MiFID I-Repetitorium: Das neue "Grundgesetz"

MiFID will funktionierende Geschäftsmodelle der Finanzwirtschaft nicht stören - In viele kritische Punkte greift die Direktive nicht ein
Regulierung darf doch nicht dazu führen, dass sie nur noch von den ganz Großen geschultert werden kann

(18.01.07) - Das Netzwerk "Financial Studies Saxony" der vier sächsischen Universitäten führte am 14. November in Leipzig das 2. Bankensymposium durch. Dieses Mal drehte sich alles um das Thema "Fairness als Schimäre? MifID und ihre Grenzen".

Zum Inhalt:
Die MiFID (Markets in Financial Instruments Directive) ist das neueste Regulierungsvorhaben der Europäischen Union für Kapitalmärkte. "Diese Direktive hat ein einfaches und klares Ziel: Anleger in der gesamten Europäischen Union sollen wirksam geschützt sowie die Effizienz und Integrität des Kapitalmarktes gesichert werden. Dieses Gesetz ist für die EU derzeit eines der wichtigsten Vorhaben", berichtete Prof. Dr. Friedrich Thießen, Inhaber der Professur Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre der TU Chemnitz und Mitorganisator der Konferenz. Diese Direktive werde bereits als das neue "Grundgesetz" der Kapitalmärkte bezeichnet.

"Von diesem Ziel ist die Direktive ein wenig abgekommen", stellte Prof. Thießen auf der Konferenz fest. "Die Direktive enthält viele Ausnahmen. Es ist ein Bestreben zu erkennen, funktionierende Geschäftsmodelle der Finanzwirtschaft nicht zu stören. In viele kritische Punkte greift die Direktive nicht ein. Die MiFID muss vor allem als Versuch der EU-Behörden gesehen werden, einen weiteren Fuß in eine europaweit harmonisierte Finanzmarktregulierung zu bekommen."

EU-Richtlinie nicht 1:1 umsetzen - Standortnachteile vermeiden
Prof. Dr. Peter Gramlich von der TU Chemnitz (Professur Öffentliches Recht) riet dem deutschen Gesetzgeber, nicht wie geplant, die EU-Richtlinie "1:1" umzusetzen, sondern die in der Richtlinie enthaltenen Wahlmöglichkeiten so auszunutzen, dass der Standort Deutschland davon bestmöglich profitiert. "Man sollte erst sehen, wie sich die anderen Länder entscheiden, bevor man sich festlegt, sonst kann es zu Standortnachteilen kommen", so Gramlich.

Als zentrales Problem der MiFID sieht Thießen mittelfristig eine Verlagerung von Maßnahmen, die den Anlegerschutz gefährden, in die wenig transparenten Produktionsbereiche der Banken und ins Market Making. Diese werden von der MiFID nicht erfasst. Banken trennen zunehmend den Produktionsbereich vom Vertriebsbereich. "Viele der geplanten Vorschriften der MiFID betreffen nur den Vertrieb und den Handel. Die Produkte sind heute aber so komplex, dass niemand im Vertrieb mehr ihre Konstruktionsweise verstehen kann. Wenn etwas schief läuft, kann man doch nicht immer die Vertriebsleute verhaften, wenn die Konstruktionsfehler in der Produktion eingewebt und von dort nicht richtig kommuniziert wurden. Daher ist der Vertrieb mittlerweile oft die falsche Adresse, wenn es um Anlegerschutz geht", sagte Thießen.

Ein konkretes Beispiel dafür, dass die Probleme auf der Produktionsseite liegen, zeigt Frau Dr. Walther. Sie wandte sich Hybridanleihen zu, die von mehreren Banken Ende 2004, Anfang 2005 emittiert wurden und von anfänglichen Kursen um 100 auf jetzt knapp über 80 fielen. Dr. Ursula Walther von der TU Chemnitz zeigte, dass die Anleihen von Anfang an falsch gepreist waren. Walther kommentierte: "In der MiFID unterstellen die Behörden den mündigen Bürger, der Informationen kompetent verarbeitet und dann selbst entscheiden kann. Die untersuchten Hybridanleihen zeigen, dass die Konstruktionsweise so komplex ist, dass sie weder der Vertrieb noch der Bürger in einem zumutbaren Analysezeitraum erkennen kann. Ob solche Produkte marktgerecht gepreist sind oder zu teuer angeboten werden, kann mit dem üblichen Aufwand keiner entscheiden. Man kann nicht einmal erkennen, dass ein systematischer Fehler vorliegt. Über diesen Punkt sollte der Gesetzgeber nachdenken."

