Untersuchungsausschuss: Gorleben


Ex-Innenminister Gerhart Rudolf Baum: Es gab einen starken gemeinsamen Willen, die Endlagerfrage zu lösen
Baum habe dargelegt, dass es bis zum Ende der sozialliberalen Koalition (1982) in den Ministerien und bei Fachleuten der Bundesregierung deutliche Zweifel an der Eignung des Salzstocks Gorleben gegeben habe


(09.12.10) - In einer öffentlichen Anhörung vernahm der Gorleben-Untersuchungsausschuss zwei weitere Zeugen. Unter dem Vorsitz von Maria Flachsbarth (CDU/CSU) befragten die Abgeordneten den früheren Bundesinnenminister Gerhart Rudolf Baum (FDP) sowie den früheren Ministerialdirektor im Bundesumweltministerium, Dr. Horst Glatzel.

Baum war in der Regierungszeit von Bundeskanzler Helmut Schmidt von 1978 bis 1982 Innenminister. In seiner Eingangserklärung sagte er, dass man damals die Kernenergie auf den Weg gebracht habe ohne eine klare Entsorgungsvorsorge zu haben Deshalb sei innerhalb der politischen Parteien die Entscheidung gefallen, dass dies nicht so weitergehen könne. Baum betonte: "Der Konsens betraf nicht nur Regierung und Parteien und Opposition mit Nuancen…, sondern er betraf auch die Länder."

Baum führte weiter aus, dass der Salzstock in Gorleben untersucht worden sei, dass aber auch von anderen Salzstöcken die Rede gewesen sei. "Der Bund war interessiert, auch parallel andere Salzstöcke in Niedersachsen zu erkunden. das hat aber die niedersächsische Landesregierung abgelehnt, die ansonsten sehr kooperativ gewesen ist."

Laut Baum habe es auch Überlegungen gegeben, Endlagerstätten in Granit ins Auge zu fassen. Doch der Ex-Innenminister zitierte aus einer Debatte im Jahr 1982: "Ich habe bisher von keinem einzigen Bundesland eine positive Antwort bekommen. Ich habe kein Territorium. Ich bemühe mich aber um die Lösung der Probleme. Ich erkenne an, dass Niedersachsen hier etwas tut."

Baum berichtete dem Ausschuss, dass 1981 ein Zwischenstand öffentlich gemacht wurde: "Wir haben gesagt: Keine begründeten Zweifel an der bisherigen Einschätzung des Salzstockes Gorleben". Er sagte weiter, dass es einen starken gemeinsamen Willen gab, die Endlagerfrage zu lösen. Wir "hatten natürlich Schwierigkeiten mit der Akzeptanz... Und deshalb haben wir uns in vielen Gesprächen und Diskussionen auch mit Bürgerinitiativen unterhalten".

In einer Stellungnahme nach dem Aufritt des früheren Bundesinnenministers erklärte der Obmann der CDU/CSU, Reinhard Grindel: "Der Zeuge Baum hat die bisherigen Bewertungen der CDU/CSU im Untersuchungsausschuss voll bestätigt. Es hat in der Endlagerfrage kaum politische Kontroversen, sondern ein hohes Maß an Kontinuität gegeben. Zentrale Aussage des Zeugen Baum war, dass es in seiner Amtszeit keine begründeten Zweifel an der Eignung des Salzstocks Gorleben gegeben hat."

Marco Buschmann, Berichterstatter der FDP-Fraktion, kommentierte die Aussage: "Der Zeuge Baum bestätigte, dass die Bundesregierung ein hohes Maß an Sensibilität für Fragen der Sicherheit und politischen Akzeptanz des Endlagerprojekts hatte. Es sei undenkbar, dass man fachliche Zweifel an der Eignung des Salzstocks ignoriert hätte. Das Endlagerprojekt Gorleben wäre am Ende gewesen, wenn man nicht verantwortlich und sorgfältig gearbeitet hätte. Baum habe, so Marco Buschmann, den Vorwurf deutlich zurück gewiesen, die Bundesregierung hätte sich für die Erkundung nach Bergrecht statt nach Atomrecht entschieden, um Zeit zu sparen und die Bevölkerung auszuschließen. Vielmehr habe man diese Frage rechtlich intensiv geprüft.

