Ausbau der Verbraucherforschung
Verbraucherbezogene Forschung ist ein Stiefkind
Grundwissen über die Nahrungsmittelproduktion fehle auf allen Seiten
(26.01.11) - Die Verbraucherschutzforschung in Deutschland ist nach Meinung des Sachverständigen Christoph Fasel ein "Stiefkind": Zuletzt durch den Dioxinskandal rasch in das Bewusstsein der Menschen gerückt, stellt sich die Frage, wie Verbraucherpolitik in Zukunft aussehen soll.
In der öffentlichen Anhörung "Moderne verbraucherbezogene Forschung ausbauen - Tatsächliche Auswirkungen gesetzlicher Regelungen auf Verbraucher prüfen" des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz unter Vorsitz von Hans-Michael Goldmann (FDP) erläuterten acht Sachverständige den Fachpolitikern, was für den Ausbau der Verbraucherforschung erforderlich ist.
Gerd Billen von der Verbraucherzentrale Bundesverband sieht die Verbraucherforschung als besonders wichtig an, weil es seiner Meinung nach an wissenschaftlichen Untersuchungen mangelt. "Wo funktionieren Märkte gut und wo schlecht?", fragte er und führte am Beispiel der Strommärkte an, dass die von der Politik beschlossene Liberalisierung bis heute nicht funktioniere, weil zu wenige Verbraucher bereit seien, den Anbieter zu wechseln und damit kein richtiger Wettbewerb zwischen den Energieunternehmen herrsche.
Auch die Diskussion um die Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln habe gezeigt, dass die Politik mehr wissenschaftlicher Unterstützung bedarf. "In der Frage, was die wichtigsten Maßnahmen für die gute Ernährung von Kindern und Jugendlichen ist, hat sich gezeigt, dass sich nicht geeinigt werden konnte, welche Faktoren zur Überernährung führen", sagte Billen.
Untersuchungen hätten gezeigt, dass selbst gut ausgebildete Studenten in der Mehrzahl die zur Verfügung gestellten Informationen von Riester-Angeboten zur Altersvorsorge nicht verstanden haben. Für die Politik stelle sich dadurch die Frage: "Wie soll Information dargestellt werden, damit Bürger sie überhaupt verstehen können?"
Nur zwei Prozent der Forschungsaufgaben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz würden in den Bereich der Verbraucherforschung fließen. Billen schlägt deshalb einen unabhängigen Sachverständigenrat vor, der die Politik berät.
Für Christoph Fasel vom Institut für Verbraucherjournalismus an der SRH Hochschule Calw zeigt die Dioxindebatte, wo das Problem liegt: "Tatsachen auf der einen Seite und die Darstellung der Fakten durch die Medien auf der anderen Seite stimmen nicht überein." Das Grundwissen über die Nahrungsmittelproduktion fehle auf allen Seiten. Dadurch seien die Forderungen oft überzogen, die Verunsicherung groß und Lösungen würden zu langsam entwickelt.
Für die Verbraucher seien neutrale Informationen unersetzlich. Auch die Wissenschaft erkläre zu wenig und umständlich. “Der Verbraucher kann nicht alle Informationen verarbeiten", sagte Fasel. Und es könne nicht immer erwartet werden, dass die Menschen in jedem Fall vollkommen informiert sein können.
Um die Verbraucherforschung voranzubringen, müssen laut Fasel Netzwerke ausgebaut werden. "Einer zentralen Regelung bedarf es jedoch nicht." In Zukunft könne eine wissensbasierte Verbraucherpolitik allen Seiten dienen und kriminelle Machenschaften erschweren, zeigte er sich überzeugt.
Kornelia Hagen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung kritisierte, dass das Ministerium hohe Mittel für die Agrarforschung einsetze, jedoch zu wenig in die Forschung für Verbraucherschutz investiere. Lediglich rund 8,5 Millionen Euro würden bereitgestellt – "die nicht einmal ganz in die verbraucherpolitische Forschung fließen", sagte sie.