"Warum man einerseits einen großen rechtlichen Aufwand betreibt, um den Handel zu verpflichten, Aufträge zum Best-Price abzuwickeln wie in der MiFID - hier geht es um wenige Basispunkte -, andererseits dann aber bei der Emission Fehlpreisungen in Größenordnungen zulässt, wäre zu überprüfen", forderte Prof. Locarek-Junge von der TU Dresden, "hier hat der Gesetzgeber ein Einfallstor nicht erkannt, über das diskutiert werden sollte."

Prof. Bessler von der Universität Gießen zeigt auf der Konferenz auf Basis umfangreicher empirischer Studien, wie rund um das Emissionsgeschäft von Aktien eine Reihe von Beteiligten offenbar wertbeeinflussende Maßnahmen ergreifen, die durchweg von der MiFID nicht erfasst werden. "In den Zahlen zeigt sich, dass die Kurse genau bis zum Ende der Lock-up-Perioden stabilisiert werden, danach bröckeln sie ab. Merkwürdige Auffälligkeiten gibt es auch bei den Analystenberichten", berichtete Prof. Bessler.

Die Preisgestaltung der Market Maker im Sekundärhandel beleuchtet Prof. Dr. Klaus Röder von der Universität Regensburg. Er konnte anhand von empirischen Erhebungen zeigen, dass die Preise bestimmter Zertifikate durch Market Maker systematisch abweichend von ihren finanzmathematisch fairen (wissenschaftlich gesprochen "arbitragefreien") Werten gestellt werden: In der Emissionsphase sind die Preise zu hoch; fangen die Kunden später an, die Zertifikate zurückzugeben, reduzieren die Market Maker die Preise auf ein zu niedriges Niveau. Für dieses Vorgehen wurde der Begriff "Lebenszyklustheorie der Preisbildung" geprägt. Bei den von Prof. Röder untersuchten Produkten war der Preis in der Emissionsphase im Schnitt 6 Prozent höher und in der Rückgabephase 4 Prozent niedriger als der finanzmathematisch korrekte Wert.

Investmenthäuser verdienen ihr Geld heute weniger durch die offen erkennbare Gebühren oder der sichtbaren Geld-Brief-Spanne, sondern dadurch, dass sie Trends in der Nachfrage erkennen und den Preis entsprechend nach oben oder unten verzerren. Eine Best-Price-Regel nützt da gar nichts. "Enge Geld-Brief-Spannen sind nicht immer ein Qualitätsmerkmal", betonte Prof. Schumacher von der Universität Leipzig. "Einige Marktteilnehmer versuchen heute, so viel Umsatz auf sich zu konzentrieren, dass sie Trends des Gesamtmarktes erkennen können. Dann passen sie die Preise daran an", erklärte Schumacher. Prof. Röder stellte fest: "Jeder Kaufmann kauft gerne billig und verkauft teuer. Insofern ist den Market Makern kein Vorwurf zu machen. Das Problem ist nur, dass die Emittenten zugleich Market Maker sind und über das Marketing die Nachfrage selbst steuern. Grosso modo lässt sich sagen, dass das Phänomen um so stärker auftritt, je komplexer das Produkt und desto geringer die Konkurrenz beim Market Making ist." Das Phänomen der Preisstellung entsprechend des Orderflow wird von der MiFID nicht erfasst und ist insofern ein Thema für eine weitere Verbesserung des Anlegerschutzes.

In einer Hinsicht leistet die MiFID Ordentliches: Externe Finanzvertriebe, die sich bisher eher außerhalb des etablierten Kreises anerkannter Finanzdienstleister befanden, werden über einen Einbezug in die Regulierung aufgewertet und erkennen neue geschäftspolitische Optionen.

