Kartelle: Roto wurde Geldbuße vollständig erlassen
Kartellrecht: Kommission belegt neun Hersteller von Fensterbeschlägen wegen Preiskartell mit Geldbuße von 86 Mio. EUR
Joaquín Almunia: "Fensterkäufer in ganz Europa wurden wohl mehr als sieben Jahre lang durch diese Preisabsprachen geschädigt"
(12.04.12) - Die Europäische Kommission hat gegen neun europäische Hersteller von Fensterbeschlägen Geldbußen von insgesamt 85.876.000 EUR verhängt. Die Unternehmen verstießen mit ihrer Beteiligung an einem Kartell, in dem sie gemeinsame Preiserhöhungen vereinbarten, gegen das EU-Kartellrecht. Sie trafen von November 1999 bis Juli 2007 wettbewerbswidrige Absprachen und schadeten damit den Käufern von Fenstern in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Bei den Kartellmitgliedern handelt es sich um die deutschen Unternehmen Roto, Gretsch-Unitas, Siegenia, Winkhaus, Hautau, Fuhr und Strenger sowie um die Unternehmen Maco (Österreich) und AGB (Italien). Im Rahmen der von der Kommission 2006 angenommenen Kronzeugenregelung wurde Roto die Geldbuße vollständig erlassen, da dieses Unternehmen als erstes Informationen über das Kartell vorgelegt hatte. Die Geldbußen für Gretsch-Unitas und Maco wurden aufgrund ihrer Mitwirkung an der Untersuchung um 45 Prozent bzw. 25 Prozent ermäßigt.
Der für Wettbewerbspolitik zuständige Vizepräsident der Kommission Joaquín Almunia erklärte: "Fensterkäufer in ganz Europa wurden wohl mehr als sieben Jahre lang durch diese Preisabsprachen geschädigt. Wir werden entschieden gegen solche rechtswidrigen Verhaltensweisen vorgehen, ob sie nun von großen Multinationalen Unternehmen praktiziert wurden oder von Familienbetrieben. Obwohl die heute auferlegten Bußgelder angemessen sind, sind sie recht hoch verglichen zum Umsatz der Unternehmen. Die Unternehmen werden fortan zweimal überlegen bevor sie jemals wieder daran denken, Preise abzusprechen."
Beschläge sind mechanische Metallteile, die zum Öffnen und Schließen eines Fensters bzw. einer Fenstertür dienen. Am häufigsten ist der sogenannte Dreh-Kipp-Beschlag, bei dem nur ein Fenstergriff benötigt wird, um das Fenster ganz zu öffnen oder nach innen zu kippen.
Das Kartell hatte direkte Auswirkungen auf Kunden im EWR, weil Beschläge wichtige Bestandteile von in Europa verkauften Fenstern und Fenstertüren sind. Dieser Markt wird auf mindestens 1 Mrd. EUR geschätzt. Die am Kartell beteiligten Unternehmen verfügen zusammengenommen über hohe Marktanteile im EWR. Ihr gemeinsamer Anteil am Markt für Dreh-Kipp-Beschläge liegt Schätzungen zufolge über 80 Prozent.
Das Kartell war gut organisiert und die Treffen verliefen in der Regel nach folgendem Muster: Die Kartellmitglieder trafen sich alljährlich in der dritten Novemberwoche bei den Tagungen der Fachverbände in Deutschland. Diese regelmäßigen Treffen wurden als "Ständige Konferenz" bezeichnet. Am Morgen vor der offiziellen Tagung setzten sich die Beteiligten zusammen, um Preiserhöhungen für das Folgejahr festzulegen oder sich auf einen Materialteuerungszuschlag zu verständigen. Im Laufe des folgenden Jahres trafen sich die Kartellmitglieder erneut, um einander über die verschiedenen Schritte zu informieren, mit denen sie die vereinbarte Preiserhöhung umgesetzt hatten. Auch die lokalen Vertriebsstellen in ganz Europa hatten regelmäßige Kontakte, um den Erfolg des Kartells zu gewährleisten.
Geldbußen
Die Geldbußen wurden nach den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen aus dem Jahr 2006 festgesetzt. Die Kommission berücksichtigte dabei den Umsatz der beteiligten Unternehmen mit den betreffenden Produkten im EWR, die besondere Schwere des Verstoßes, seine Dauer sowie die Tatsache, dass das Kartell den gesamten EWR betraf. Da die meisten an diesem Kartell beteiligten Unternehmen einen großen Teil ihres Umsatzes mit Fensterbeschlägen erzielen, hätten die Geldbußen bei fast allen Kartellmitgliedern die in der Kartellverordnung festgelegte Obergrenze von 10 Prozent ihres weltweiten Umsatzes erreicht. Die Kommission machte ausnahmsweise von ihrem Ermessen nach Ziffer 37 der Leitlinien Gebrauch und ermäßigte die Geldbußen, um zu berücksichtigen, inwiefern es sich bei den betreffenden Unternehmen um Einproduktunternehmen handelt und sie unterschiedlich stark am Kartell beteiligt waren.
Roto wurde die Geldbuße im Rahmen der Kronzeugenregelung der Kommission von 2006 vollständig erlassen, da das Unternehmen die Kommission über das Kartell informierte und wertvolle Beweise zur Verfügung stellte. Gretsch-Unitas und Maco wurden die Geldbußen aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit der Kommission um 45 Prozent bzw. 25 Prozent ermäßigt. Die Höhe dieser Ermäßigungen spiegelt den Zeitpunkt der Zusammenarbeit wieder und den Wert der übermittelten Beweise für den Nachweis des Kartells.
Zahlungsunfähigkeit
Eines der Unternehmen machte Zahlungsunfähigkeit im Sinne von Ziffer 35 der Geldbußen‑Leitlinien aus dem Jahr 2006 geltend. Im Rahmen der eingehenden Prüfung des Antrags führte die Kommission eine finanzielle und qualitative Analyse der Fähigkeit des betreffenden Unternehmens und seiner Anteilseigner zur Zahlung der verhängten Geldbuße durch. Unter Berücksichtigung der wahrscheinlichen Auswirkungen der Zahlung auf die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens ermäßigte die Kommission die Geldbuße um 45 Prozent.
Hintergrund
Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verbietet Kartelle und wettbewerbswidrige Verhaltensweisen.
Die Ermittlungen der Kommission begannen mit unangemeldeten Nachprüfungen im Juli 2007. Im Juni 2010 nahm die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an, zu der die Unternehmen Stellung nehmen und gehört werden konnten.
Schadenersatzklagen
Alle Personen und Unternehmen, die von dem beschriebenen wettbewerbswidrigen Verhalten betroffen sind, können vor den Gerichten der Mitgliedstaaten auf Schadenersatz klagen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs und der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates sind Kommissionsbeschlüsse ein bindender Nachweis dafür, dass das Verhalten stattgefunden hat und rechtswidrig war. Auch wenn die Kommission gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen verhängt hat, kann Schadenersatz gewährt werden, auf den die Geldbuße der Kommission nicht mindernd angerechnet wird.
Nach Auffassung der Kommission sollten begründete Schadenersatzansprüche auf eine angemessene Entschädigung der Opfer einer Zuwiderhandlung ausgerichtet sein.
Weitere Informationen zu Schadenersatzklagen einschließlich der öffentlichen Konsultation und einer Bürgerinfo finden Sie unter: http://ec.europa.eu/comm/competition/antitrust/actionsdamages/documents.html
(Europäische Kommission: ra)
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