Wettbewerb um digitale Mobilitätsdienstleistungen
Bundeskartellamt mahnt Deutsche Bahn wegen möglicher Behinderung von Mobilitätsplattformen ab
Wichtig für die Mobilitätsdienstleister ist auch der Zugang zu zentralen Prognosedaten des Schienenverkehrs in Deutschland wie Zugverspätungen und -ausfälle, deren Herausgabe die DB bisher verweigert
Das Bundeskartellamt ist zu dem vorläufigen Ergebnis gekommen, dass bestimmte Verhaltensweisen und Vertragsklauseln der Deutschen Bahn (DB) gegenüber Mobilitätsplattformen einen Missbrauch von Marktmacht darstellen. Mobilitätsplattformen bieten hauptsächlich Online-Lösungen für eine integrierte Routenplanung an, für die die Schiene eine wichtige Rolle spielt. So vermitteln sie etwa die Kombination von Bahntickets mit Flügen, Carsharing, Fernbus oder Mietfahrrädern. Für Dienste dieser Art stellt die DB keine Prognosedaten des Schienenpersonenverkehrs, wie zum Beispiel Daten über Verspätungen, Fahrtverlauf, Zugausfälle oder Gleiswechsel zur Verfügung, die aber essenziell für die Entwicklung solcher Dienstleistungen sind. Die im Verfahren adressierten vertraglichen Beschränkungen der DB reichen von Werbeverboten über vertikale Preisvorgaben gegenüber den Reisenden und weitreichende Rabattverbote bis hin zu einer möglichen Diskriminierung eines Teils der Mobilitätsplattformen bei der Provisionshöhe für den Ticketvertrieb.
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: "Nach unserem vorläufigen Prüfungsergebnis ist die vom Netzbetrieb bis zum Fahrkartenvertrieb vertikal integrierte Deutsche Bahn das in Deutschland marktbeherrschende Verkehrsunternehmen auf der Schiene. Daher unterfällt die DB der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht und hat besondere Pflichten gegenüber Dritten, z.B. Mobilitätsdienstleistern.
Viele dieser Mobilitätsdienstleistungen sind ohne die Einbindung der DB nicht denkbar. Daher sind wir der Auffassung, dass die Mobilitätsanbieter z.B. einen Anspruch auf die Verkehrsdaten der Bahn wie Verspätungen oder Zugausfälle haben. Die Geschäftsmodelle können sonst nicht funktionieren. Außerdem haben wir Bedenken gegen eine Reihe von Vertragsklauseln der DB, mit denen die Mobilitätsplattformen als Online-Partner der DB behindert werden können. Wir wollen nicht, dass ein einzelnes Unternehmen perspektivisch den Markt dominiert und innovative Mobilitätsanbieter ausgebremst werden."
Das Bundeskartellamt hat Ende des Jahres 2019 ein Missbrauchsverfahren gegen die DB wegen Verstoßes gegen §§ 19, 20 GWB und Art. 102 AEUV eingeleitet. Nach jetzigem Ermittlungsstand nimmt die DB eine Doppelrolle ein. Sie ist einerseits eine marktstarke Mobilitätsplattform mit ihrem Portal bahn.de und mit ihrer App DB Navigator. Sie kombiniert über den eigenen Fahrkartenvertrieb hinaus eigene verkehrsmittelübergreifende Angebote und übernimmt den Fahrkartenvertrieb auch für Dritte, so für über 50 Verkehrsverbünde. Andererseits hat sie als mit weitem Abstand führendes Schienenverkehrsunternehmen die Möglichkeit, aufgrund ihrer Schlüsselstellung die Nutzung des Schienenverkehrs in den Angeboten Dritter zu kontrollieren.
>> So untersagt die DB ihren Vertragspartnern auf Suchmaschinen sowie in App Stores und sozialen Netzwerken mit ihrer vollen Sortimentsbreite – also auch mit DB-spezifischen Begriffen – zu werben und ihr Angebot bekannt zu machen.
>> Online-Partner der DB sind beim Verkauf von Bahn-Tickets dazu verpflichtet, auf Rabattaktionen, Bonuspunkt- oder Cashback-Programme zu verzichten, während die DB ihrerseits ihre eigenen Angebote mit diesem Mitteln bewirbt.
>> Viele Mobilitätsplattformen übernehmen für die DB beim Fahrkartenvertrieb die Buchungs- und Zahlungsabwicklung. Das Bundeskartellamt prüft, ob die DB aufgrund ihrer Marktmacht durchsetzen kann, dass sie hierfür keine entsprechende Provision erhalten.
Wichtig für die Mobilitätsdienstleister ist auch der Zugang zu zentralen Prognosedaten des Schienenverkehrs in Deutschland wie Zugverspätungen und -ausfälle, deren Herausgabe die DB bisher verweigert. Diese Daten stehen aber anderweitig nicht zur Verfügung. Die bisherigen Ermittlungsergebnisse zeigen, dass diese Prognosedaten des Schienenpersonenverkehrs unerlässlich sind für die Organisation und Buchung von intermodalen Reiseketten, also Reisen mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln. Derzeit behält die DB diese Daten sich selbst sowie wenigen ausgewählten Anbietern von Mobilitätsdienstleistungen wie zum Beispiel Google vor.
Die Auswirkungen der Wettbewerbsbeschränkungen berühren – so der derzeitige Befund – auch die Interessen anderer Verkehrsunternehmen, die ebenfalls auf den Plattformen der Online-Partner der DB zu finden sind. Gerade für die in Deutschland deutlich kleineren und weniger bekannten Bahnen können Mobilitätsplattformen ein wichtiger Kanal sein, um ihre Reichweite zu erhöhen und Nachfrager für ihre Verkehrsdienstleistungen zu gewinnen. Werden Reisende aber direkt oder indirekt immer weiter zu den Kanälen der DB gelenkt, erreichen die alternativen Verkehrsunternehmen nur wenige potenzielle Kundinnen und Kunden für ihre Verkehrsangebote und die Marktmacht der DB verfestigt sich auch auf den Verkehrsmärkten weiter. (Bundeskartellamt: ra)
eingetragen: 03.05.22
Newsletterlauf: 29.06.22
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