Stellungnahmen: Vorratsdatenspeicherung gekippt


Vorratsdatenspeicherung zur polizeilichen Gefahrenabwehr komme nun kaum mehr in Frage
Bundesverfassungsgericht erachtet die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung als grundgesetzwidrig

(04.03.10) - Die umstrittenen Telekommunikationsgesetz-Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung sind am Dienstag vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe für grundgesetzwidrig erklärt und außer Kraft gesetzt worden ("Konkrete Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung nicht verfassungsgemäß"). In Ausnahmefällen sei die Speicherung von Daten allerdings noch grundsätzlich möglich.

Die sechsmonatige generelle Speicherung aller Telefon- und Internetverbindungsdaten (auch SMS und E-Mail) aller Bundesbürger ist laut Karlsruhe ein besonders schwerer Eingriff in das Fernmeldegeheimnis. Bereits 2008 hatte das Bundesverfassungsgericht den Zugriff auf bevorratete Daten durch Staatsanwaltschaft, Polizei und Geheimdienste bis zur Erlassung eines endgültigen Urteils nur für schwere Straftaten (Mord, Totschlag, Kinderpornografie, Bestechung, Urkundenfälschung) gestattet.

Vorratsdatenspeicherung zur polizeilichen Gefahrenabwehr komme nun kaum mehr in Frage
Betroffen und kritisch reagierte die Gewerkschaft der Polizei (GdP).
"Mit dem heutigen Urteil des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts zur so genannten Vorratsdatenspeicherung haben die Richter dem Gesetzgeber erneut eine schallende Ohrfeige verpasst", sagte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg. Wiederum habe eine schlampige Gesetzesformulierung dazu geführt, dass der Polizei ein notwendiges Ermittlungsinstrument aus der Hand geschlagen wurde. Der Gesetzgeber müsse nun, so forderte der GdP-Vorsitzende, unverzüglich ein dem Richterspruch voll entsprechendes Gesetz vorlegen, mit dem die Polizei wieder gespeicherte Telekommunikationsdaten zur Aufklärung schwerster Straftaten nutzen dürfe.

Konrad Freiberg sagte: "Natürlich respektieren wir die Entscheidung des Gerichts. Die Richter haben auf bestehende Ängste in der Bevölkerung reagiert. Gut ist, dass die Karlsruher Richter die Vorratsdatenspeicherung für die Zukunft nicht ausgeschlossen haben. Die Aufgabe der Polizei, Menschen vor Straftaten zu schützen, wird aber auch mit einem neuen, verfassungsgemäßen Gesetz stark erschwert."

Das Gericht habe, so Freiberg, die Hürden für den Zugriff der Polizei so hoch gelegt, dass Vorratsdatenspeicherung zur polizeilichen Gefahrenabwehr kaum mehr in Frage komme. Und dies, so Freiberg, vor dem Hintergrund eines jahrelangen massiven Personalabbaus bei der Polizei.

Freiberg erklärte weiter: "Gespeicherte Telekommunikationsdaten wurden bisher nur eingesehen, wenn einerseits eine richterliche Anordnung vorlag und andererseits schwere Straftaten vom Mord über Drogenhandel bis zum Terrorismus aufgeklärt werden sollten. Es bleibt abzuwarten, ob in Zukunft die Aufklärung dieser Straftaten noch auf demselben hohen Niveau wie bisher möglich ist."

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet nicht das Aus für die Vorratsdatenspeicherung
Die bayerische Justizministerin Dr. Beate Merk erklärte zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts:
"Karlsruhe hat die Vorratsdatenspeicherung nicht endgültig gekippt. Allerdings ist der Weg, wie wir ihn bisher gegangen sind, enger geworden. Es geht aber keineswegs um die Frage des 'Ob', sondern um die des 'Wie'. Die Entscheidung zwingt den Bundesgesetzgeber, jetzt schnellstmöglich ein neues Gesetz auf den Weg zu bringen, das den Vorgaben aus Karlsruhe genügt. Die Gewährleistung der inneren Sicherheit gehört zu den zentralen Aufgaben des Staates. Für den Gesetzgeber ist die Vorratsdatenspeicherung ein Balanceakt. Einerseits muss der Staat die Privatsphäre seiner Bürger achten und schützen. Andererseits muss er Kriminalität bekämpfen und alles für eine erfolgreiche Terrorabwehr tun.

Das dient nicht nur den Sicherheitsinteressen unseres Landes, sondern jedem einzelnen Bürger. Karlsruhe hat jetzt einige Fixseile verankert und dem Gesetzgeber damit wichtige Hilfestellungen für diese Gratwanderung gegeben. Wir brauchen die Vorratsdatenspeicherung sicher nicht für niedrigschwellige Kriminalität. Es ist aber keine Frage, dass es zur konsequenten Terrorismusbekämpfung auch nötig ist, sich auf die neuen Wege einzulassen, die die Kriminalität einschlägt. Ich bin froh, dass Karlsruhe diese Möglichkeiten weiterhin einräumt."

Merk sieht infolge der Entscheidung aber nicht nur den bundesdeutschen Gesetzgeber gefordert.
"Ich erwarte von der neuen EU-Kommission, dass sie auf der Grundlage der Entscheidung gründlich prüft, inwieweit die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mit der EU-Grundrechtscharta vereinbar ist. Man darf nicht vergessen, dass Deutschland ja nicht frei war in der Frage der Vorratsdatenspeicherung. Immerhin laufen derzeit gegen 19 Länder Vertragsverletzungsverfahren, weil diese die Richtlinie nicht umgesetzt haben. Deutschland hat ohnehin versucht, die Vorgaben aus Brüssel möglichst schonend anzuwenden. Beispielsweise werden Verbindungsdaten hier nur 6 Monate gespeichert, die Richtlinie sieht bis zu zwei Jahre vor."

Ein Sieg der Bürgerrechte - Vorratsdatenspeicherung ist verfassungswidrig
Die Piratenpartei begrüßt dieses Urteil ausdrücklich und hofft, dass mit dieser Schelte die etablierten Parteien sowie die Bundesregierung endlich lernen, dass Bürgerrechte ein unveräußerliches Gut sind.

"Das Urteil ist eine schallende Ohrfeige für die bürgerrechtsfeindliche Gesetzgebung der letzten Jahre"
, sagte Jens Seipenbusch, Vorstandsvorsitzender der Piratenpartei. "Unser Etappenziel ist gemeinsam mit unseren Verbündeten erreicht. Jetzt gilt es, den Schwung auf europäischer Ebene zu nutzen, um die zugrundeliegende EU-Richtlinie für unrechtmäßig zu erklären, damit die Vorratsdatenspeicherung nicht über diesen Umweg eingeführt werden kann."

Schaar lobt wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung
Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Vorratsdatenspeicherung erklärt der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Peter Schaar:

"Das Bundesverfassungsgericht hat erneut aufgezeigt, dass die Sicherung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des Fernmeldegeheimnisses angesichts des technologischen Fortschritts immer wichtiger wird. Das Urteil leistet einen großen Beitrag zur Stärkung des Datenschutzes. Beachtlich ist, dass die Vorschriften nicht nur für verfassungswidrig, sondern für nichtig erklärt wurden. Dies ist die schärfste Form der Rüge, die das Gericht gegenüber dem Gesetzgeber aussprechen kann. Die in Umsetzung des verfassungswidrigen Gesetzes gespeicherten Daten müssen nun unverzüglich gelöscht werden."

Schaar betonte die Bedeutung, die das Bundesverfassungsgericht der Datensicherheit, der Transparenz und dem Rechtschutz zumisst. Insbesondere griffen die Richter die Bedenken des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit auf, konkrete Mindeststandards zur Datensicherheit gesetzlich vorzuschreiben.
"Der Gesetzgeber muss eine physisch getrennte Speicherung der Daten, eine anspruchsvolle Verschlüsselung, ein gesichertes Zugriffsregime und eine revisionssichere Protokollierung sicherstellen."

Schaar hob die Aussage des Bundesverfassungsgerichts hervor, dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst werden dürfe. Dies gehöre zur verfassungsrechtlichen Identität Deutschlands.
"Insofern setzt das Urteil auch Schranken für andere anlasslose Datensammlungen, etwa die Speicherung von Daten von Flugpassagieren. Das gilt auch im Hinblick auf das Handeln der Bundesregierung auf europäischer und internationaler Ebene."

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit erwartet von der Bundesregierung, dass sie die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auch bei der anstehenden Modernisierung des Datenschutzrechts berücksichtigt.
"Dies gilt auch in Bezug auf den Schutz von Kommunikationsdaten bei ihrer Verwendung durch private Unternehmen.: Der Staat muss sich nicht nur bei der eigenen Datenverarbeitung zurückhalten, er muss die Bürgerinnen und Bürger ebenso vor einer exzessiven Erfassung und Profilbildung durch nicht-öffentliche Stellen schützen."
(GdP: Bayerisches Justizministerium: Piratenpartei: BfDI: ra)

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