Dorothea Steiner (Bündnis 90/Die Grünen) sagte über Baums Aussage: "Die politische Fixierung auf den Standort Gorleben ist unter der schwarz-gelben Regierung des damaligen Kanzlers Helmut Kohl zementiert worden. Das ist bei der heutigen Befragung des früheren Bundesinnenministers Gerhard Baum deutlich geworden. Baum legte dar, dass es bis zum Ende der sozialliberalen Koalition (1982) in den Ministerien und bei Fachleuten der Bundesregierung deutliche Zweifel an der Eignung des Salzstocks Gorleben gab. Aufgrund dieser Zweifel wurde immer auch eine Suche nach alternativen Standorten für ein Atommüll-Endlager als notwendig betrachtet. "Wir wollten immer auf den Fall vorbereitet sein, dass Gorleben nicht geeignet ist", zitierte sie Gerhart Baum.

Dorothée Menzner, Obfrau der Linkspartei, sagte: "Vor 30 Jahren ging die damalige Bundesregierung offenbar noch anders mit den Bürgern um. Gerhart Baum legte als Bundesinnenminister in einer sozialliberalen Koalition Anfang der 1980er Jahre immerhin größten Wert auf Transparenz und Bürgerbeteiligung. Dies ergab die heutige Zeugenanhörung Baums im Untersuchungsausschuss Gorleben. Mit dem Regierungswechsel Helmut Kohls hatte diese Öffentlichkeitsbeteiligung ein jähes Ende. Mit Kohl war auch die Suche nach alternativen Standorten, die die sozialliberale Regierung Helmut Schmidt anstrebte, endgültig vom Tisch."

Obfrau Ute Vogt (SPD) lobte die frühere SPD/FDP-Regierung. "Zu Zeiten der sozial-liberalen Koalition hatten die Minister noch Mumm in den Knochen, während schwarz-gelbe Minister wie Norbert Röttgen lieber auf Show-Elemente setzen. Die Minister Baum, von Bülow und sogar Bundeskanzler Helmut Schmidt haben vor 30 Jahren mehrmals Gorleben besucht und den Kontakt zu allen gesellschaftlichen Gruppen gesucht. Und zwar bevor Entscheidungen getroffen wurden." Sie nannte die Tatsache, dass die Schmidt-Regierung im Gegensatz zur Kohl-Regierung nach Alternativen suchen wollte, einen zentralen Punkt der Zeugenbefragung. Schmidt habe wörtlich gesagt: "Wir (die sozial-liberale Bundesregierung) waren immer für eine Prüfung alternativer Standorte." Diesen Weg hat Helmut Kohl 1983 bewusst verlassen, so Vogt. Deshalb reden wir heute ausschließlich über Gorleben.

Zweiter Zeuge war der frühere Ministerialdirektor im Umweltministerium, Horst Glatzel. Der 71jährige Jurist ist heute als Rechtsanwalt tätig. Er berichtete, dass in den 70er Jahren die Bundesrepublik der Kerntechnik aufgeschlossen gegenüber stand und dass es einen Konsens über die Einrichtung eines Endlagers gab. In der Frage, welches Medium dafür geeignet sei, sei die Entscheidung schnell für einen Salzstock gefallen, so Glatzel.

Der Vorschlag "Gorleben" sei dann vom Land Niedersachsen gekommen. "Man wusste aber nicht, ob Gorleben geeignet oder nicht geeignet ist", sagte Glatzel vor dem Untersuchungsausschuss. Doch hieß es, dass das Erkundigungsrisiko nicht sehr hoch sei. "Man ging davon aus, dass Salzstock für die Lagerung geeignet seien würde."

Horst Glatzel war sich sicher, dass es nach seinem Kenntnisstand keine politische Einflussnahme in der Endlagerfrage gegeben habe. Die Entscheidung vom Juli 1983 habe er auch nicht als Verbot gesehen, andere Standorte zu erkunden. In seiner Erinnerung sei es eher um die Frage gegangen, ob die Kapazität von Gorleben ausreichen würde, also ob man zusätzliche Standorte benötigen würde. An eventuelle Diskussionen über Sicherheitsbedenken konnte sich der Zeuge nach 29 Jahren nicht erinnern. Für ihn und seine Kollegen sei immer klar gewesen, dass die Erkundung von Gorleben ergebnisoffen geführt werde. Seiner Ansicht nach wurden weder der Öffentlichkeit noch dem Parlament Informationen vorenthalten. Auch der Regierungswechsel hätte keine Rolle bei der Entscheidung für oder gegen Gorleben gespielt. (Deutscher Bundestag: ra)


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