Weiter würden die wenigen Mittel nicht konzeptionell vergeben. "Verbraucherforschung dient allen Bürgern, betrifft alle Lebensbereiche und repräsentiert 60 Prozent des in der Bundesrepublik erwirtschafteten Bruttoinlandproduktes", unterstrich Hagen deren Bedeutung. Sie forderte mindestens das Fünffache der bisher eingesetzten Mittel und sah den Aufbau einer Datenbasis als vorrangig an. "Diese muss für die gesamte Wissenschaft zugänglich sein."
Auch für den Privatdozenten Wolfram Lamping ist die Wissensbasierung der Politik notwendig. “Der Staat setzt auf Eigenverantwortlichkeit der Individuen und hat neue Wohlfahrtsmärkte hervorgebracht, die immer mehr Wahlmöglichkeiten zulassen", erklärte er. Jeder agiere auf diesen Märkten als Verbraucher, doch es komme zu ungleichen Zugangschancen und erfordere folgenreiche Entscheidungen, die nicht von jedem sicher getroffen werden könnten.
Lamping sprach vom "Trugbild des mündigen Verbrauchers".
Es sei wichtig, schon vorher abschätzen zu können, wie die Bürger mit mehr Entscheidungsfreiheit zurechtkommen.
“Es muss den Sozialstaat angehen, wenn Verbraucher im Grunde unfreiwillige Marktteilnehmer werden, weil sie oft nicht eigen-verantwortliche Entscheidungen treffen können, wenn nicht gewährleistet ist, gut informiert zu sein." Lamping plädierte dafür, den Verbraucher als “Mängelwesen" zu sehen, weniger als mündigen Verbraucher.
Lucia A. Reisch, Gastprofessorin für Konsumverhalten und Verbraucherpolitik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen, stellte fest, es sei mittlerweile unbestritten, die Forschung auszubauen. "Die Verbraucherpolitik ist in Deutschland institutionell zu gering aufgestellt", sagte sie.
Ein großes, ausgeschriebenes Programm könnte wohl gar nicht alle Mittel mit Forschungsvorhaben ausschöpfen, weil es an Infrastruktur und Forschern fehle, meinte sie. Die Bündelung der Forschung sei wichtig, denn Verbraucherschutzforschung sei interdisziplinär und sollte unterschiedliche Wissenschaften zusammenfassen.
Für Prof. Dr. Jutta Roosen von der Technischen Universität München reicht es nicht aus, sich nur innerhalb von Deutschland zu vernetzen: "Sollte der Verbraucherschutz nachhaltig sein, dann muss er international ausgerichtet sein - zum Beispiel in Form eines Leibniz-Instituts."
Die Wirkung der Information auf die Entscheidung der Konsumenten sollte nach Ansicht des Diplom-Volkswirts Andreas Zahn weiter erforscht werden. Auch müsse die Wirkungsweise von Mindestqualitätsstandards ermittelt werden, was in vielen Bereichen immer wieder zu politischen Kontroversen führe, sagte Zahn.
Im Mittelpunkt stehe die Frage, was mit diesen Erkenntnissen gemacht werden solle, denn die Verbraucher träfen oft Entscheidungen, die nicht ihren Bedürfnissen entsprechen. "Doch woher kennt die Politik die Bedürfnisse der Verbraucher?", fragte Zahn und führte als Beispiel die Umweltprämie für Fahrzeuge an. "Sie hatte einen ökonomischen Nutzen für die Verbraucher und die Politik, führte aber dazu, dass Autos verschrottet wurden, die wegen ihres guten Zustandes sonst nicht verschrottet worden wären."
Zahn kritisierte auch die Einstellung der Politik gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen. Sie bediene sich zu wenig der Experten und gehe nur sehr verhalten mit Erkenntnissen um. In Skandinavien sei man im Vergleich viel offener. "Die Politik sperrt sich zu sehr", sagte er. (Deutscher Bundestag: ra)
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