Friedrich Bohl, Vorstandsmitglied der DVAG, prognostizierte im Rahmen der Tagung, dass es zu einer Marktumschichtung kommen werde. Kleinere Dienstleister werden aus dem Markt austreten oder sich in größeren Einheiten zusammenschließen bzw. aufgehen. Dies sei durchaus auch kritisch zu sehen. "Regulierung darf doch nicht dazu führen, dass sie nur noch von den ganz Großen geschultert werden kann. Ein Oligopol weniger großer Banken wäre nicht gut", so Bohl, "das schadet den Anlegern auf eine andere Weise. Eine vernünftige Regulierung muss so ausgestaltet sein, dass sie für eine Vielzahl von Wettbewerbern machbar ist."

Bohl zeigte, dass Verbraucher heute zunehmend verunsichert sind und von ihren Beratern Erklärungen des Finanzgeschehens erwarten. Verbraucher wollten einfache, klare und verständliche Produkte. Die privaten Banken haben sich aus der Fläche, d.h. dem ländlichen Raum, zurückgezogen und wenden sich den Kunden in urbanen Umfeldern zu. Bohl sieht einen großen Bedarf bei Alterssicherungsprodukten. Er glaubt, dass die Bevölkerung erst langsam die Notwendigkeit zusätzlicher Vorsorge erkennt und die Bereitschaft, Geld für die Altersvorsorge zurückzulegen, noch stark wachsen wird.

Prof. Dr. Hans Ulrich Buhl von der Universität Augsburg stellte eine Möglichkeit vor, die Anforderungen der MiFID effizient und kostengünstig umzusetzen und gleichzeitig die Qualität der Beratung und anderer Dienstleistungen gegenüber den Wettbewerbern zu steigern. Er zeigte, dass automatische Beratungssysteme existieren, mit denen sich die differenzierten Vorgaben der MiFID einhalten lassen und der Berater sicher sein kann, keine Beratungsfehler zu begehen. "Besonders wichtig erscheint uns die Visualisierung des Ertrags-Risikoprofils von Produkten zu sein. Die Emissionsprospekte sind heute so komplex und umfangreich, dass sie kaum einer liest und versteht. Insofern helfen sie dem Anleger nicht immer. Eine einfache Graphik mit einer Visualisierung des Ertrags-Risikoprofils kann dem Anleger auf simple Art und Weise die entscheidenden Elemente einer Anlage vermitteln", meinte Buhl, "man muss die Ergebnisse einer Finanzentscheidung gut visualisieren, dann versteht der Kunde leicht auch komplexe Produkte."

Buhl zeigte, dass eine standardisierte Beratung unumgänglich wird, je strenger die Haftungsvorschriften sind. "Einer standardisierten Beratung steht heute aber die Komplexität der Gesetze entgegen. Die Vorschriften zur Riester- und Rürup-Rente inkl. der steuerlichen Komponente und der Sozialabgabenkonsequenzen sind derart komplex, dass sie kaum abzubilden sind. Wie soll denn da überhaupt fehlerfrei beraten werden?", kritisierte Buhl, "Finanzoptimierungen müssen immer nach Steuern und nach Sozialabgaben erfolgen. Dann müssen diese Vorschriften aber auch so beschaffen sein, dass man sie überhaupt verstehen kann."

Frau Dorothea Kleine vom Bundesverband der Verbraucherzentralen bemängelte an der MiFID
>> die fehlende Synchronisierung mit der Versicherungsvermittlerrichtlinie,
>> die mangelnde Einheitlichkeit hinsichtlich der Transparenzanforderungen bei unterschiedlichen Finanzinstrumenten,
>> unzureichende Verjährungsfristen bei Falschberatung
>> unzureichende Beweislastverteilung bei Falschberatung
>> den geplanten Ausschluss geschlossener Fonds,
>> den Ausschluss freier Fondsvermittler,
>> den Ausschluss von Investmentfonds beim Best-execution-Ansatz.

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(Dipl.-Ing. Mario Steinebach, Technische Universität Chemnitz: ra)


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