstituten zur Steuerung der finanziellen Risiken eingesetzt. Auch private und institutionelle Anleger – u. a. Investment- und Pensionsfonds, die im Auftrag von Endverbrauchern anlegen – verwenden sie als Anlageinstrument.

Derivative können an Börsen oder außerbörslich (sogenannte OTC-Geschäfte) gehandelt werden. Börsengehandelte Derivate sind in Bezug auf die Gesamtheit ihrer rechtlichen und wirtschaftlichen Konditionen voll standardisierte Kontrakte, die sich durch eine hohe Liquidität und einen vergleichsweise geringen Umfang (rund 100 000 EUR pro Transaktion) auszeichnen. Bei OTC-Derivaten handelt es sich in der Regel um erhebliche umfangreichere Kontrakte (rund 200 Mio. EUR pro Abschluss), die eine individuelle Vertragsgestaltung erlauben. Der Prüfung zufolge werden börsengehandelte Derivate und OTC-Geschäfte von den Kunden in der Regel nicht als austauschbar betrachtet, da sie zu unterschiedlichen Zwecken und unter verschiedenen Umständen eingesetzt werden. Aus Gründen der Risikosteuerung ist es bestimmten Börsenteilnehmern zudem im Rahmen ihrer Vollmachten nicht erlaubt, Geschäfte auf dem OTC-Markt zu tätigen.

2. Monopolartige Stellung bei börsengehandelten europäischen Finanzderivaten
Die von der Deutschen Börse betriebene Eurex und die von NYSE Euronext betriebene Liffe sind weltweit die beiden größten Börsen für auf europäischen Werten basierende Finanzderivate. Sie konkurrieren auf Augenhöhe und sind einander die wettbewerblich nächststehenden Wettbewerber.

Der geplante Zusammenschluss hätte diesen globalen Wettbewerb ausgeschaltet und bei einer Reihe von Vermögenswertkategorien eine monopolartige Stellung geschaffen, was den Derivatenutzern und der europäischen Wirtschaft insgesamt erheblichen Schaden zugefügt hätte. Wenn auf dem Markt kein wirksamer Wettbewerbsdruck mehr verbliebe, könnten die Kunden nicht mehr von den Vorteilen des Preiswettbewerbs profitieren. Ferner gäbe es in einem Bereich, in dem ein durch Wettbewerb gekennzeichneter Markt sowohl für die KMU als auch für die größeren Unternehmen sehr wichtig ist, weniger Innovationsanreize.

Zwar gibt es andere Gesellschaften, u. a. die Chicago Mercantile Exchange (CME), die weltweit vergleichbare Dienste erbringen, aber in den betreffenden Vermögenswertkategorien sind sie nur marginal tätig. Wegen der hohen Eintrittsschranken wäre der Prüfung zufolge kein anderer Marktteilnehmer in der Lage, beim Handel mit europäischen Finanzderivaten ein so großes Geschäftsvolumen zu erzielen, dass der Markt weiterhin von Wettbewerb geprägt wäre.

Sowohl Eurex als auch Liffe bieten Handel, Clearing und Abwicklung aus einer Hand an (geschlossenes "vertikales Silo"), indem sie ihre Börsen mit dem eigenen Clearinghaus verbinden. Durch den Zusammenschluss wäre ein einziges vertikales Silo entstanden, auf das der Handel und das Clearing von über 90 Prozent der Transaktionen auf dem weltweiten Markt für europäische börsengehandelte Finanzderivate entfallen wäre. Für neue Akteure wäre der Markteintritt schwierig gewesen, denn aufgrund der Vorteile des Clearings vergleichbarer Kontrakte in einem einzigen Clearinghaus wären die Kunden kaum bereit gewesen, vergleichbare Derivate an einer anderen Börse zu handeln. Daher hätte die Marktdynamik die durch den Zusammenschluss bewirkte monopolartige Stellung weiter gestärkt und damit zu höheren Preise und geringen Innovationsanreizen geführt.

Die beiden Unternehmen machten geltend, dass der Zusammenschluss den Kunden im Hinblick auf eine höhere Liquidität zugute käme. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass der Zusammenschluss direkt derartige Vorteile bewirkt hätte. In der Vergangenheit hat eher der Wettbewerb – als eine Börsenkonsolidierung – zu Liquiditätsgewinnen geführt.

Die Unternehmen argumentierten ferner, dass die Kunden weniger Sicherheiten leisten müssten. Diese Vorteile würden jedoch erheblich geringer ausfallen als von den beteiligten Unternehmen dargelegt, und sie könnten zum Teil auch ohne den Zusammenschluss erreicht werden.

In jedem Falle würden die möglicherweise erzielten Effizienzgewinne nicht ausreichen, um den durch den Zusammenschluss verursachten Schaden für die Verbraucher auszugleichen. Aufgrund der Schaffung einer monopolartigen Stellung wäre es ferner unwahrscheinlich, dass eventuelle Vorteile in vollem Umfang an die Kunden weitergeben würden.

3. Von den beiden Unternehmen angebotene Abhilfemaßnahmen
Die beiden Unternehmen haben in erster Linie angeboten, das europäische Einzelaktienderivatgeschäft von Liffe zu veräußern, sofern es mit Eurex im Wettbewerb steht. Die veräußerten Vermögenswerte wären jedoch infolge des mangelnden Umfangs und mangelnder Diversifizierung allein nicht lebensfähig.

