Kritik an geplanter Klinikreform
Mit dem Entwurf für das Krankenhausstrukturgesetz würden die wesentlichen Probleme der Häuser mit ihren insgesamt rund 1,2 Millionen Mitarbeitern nicht gelöst
Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, die Behandlungsqualität und Versorgungssicherheit in den Kliniken zu verbessern - Die Krankenhausvergütung soll sich künftig an Qualitätsaspekten orientieren
(24.09.15) - Gesundheitsexperten sehen die von der Bundesregierung geplante Krankenhausreform in einigen zentralen Punkten kritisch. Sachverständige wiesen in einer Anhörung des Gesundheitsausschusses im Bundestag sowie in ihren schriftlichen Stellungnahmen auf die erhebliche Unterfinanzierung der knapp 2.000 Kliniken in Deutschland hin. Mit dem Entwurf für das Krankenhausstrukturgesetz (18/5372) würden die wesentlichen Probleme der Häuser mit ihren insgesamt rund 1,2 Millionen Mitarbeitern nicht gelöst, sondern zum Teil auch verschärft. Nachdrücklich begrüßt wird jedoch die Zielrichtung hin zu mehr Qualität ebenso wie die Aufstockung des Pflegepersonals und die Einrichtung einer Pflegeexpertenkommission.
Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, die Behandlungsqualität und Versorgungssicherheit in den Kliniken zu verbessern. Die Krankenhausvergütung soll sich künftig an Qualitätsaspekten orientieren. So werden Zuschläge gewährt für gute Qualität, Abschläge drohen hingegen bei Mängeln. Die Qualitätsberichte der Kliniken sollen für Patienten zugänglicher und verständlicher werden.
Auch die Pflege in der Klinik soll sich verbessern. Aufgelegt wird ein Förderprogramm für Pflegestellen im Volumen von insgesamt bis zu 660 Millionen Euro in den Jahren 2016 bis 2018. Ab 2019 sollen dauerhaft 330 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung stehen. Auf diese Weise werden laut Bundesregierung voraussichtlich 6.350 neue Stellen geschaffen, die nur der "Pflege am Bett" dienen.
Um den für die Krankenhausplanung und Investitionen zuständigen Bundesländern mehr Mittel an die Hand zu geben, wird ein Strukturfonds in Höhe von einmalig 500 Millionen Euro aufgelegt, gespeist aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds. Die Länder sollen einen Beitrag in gleicher Höhe beisteuern, sodass insgesamt eine Milliarde Euro für Umstrukturierungen zur Verfügung stünden. Die Mittel sollen zum Abbau von Überkapazitäten und zur Konzentration von Versorgungsangeboten genutzt werden und kommen den Krankenhäusern zusätzlich zur Investitionsförderung zugute.
Kritik an der Vorlage kam von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und dem GKV-Spitzenverband. Die DKG rügte, für die Finanzierung des wachsenden Personalbedarfs würden keine Perspektiven aufgezeigt, auch nicht in der Pflege. Mit der Kürzung des Versorgungszuschlags 2017 würden den Kliniken 500 Millionen Euro entzogen und damit weit mehr, als über das Förderprogramm Mittel bereitgestellt werden. "Die Investitionsmisere muss endlich angegangen werden", sagte der DKG-Vertreter. Auch andere Sachverständige forderten in der Anhörung, die Mittel aus dem Versorgungszuschlag unbedingt zu erhalten.
Laut DKG schreibt ein Drittel der Kliniken durch die strukturelle Unterfinanzierung rote Zahlen. Die steigenden Personalkosten könnten nicht refinanziert werden. Die Notfallambulanzen seien mit jährlich einer Milliarde Euro unterfinanziert. Das Investitionsdefizit liege bei über drei Milliarden Euro pro Jahr.
Auch die Qualitätsoffensive bleibe im Wesentlichen politische Absichtserklärung, weil die dazu nötigen Mittel für Personal und Investitionen nicht bereitgestellt würden. Stattdessen würden den Häusern durch neue Kürzungsvorgaben und überzogene Vergütungsabschläge neue Lasten aufgelegt. Der Gesetzgeber wolle offensichtlich so viele Krankenhäuser wie möglich schließen.
Auch der GKV-Spitzenverband sieht ein wesentliches Problem in den rückläufigen Investitionen der Länder. Das sei "sehr betrüblich", sagte ein Sprecher. Der Länderanteil an den Krankenhauskosten ist laut GKV von anfangs mehr als 20 Prozent auf weniger als fünf Prozent geschrumpft mit der Folge, dass inzwischen die Fallpauschalenvergütung für Investitionen genutzt wird.
Der Verband warnte zudem ausdrücklich vor steigenden Beiträgen. Die mit dem Gesetz einhergehende finanzielle Mehrbelastung sei "beitragssatzrelevant". Die Mehrausgaben könnten schon von 2016 bis 2018 um insgesamt 4,1 Milliarden Euro steigen. Kritisch zu sehen sei auch der Wechsel von den Landesbasisfallwerten (Preis für stationäre Behandlungen) zu hausbezogenen Basisfallwerten. Die im Gesetz genannten Einsparpotenziale seien zudem nicht plausibel.
Experten für Kinder- und Jugendmedizin erinnerten daran, dass für jüngere Patienten eine altersgerechte Versorgung nötig sei und flächendeckend bereitgestellt werden müsse. Kinder dürften bei der medizinischen Daseinsvorsorge nicht schlechter gestellt werden als Erwachsene. Das betreffe die Entfernung zu nächsten stationären Kinderabteilung und auch zur nächsten Kinder-Notaufnahme.
Das Pflegestellenprogramm ist nach Berechnungen des Einzelsachverständigen Michael Simon völlig unzureichend, da die Unterbesetzung im Pflegedienst der Kliniken bei mehr als 100.000 Vollkräften liege. Simon erinnerte daran, dass zwischen 1997 und 2007 fast 50.000 Vollkräfte abgebaut wurden, auf einem damals schon unzureichenden Niveau. Eine Studie von 2009/2010 habe gezeigt, dass von den zwölf berücksichtigten europäischen Ländern deutsche Krankenhäuser die geringste Personalbesetzung im Pflegedienst aufwiesen.
Auch die Pflegefachverbände sowie die Gewerkschaft Verdi vermissen klare Weichenstellungen für eine nachhaltig verbesserte Versorgung in den Kliniken. Laut Verdi haben allein die Pfleger an den Unikliniken rund 2,1 Millionen Überstunden angehäuft. Besonders problematisch sei die Situation nachts. Eine Stichprobe habe gezeigt, dass im Nachtdienst die Hände-Desinfektion vernachlässigt werde, weil der Arbeitsdruck zu hoch ist. "Gefährliche Pflege" gehöre inzwischen zum Alltag. An den Kliniken fehlten insgesamt 162.000 Beschäftigte. Der Deutsche Hebammenverband (DHV) verwies auf den Betreuungsbedarf für Schwangere und sprach sich dafür aus, die verbesserte "Pflege am Bett" auf Leistungen von Geburtshelferinnen auszudehnen.
Die Krankenkassen begrüßen die Qualitätsorientierung im Gesetz, kritisieren aber die Ausnahmeregelungen. Nach Ansicht der AOK bringen Vergütungsabschläge für schlechte Qualität keine bessere Versorgung. Dauerhaft schlechte Ergebnisse müssten dazu führen, dass Leistungen gar nicht mehr erbracht werden dürfen. Ähnlich argumentierte die GKV. Die Kassen rechnen überdies nicht damit, dass Qualitätsverbesserungen rasch wirksam werden. Die AOK forderte außerdem eine verpflichtende Beteiligung der Privaten Krankenversicherung (PKV) an den Kosten für den Strukturfonds, da Privatversicherte davon auch profitierten.
Aus Sicht des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte (VLK) enthält das Gesetz widersprüchliche Regelungen. Einerseits sollen Kliniken bei bestimmten Behandlungen Mindestmengen erreichen, um eine hohe Qualität zu sichern und Risiken zu verringern, andererseits würden sie bei einem höheren Zulauf mit Vergütungsabschlägen bestraft, weil unterstellt werde, die Fallzahlsteigerung sei rein wirtschaftlich begründet.
"Gipfel der Unzumutbarkeit" seien jedoch die geplanten Qualitätskontrollen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Da in der Folge mit Abschlägen zu rechnen sei, habe diese Regelung "Fallbeil-Wirkung" und ähnele dem Versuch, einen ausgehungerten Hund mit der Bewachung einer Wursttheke zu beauftragen. Die aktuell verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe könnten für die Häuser existenzbedrohende Folgen haben.
Auch die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) rügt die zahlreichen "unscharfen Formulierungen" im Gesetzentwurf sowie die Kontrollfunktion des MDK, die zu einem "Klima des Misstrauens" führen werde. Die Universitätskliniken fordern Zuschläge für Extremkostenfälle.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband lobt die Orientierung an der Qualität, fordert jedoch innerhalb der Selbstverwaltung mehr Einflussmöglichkeiten für Patienten und Versicherte. Kritisch gesehen werden Abschläge für schlechte Qualität, weil dies den Kostendruck in den Kliniken noch erhöhen würde. Statt einer verbesserten Versorgung würde damit eher der gegenteilige Effekt erzielt. Ein Experte schlug daher in der Anhörung vor, alle Häuser mit einem Vorabzug zu belegen und dann für die besten Kliniken systematisch Aufschläge zu gewähren.
Grundsätzlich begrüßt auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) die Qualitätsausrichtung und verweist auf die wirtschaftliche Bedeutung der Kliniken mit einer Bruttowertschöpfung von mehr als 60 Milliarden Euro. Jedoch werde die nachhaltige Investitionskostenfinanzierung der Krankenhäuser nicht angegangen. Stattdessen würden systemwidrig Beitragsgelder zur Strukturfinanzierung herangezogen. Auch der Deutsche Beamtenbund warnte, durch die aufzuwendenden Mittel für den Strukturfonds und die Finanzierung neuer Pflegestellen würden die Versicherten einseitig belastet.
Die Kirchenverbände von Caritas und Diakonie sowie die Pflegeverbände forderten dazu auf, mit der Klinikreform zugleich die Versorgungslücke zu schließen, die entsteht, wenn Patienten nach einem Klinikaufenthalt vorübergehend grundpflegerische oder hauswirtschaftliche Hilfe benötigen, ohne im gesetzlichen Sinne pflegebedürftig zu sein.
Mitberaten wurden bei der Expertenanhörung Anträge der Fraktion Die Linke (18/5369) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/5381) zur Verbesserung der Krankenhausversorgung. (Deutsche Bundestag: ra)
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