Markt für konsolidierte Echtzeitdateneinspeisungen
Kartellrecht: Europäische Kommission erklärt Verpflichtungszusagen von Thomson Reuters für verbindlich
Die Bedenken der Kommission gründeten sich unter anderem auf die Tatsache, dass Thomson Reuters ihren Kunden untersagte, die RICs zur Abfrage von Daten anderer Datenanbieter zu verwenden
(18.01.13) - Die Europäische Kommission hat die von Thomson Reuters angebotenen Verpflichtungszusagen in einer Entscheidung für verbindlich erklärt, denen zufolge eine neue Lizenz (ERL) angeboten werden soll, die es den Kunden ermöglicht, die Reuters Instrument Codes (RICs) gegen eine monatliche Gebühr zur Abfrage von Daten von Wettbewerbern von Thomson Reuters zu verwenden. Bei den RICs handelt es sich um Codes zur Identifizierung von Wertpapieren, die von Finanzinstituten verwendet werden, um Daten aus den Echtzeit-Dateneinspeisungen von Thomson Reuters abzufragen.
Die Kommission hatte Bedenken, dass Thomson Reuters durch ihre Lizenzerteilungsmethoden ihre beherrschende Stellung auf dem Markt für konsolidierte Echtzeit-Dateneinspeisungen missbrauchen und somit gegen die EU-Kartellvorschriften verstoßen könnte. Um diese Bedenken auszuräumen, bot Thomson Reuters Verpflichtungszusagen an. Nach zwei Markttests und umfassenden Verbesserungen des ursprünglichen Angebots ist die Kommission zu dem Schluss gelangt, dass mit den endgültigen Zusagen die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission ausgeräumt wurden.
Der für Wettbewerbspolitik zuständige Vizepräsident der Kommission, Joaquín Almunia, erklärte: "Die Verfügbarkeit einschlägiger Informationen spielt eine zentrale Rolle für eine gesunde und effiziente Funktionsweise der Finanzmärkte. Um richtige Anlageentscheidungen treffen zu können, müssen die Marktteilnehmer Zugang zu exakten und stets aktuellen Finanzdaten haben, und dies kann zum Beispiel über konsolidierte Echtzeit-Dateneinspeisungen geschehen. Die von Thomson Reuters angebotenen Verpflichtungszusagen werden zur Verbesserung des Wettbewerbs auf diesem Markt beitragen. Finanzinstitute, die die Reuters Instrument Codes verwenden, werden nun leichter zu einem anderen Anbieter wechseln können."
Die Bedenken der Kommission gründeten sich unter anderem auf die Tatsache, dass Thomson Reuters ihren Kunden untersagte, die RICs zur Abfrage von Daten anderer Datenanbieter zu verwenden. Des Weiteren hatte Thomson Reuters ihren Kunden untersagt, die RICs den von anderen Anbietern für ihre Dateneinspeisungen verwendeten Codes zuzuordnen (sogenanntes "Mapping"), und Dritte daran gehindert, Mapping-Tabellen im Namen von Kunden zu erstellen und zu führen. Die Kommission kam zu dem vorläufigen Schluss, dass dies für Kunden, die von Thomson Reuters zu anderen Anbietern konsolidierter Dateneinspeisungen wechseln möchten, ein erhebliches Hindernis darstellen kann.
Verpflichtungszusagen
Durch die neue ERL-Lizenz sind Finanzinstitute, die die RICs verwenden, nun in der Lage, den Anbieter zu wechseln, ohne ihre Anwendungen zum Entfernen der RICs umschreiben zu müssen. Die ERL gibt den Kunden von Thomson Reuters die Möglichkeit, ihre serverbasierten und verbundenen individuellen Anwendungen sowie desktopbasierten Anwendungen, die von weltweit geltenden Dateneinspeisungslizenzen abgedeckt sind, auf konkurrierende Anbieter konsolidierter Echtzeit-Dateneinspeisungen umzustellen. Thomson Reuters wird den Lizenznehmern regelmäßige und zeitnahe Aktualisierungen aller relevanten RICs, einschließlich der nötigen Umsetzungsinformationen wie Handelsplatz, Emittent, offizieller Code, Währung und Beschreibung, zukommen lassen.
Die ERL kann weltweit genutzt werden, sofern der Kunde von Thomson Reuters eine echte Geschäftstätigkeit im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ausübt. Die Lizenznehmer sind nach dem Erwerb der ERL nicht verpflichtet, andere Daten oder sonstige Dienste von Thomson Reuters zu abonnieren oder ihre Abonnements fortzusetzen. Die ERL ist jetzt innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren erhältlich. Darüber hinaus können die Kunden eine Option erwerben, die ihnen die Möglichkeit gibt, die ERL innerhalb von zwei weiteren Jahren nach Ablauf der ursprünglichen fünfjährigen Frist zu erwerben. Die ERL-Lizenz wird auf unbegrenzte Zeit an die Lizenznehmer vergeben, sofern die entsprechende Gebühr gezahlt wird.
Die Verpflichtungszusagen sehen ebenfalls vor, dass Drittentwickler Tools zum Anbieterwechsel entwickeln und pflegen, die die Interoperabilität zwischen den RICs und den Diensten von Konkurrenten ermöglichen, indem die RICs in die Codes anderer Anbieter von Dateneinspeisungen umgesetzt werden. Drittentwickler dürfen die RICs gegen Entrichtung einer monatlichen Lizenzgebühr für von ihnen entwickelte Tools zum Anbieterwechsel verwenden. Drittentwickler und konkurrierende Datenvendoren dürfen Informationen austauschen (mit Ausnahme der RICs selbst) und im Hinblick auf den Aufbau, die Wartung und den Verkauf der Tools zum Anbieterwechsel sowie bezüglich der entsprechenden Werbetätigkeiten eng zusammenarbeiten.
Ein unabhängiger Überwachungstreuhänder wird verfolgen, ob Thomson Reuters die Verpflichtungszusagen einhält.
Hintergrund
Im September 2011 setzte die Kommission Thomson Reuters von ihrer vorläufigen Einschätzung in Kenntnis, dass Thomson Reuters auf dem weltweiten Markt für konsolidierte Echtzeit-Dateneinspeisungen eine beherrschende Stellung einnimmt und unter Verstoß gegen Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und Artikel 54 des EWR-Abkommens (Europäischer Wirtschaftsraum) ihre beherrschende Stellung missbraucht haben könnte, indem das Unternehmen seinen Kunden bei der Nutzung der RICs Beschränkungen auferlegt hat.
Der Beschluss der Kommission stützt sich auf Artikel 9 der Kartellverordnung Nr. 1/2003. Er berücksichtigt die Ergebnisse zweier Markttests, die im Dezember 2011 und im Juli 2012 durchgeführt wurden. Mit diesem Beschluss werden die Verpflichtungszusagen für Thomson Reuters für verbindlich erklärt. Zugleich wird die Untersuchung der Kommission zu den Praktiken von Thomson Reuters im Hinblick auf die Nutzung der RICs eingestellt. Sollte Thomson Reuters sich nicht an die Verpflichtungszusagen halten, könnte die Kommission eine Geldbuße in Höhe von bis zu 10 Prozent des Jahresgesamtumsatzes des Unternehmens verhängen, ohne einen Verstoß gegen die EU-Wettbewerbsvorschriften nachweisen zu müssen. (Europäische Kommission: ra)
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