Kontrolle moderner Kommunikationssysteme
Einführung einer verfassungswidrigen Netzzensur? - Jugendmedienschutz-Staatsvertrag gefährdet nach Ansicht der Piratenpartei die Presse- und Meinungsfreiheit im Internet
Falls die altersgerechte Sperrung von Inhalten nicht umgesetzt werde, könnten auch die Internetzugangsanbieter zur Sperrung von Internetseiten gezwungen werden
(02.03.10) - Die Piratenpartei Deutschland sieht in den geplanten Regelungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) einen massiven Eingriff in die Struktur des freien Internets und die Einführung einer verfassungswidrigen Netzzensur. Presse- und Meinungsfreiheit im Internet wären nicht länger gewährleistet. Um auf die Gefahren des Staatsvertrags aufmerksam zu machen, rief die Piratenpartei Deutschland zu bundesweiten Mahnwachen auf.
Die Neufassung des Staatsvertrags verpflichtet unter anderem Anbieter im Internet dazu, ihre Inhalte mit einer Altersklassifikation zu versehen. Ist das Angebot nur für Jugendliche ab 16 Jahren geeignet, so muss sich ihre "Ausstrahlung" auf "Sendezeiten" zwischen 22:00 und 6:00 Uhr beschränken.
Blog-Betreiber, Zeitungsverlage, Vereine oder Privatpersonen sollen dem Entwurf nach nicht von diesen Regelungen ausgenommen sein. Für diese Anbieter entstehe nach Ansicht der Piratenpartei so ein erhebliches Haftungsrisiko und Abmahnrisiko, vor dem viele zurückschrecken würden.
Falls die altersgerechte Sperrung von Inhalten nicht umgesetzt werde, könnten auch die Internetzugangsanbieter zur Sperrung von Internetseiten gezwungen werden. Von ausländischen Anbietern dürften sich nach Meinung der Piratenpartei nur einige wenige große auf die geplanten deutschen Regelungen einlassen. Alle übrigen wären künftig im deutschen Internet nur nach 22 Uhr erreichbar.
Wer Sendezeiten im Internet fordere, verkenne den technologischen Fortschritt und die kulturelle Befreiung, die das Internet gebracht habe, so die Piratenpartei. Die totalitären und monopolistischen Strukturen der Verbreitung, die mit dem traditionellen Rundfunk verbunden seien, haben mit der freien und offenen Kultur des Internets nichts gemeinsam. Eine Diskussion über Sendezeiten im Internet habe in einer zukunftsorientierten Welt nichts zu suchen.
Nico Kern, Spitzenkandidat der Piratenpartei bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Mai, erklärte: "Wir lehnen das Vorhaben ab, im Zuge der Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages eine Provider-seitige Zensurinfrastuktur zu schaffen. Die Autoren der Vertragsänderungen verstehen das Internet offenbar nicht als Kommunikations- sondern als Rundfunkmedium und versuchen, es auch als solches zu regulieren. Das ist absurd. Die Forderung nach 'Sendezeiten für Webseiten' wird einem globalen, zeitunabhängigen Kommunikationsmedium nicht gerecht. Sie ist ein deutliches Zeichen für den Versuch etablierter Parteien, überholte Vorstellungen von Kontrolle auf moderne Kommunikationssysteme anzuwenden."
Kai Schmalenbach, der ebenfalls für die Piratenpartei kandidiert, fügt hinzu: "Wir lehnen den Entwurf in der bisherigen Fassung insbesondere auch deshalb ab, weil er die Meinungs- und Informationsfreiheit der Bevölkerung auf gefährliche Weise einschränkt und die Weiterentwicklung des Internets und seine demokratiefördernde Wirkung hemmt. Was der Änderungsentwurf vorsieht, geht sogar weit über die chinesische Internet-Zensur hinaus. Wir rufen daher alle demokratischen Kräfte auf, am Dienstag gemeinsam gegen diesen Unfug zu demonstrieren."
Die Kosten, die das System der Altersverifikation im Internet mit sich bringen würde, müssten stattdessen in Aufklärungsarbeit für Eltern und Lehrer fließen. Dadurch würden Kinder und Jugendliche fachlich kompetente Ansprechpartner erhalten, an die sie sich mit Fragen und Unsicherheiten wenden können. Für Fernseher seien eingebaute Kindersicherungen schon weit verbreitet und auch für Computer gebe es Programme, mit denen festgelegt werden kann, zu welchen Uhrzeiten und welchen Internetseiten der Zugriff möglich sei.
Nicht staatliche Kontrolle, sondern Gespräche von Kindern und Jugendlichen mit Eltern und fachkompetenten Personen seien die Lösung für kritische Inhalte im Internet. Eine Altersbegrenzung sei nie perfekt, da jedes Kind Inhalte anders wahrnehme. Somit könnten nur Eltern die hauseigenen Internetzugänge individuell für ihre Kinder einrichten.
Die Piratenpartei empfiehlt:
>> keine Internet-Sendezeiten
>> Gewährleistung der freien Diskussionskultur im Netz
>> Schutz der Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit im Internet
>> Verankerung der Netzneutralität im JMStV
Die Piratenpartei fordert von den Rundfunkanstalten und den Landesregierungen:
>> die Einbindung der Öffentlichkeit in die Diskussion um Jugendschutz im Internet
>> öffentliche Sitzungen der Rundfunkkommission
>> stärkere Förderung von Medienkompetenz an Schulen
Für die Anbieter von Inhalten im Internet gilt nach Ansicht der Piratenpartei:
>> freiwillige Kennzeichnung von Inhalten
>> keine Vorab-Prüfpflichten
>> keine Haftung für das Setzen von Hyperlinks
>> keine Netzsperren-Infrastruktur
>> keine Zwangsfilterung auf Anbieterebene
>> keine Haftung für Inhalte
(Piratenpartei: ra)
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Änderung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (externer Link)
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