Opposition attackiert Hartz-IV-Gesetzentwurf


"Verdichtetes Beratungsverfahren": Union und FDP setzen sich bei späterem Anhörungstermin durch
SPD, Grüne und Linksfraktion bemängelten statistische Unsicherheiten bei den Berechnungen der Hartz-Sätze


(18.11.10) - Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat sich erstmals mit dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zu den neuen Hartz-IV-Regelsätzen beschäftigt. Als Termin für eine öffentliche Anhörung zu der umstrittenen Reform ist nun der 29.11. von 11 bis 15 Uhr vorgesehen. Union und FDP stimmten mit ihrer Mehrheit für diesen Termin.

SPD, Grüne und Linksfraktion konnten sich mit ihrer Forderung nach einer früheren Expertenbefragung nicht durchsetzen. Sie hatten sich für den 22.11. ausgesprochen.

Insbesondere die Linksfraktion kritisierte, dass die Anhörung am 29.11. "zur Farce" werde, da geplant sei, den Gesetzentwurf bereits zwei Tage später im Ausschuss abschließend zu behandeln. Ein derart "verdichtetes Beratungsverfahren" sei "nicht angemessen", hieß es auf Seiten der Linken.

Ein Vertreter der Bundesregierung begründete den späteren Anhörungstermin damit, dass sich der Bundesrat am 26.11. mit dem Gesetzentwurf zu den Hartz-IV-Regelsätzen beschäftigen werde. Wenn die Anregungen dieses Verfassungsorgans in die Anhörung mit einfließen sollen, dann könne das Expertengespräch nicht vor diesem Termin stattfinden.

Die Oppositionsfraktionen übten zum Teil scharfe Kritik an dem vorliegenden Gesetzentwurf. SPD, Grüne und Linksfraktion bemängelten statistische Unsicherheiten bei den Berechnungen der Hartz-Sätze. Diese wurden aus dem Verbrauchsverhalten befragter Haushalte im Rahmen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes (EVS) abgeleitet.

Immer wieder fiel von Seiten der Opposition das Stichwort mangelnder "Validität" der Daten. Gemeint ist damit, dass die Gruppen der Haushalte, die zur Ermittlung bestimmter Konsumausgaben herangezogen wurden, zu klein ausgefallen seien und die Daten dadurch nur "eingeschränkt verwendbar" seien.

Weiterhin kritisierten alle Oppositionsfraktionen, dass sich so genannte Aufstocker und "verdeckt Arme" in den Referenzgruppen befänden.
"Aufstocker" sind Personen, deren Einkommen auf das Niveau der Grundsicherung aufgestockt wird, weil ihre Einkünfte unterhalb dieser Leistungen liegen.
"Verdeckt Arme" sind Menschen, die eigentlich Anspruch auf staatliche Leistungen hätten, diese aber nicht wahrnehmen.

Kritik übten alle Oppositionsparteien auch an der Wahl der so genannten Referenzgruppe bei den Ein-Personen-Haushalten. Dort habe die Regierung nicht die unteren 20 Prozent der nach Einkommen geschichteten Einpersonenhaushalte herangezogen, sondern sei auf 15 Prozent herunter gegangen.

SPD, Grüne und Linke kritisierten weiterhin, dass bestimmte Ausgabenposten für die Berechnung der Regelsätze nicht berücksichtigt worden seien, etwa Ausgaben für Alkohol, Schnittblumen oder den Besuch einer Eisdiele.

Die SPD-Fraktion sagte, es gebe "methodische Zweifel, die sogar an verfassungsrechtliche Bedenken herangehen". Die Linksfraktion betonte ihre "Probleme mit EVS" und "der Plausibilität" der Berechnungen. So gäbe es etwa in der zugrunde gelegten Statistik vier Haushalte, die in drei Monaten "null Cent für Ernährung und Getränke" ausgegeben hätten.

Bündnis 90/Die Grünen halten die geplanten Hartz-Sätze zwar nicht für "evident verfassungswidrig", aber dennoch für "so nicht haltbar". In die Berechnung gingen durchschnittliche Beträge für bestimmte Ausgaben ein, die ganz offensichtlich nicht ausreichten, den tatsächlichen Bedarf zu decken. Als Beispiel wurde der Betrag für die Mobilität eines 14- bis 18-Jährigen genannt, der sich von unter 13 Euro keine Monatskarte im öffentlichen Nahverkehr kaufen könne.