Im wirtschaftlich bedeutenderen Bereich der europäischen Zinsderivate boten die Unternehmen nicht an, das sich überschneidende Derivatgeschäft zu veräußern, sondern schlugen lediglich vor, für bestimmte Kategorien "neuer" Kontrakte Zugang zum Clearinghaus des aus dem Zusammenschluss hervorgegangenen Unternehmens zu gewähren. Dieses Angebot wurde insbesondere deshalb als nicht ausreichend betrachtet, weil es sich nicht auf bereits bestehende konkurrierende Produkte erstreckte. Ferner bestanden grundlegende Bedenken hinsichtlich der Durchführbarkeit und Effizienz einer derartigen zugangsspezifischen Abhilfemaßnahme.

Deshalb kam die Kommission nicht umhin festzustellen, dass der Zusammenschluss den "wirksame[n] Wettbewerb im [Binnenmarkt] oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behinder[n] würde" (Artikel 2 Absatz 3 der Fusionskontrollverordnung), und den Zusammenschluss zu untersagen.

Vorausgegangene Schritte
Der Zusammenschluss wurde am 29. Juni 2011 angemeldet. Am 4. August 2011 leitete die Kommission eine eingehende Prüfung ein. Die Frist für die Beschlussfassung wurde zweimal verlängert, um die angebotenen Abhilfemaßnahmen zu prüfen. Die beteiligten Unternehmen wurden in einer im Oktober 2011 übersandten Mitteilung der Beschwerdepunkte davon in Kenntnis gesetzt, dass der Zusammenschluss ernsthafte Bedenken aufwarf und ohne ausreichende Abhilfemaßnahmen möglicherweise untersagt würde.

Weitere Informationen unter:
http://ec.europa.eu/competition/elojade/isef/case_details.cfm?proc_code=2_M_6166
(Europäische Kommission: ra)


Meldungen: Europäische Kommission

  • Maßnahme zum Schutz des EU-Finanzsystems

    Die Europäische Kommission hat ihre Liste der Länder mit hohem Risiko, die strategische Mängel in ihren nationalen Systemen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung aufweisen, aktualisiert. Akteure in der EU, die unter den Rahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche fallen, müssen bei Transaktionen, an denen die betreffenden Länder beteiligt sind, erhöhte Wachsamkeit walten lassen - eine wichtige Maßnahme zum Schutz des EU-Finanzsystems.

  • Umsetzung der FRTB-Eigenkapitalanforderungen

    Die Europäische Kommission hat einen delegierten Rechtsakt angenommen, der den Geltungsbeginn der grundlegenden Überprüfung des Handelsbuchs (FRTB) in der EU um ein weiteres Jahr verschiebt. Somit greift der verbleibende Teil der internationalen Basel-III-Standards erst ab dem 1. Januar 2027. Mit der FRTB sollen ausgefeiltere Methoden zur Messung von Risiken eingeführt werden, damit die Eigenkapitalanforderungen besser zu den Risiken passen, denen die Banken bei ihren Tätigkeiten an den Kapitalmärkten tatsächlich ausgesetzt sind.

  • Bereitstellung von Satellitenkapazitäten

    Die Europäische Kommission hat die geplante Übernahme von Intelsat Holdings S.à r.l. ("Intelsat") durch SES S.A. ("SES") ohne Auflagen nach der EU-Fusionskontrollverordnung genehmigt. Nach Prüfung des Vorhabens kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass der Zusammenschluss keinen Anlass zu wettbewerbsrechtlichen Bedenken im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gibt. Sowohl SES als auch Intelsat sind weltweit tätige Satellitennetzbetreiber, die geostationäre Satelliten besitzen und betreiben. Während beide Unternehmen ihren Hauptsitz in Luxemburg haben und im EWR tätig sind, befinden sich die Haupttätigkeiten und der Verwaltungssitz von Intelsat in den USA.

  • Handelsbeziehungen zwischen EU und Kanada

    Eine Studie zeigt: Das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) zwischen der EU und Kanada fördert Handelsexporte und diversifizierte Lieferketten in allen EU-Mitgliedstaaten. Die Studie, die von unabhängigen Sachverständigen im Rahmen der Verpflichtung der Kommission zu einer faktengestützten Politikgestaltung durchgeführt wurde, liefert eindeutige Beweise dafür, dass ein offener, regelbasierter, berechenbarer und kooperativer Handel funktioniert.

  • Finanzmittel mobilisieren

    Die Europäische Kommission hat ein Maßnahmenpaket angenommen, das dazu beitragen soll, den EU-Verbriefungsrahmen einfacher und zweckmäßiger zu machen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen haben das Ziel, Verbriefungstätigkeiten in der EU zu erleichtern, ohne die Finanzstabilität zu beeinträchtigen. Ein stärkerer und einfacherer Verbriefungsrahmen kann dazu beitragen, mehr Investitionen in die Realwirtschaft zu lenken, und so das Wirtschaftswachstum, Innovationen und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der gesamten EU fördern. Diese Überarbeitung ist die erste Gesetzgebungsinitiative, die im Rahmen der Strategie für eine Spar- und Investitionsunion vorgeschlagen wurde.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen