Hat Motorola gegen EU-Kartellrecht verstoßen?
Europäische Kommission leitet kartellrechtliches Prüfverfahren gegen Motorola ein
In Anbetracht der Beschwerden von Apple und Microsoft wird die Kommission insbesondere prüfen, ob Motorola es unterlassen hat, seinen unwiderruflichen Zusagen gegenüber Normungsorganisationen nachzukommen
(17.04.12) - Die Europäische Kommission hat zwei förmliche Prüfverfahren gegen Motorola Mobility Inc. eingeleitet, um zu untersuchen, ob das Unternehmen gegen das EU-Kartellrecht verstoßen hat. Das Unternehmen könnte bestimmte grundlegende Patentrechte, die für die Anwendung von Industrienormen benötigt werden, missbräuchlich und unter Umgehung seiner Zusagen gegenüber Normungsorganisationen genutzt haben, um den Wettbewerb auf dem Binnenmarkt zu verfälschen. Die Einleitung dieser Kartellverfahren bedeutet, dass die Kommission die Fälle vorrangig behandelt. Dem Ausgang der Verfahren wird dadurch nicht vorgegriffen.
In Anbetracht der Beschwerden von Apple und Microsoft wird die Kommission insbesondere prüfen, ob Motorola es unterlassen hat, seinen unwiderruflichen Zusagen gegenüber Normungsorganisationen nachzukommen. Das Unternehmen hatte nämlich unter Berufung auf Patente, die es eigenen Angaben zufolge für die Produktion normgemäßer Produkte benötigt, einstweilige Verfügungen gegen die Hauptprodukte von Apple und Microsoft wie iPhone, iPad, Windows und Xbox erwirkt und durchgesetzt. Mit den Zusagen hatte sich Motorola verpflichtet, für alle grundlegenden Patente, die für die Einhaltung von Mobilfunkstandards unerlässlich sind, Lizenzen zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen zu erteilen ("Frand"-Selbstverpflichtung). Die Kommission wird prüfen, ob das Verhalten von Motorola einen nach Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verbotenen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellt.
Des Weiteren wird die Kommission dem sowohl von Apple als auch Microsoft vorgebrachten Vorwurf nachgehen, Motorola vergebe die Lizenzen für Patente, die für die Einhaltung von Normen erforderlich seien, zu unfairen Bedingungen und verstoße somit gegen Artikel 102 AEUV.
Hintergrund
Nach den Leitlinien der Kommission über Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit müssen sich Inhaber von Patenten, die für die Einhaltung einer Norm unerlässlich sind, gegenüber den Normungsorganisationen verpflichten, diese Patente zu "Frand"-Bedingungen zu lizenzieren. Durch diese Verpflichtung wird sichergestellt, dass für eine Norm wesentliche patentierte Technologien tatsächlich zugänglich sind.
Als die Mobilfunkstandards der zweiten und dritten Generation (2G bzw. 3G), der H.264-Standard zur hocheffizienten Videokompression und die Norm für drahtlose lokale Netze (WLAN) eingeführt wurden, gab Motorola gegenüber den zuständigen Normungsorganisationen Frand-Verpflichtungen ab.
Unternehmen müssen ihre Frand-Erklärungen in allen Punkten einhalten, damit der Wettbewerb nicht verzerrt wird und die positiven Effekte der Normung wirtschaftlich zum Tragen kommen können.
Am 30. Januar 2012 hat die Kommission bereits ein Prüfverfahren gegen Samsung eingeleitet, um zu prüfen, ob Samsung im Rahmen von Lizenzverhandlungen einer Frand-Verpflichtung nicht nachgekommen ist, indem das Unternehmen unter anderem wegen angeblicher Patentverletzungen bei Gerichten in mehreren Mitgliedstaaten Unterlassungsklagen gegen andere Mobilgerätehersteller einreichte.
Am 13. Februar 2012 genehmigte die Kommission die Übernahme von Motorola Mobility Inc. durch Google, ohne dass dies den Schluss zuließ, dass keinerlei kartellrechtliche Bedenken in Bezug auf die Nutzung von Patenten bestanden, die für die Einhaltung von Normen erforderlich sind.
Artikel 102 AEUV verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung, die den Handel beeinträchtigen und den Wettbewerb verhindern oder einschränken kann. Wie diese Bestimmung umzusetzen ist, regelt die Kartellverordnung (Verordnung Nr. 1/2003 des Rates), die sowohl von der Kommission als auch von den Wettbewerbsbehörden und Gerichten der EU-Mitgliedstaaten angewendet werden kann. Artikel 16 Absatz 1 dieser Verordnung besagt, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten keine Entscheidungen erlassen dürfen, die einem Beschluss zuwiderlaufen, den die Kommission in einem von ihr eingeleiteten Verfahren zu erlassen beabsichtigt.
Die Kommission hat Motorola und die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten von der Einleitung des förmlichen Verfahrens in dieser Sache unterrichtet. (Europäische Kommission: ra)
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