Union und FPD verteidigten den Gesetzentwurf. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts seien "optimal" (FDP) und "Punkt für Punkt" (CDU/CSU) umgesetzt. Es gebe "keine Garantie", dass die neuen Regelungen verfassungsgemäß seien, sie genügten aber "mit hoher Wahrscheinlichkeit den Vorgaben aus Karlsruhe", hieß es auf Seiten der FDP.

Die gewählten Stichproben seien "vernünftig", bei Singles habe man Haushalte mit einem Einkommen bis zu 901 Euro herangezogen, bei Familien bis zu 2.500 Euro, betonte ein Vertreter der Unionsfraktion. Es seien Sonderauswertungen etwa zum Thema Mobilität vorgenommen worden.

Union und FDP hätten "Wertentscheidungen getroffen", so dass etwa Ausgaben für das Internet oder die Praxisgebühr berücksichtigt worden seien, Ausgaben für Pauschalreisen und Alkohol aber beispielsweise nicht. Erstmals gebe es nun ein "transparentes Verfahren", erstmals eigene Kinderregelsätze. Das Bildungspaket für Kinder bedeute einen "Paradigmenwechsel". (Deutscher Bundestag: ra)


Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • Gleichstellung als verbindliches Förderkriterium

    Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert in einem Antrag (21/790) die Bundesregierung auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Gleichstellung von Frauen und Mädchen im organisierten Sport in Deutschland deutlich zu verbessern.

  • Ausbau der digitalen Infrastruktur

    Die von der schwarz-roten Koalition geplante Novelle des Telekommunikationsgesetzes ist bei einer Mehrheit der Sachverständigen auf Zustimmung zu den Zielen und Kritik an Details gestoßen. In einer öffentlichen Anhörung des Digitalausschusses zum TKG-Änderungsgesetz 2025 bezeichnete eine Reihe von Sachverständigen den Entwurf als ein wichtiges Signal für die Branche.

  • Auskunft zum Cum/Ex und Cum/Cum

    Zum Stichtag 31. Dezember 2023 befanden sich 380 Verdachtsfälle zur Steuergestaltung bei Cum-Ex-Geschäften bei den Obersten Finanzbehörden der Länder und beim Bundeszentralamt für Steuern mit einem Volumen nicht anrechenbarer/erstatteter Kapitalertragssteuer inklusive Solidaritätszuschlag von rund 3,8 Milliarden Euro in Bearbeitung. Diese Angaben macht die Bundesregierung in ihrer Antwort (21/548) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion die Linke (21/310).

  • Kosten der Vermeidung von CO2-Emissionen

    Keine konkreten Angaben zu den Kosten, die ihre Pläne zur Vermeidung von CO2-Emissionen verursachen, macht die Bundesregierung in ihrer Antwort (21/715) auf eine Kleine Anfrage (21/296) der AfD-Fraktion. Zur Begründung verweist sie darauf, dass Deutschland zur Erreichung der Klimaschutzziele auf ein "breites Spektrum aufeinander abgestimmter Klimaschutzmaßnahmen" setze. Diese dienten neben der Minderung von Treibhausgasen auch der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, dem sozialen Ausgleich sowie der langfristigen Transformation hin zur Klimaneutralität. Die Ausgestaltung der Klimaschutzmaßnahmen gehe dabei über eine "kurzfristige, rein statische Betrachtung der CO2-Vermeidungskosten" hinaus.

  • Steuerung des Windenergieausbaus

    An der von den Koalitionsfraktionen geplanten Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU (RED III) besteht Nachbesserungsbedarf. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Umweltausschusses zu dem Gesetzentwurf "zur Umsetzung von Vorgaben der Richtlinie (EU) 2023/2413 für Zulassungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz und dem Wasserhaushaltsgesetz, zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes, zur Änderung des Windenergieflächenbedarfsgesetzes und zur Änderung des Baugesetzbuchs" (21/568) deutlich.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen