EU beschließt "Ownership Unbundling"-Lösung
EU-Länder einigen sich auf Eckpunkte einer Reform des europäischen Energiemarktes: Die Erzeuger dürfen ihre Netze behalten, müssen sich aber starken Regulierungen unterwerfen
Die EU entscheidet sich für den "dritten Weg", den Deutschland, Frankreich und sechs weitere EU-Länder Ende Januar vorgeschlagen haben
(09.06.08) - Der Druck der deutschen Bundesregierung und sieben weiterer EU-Länder – darunter Frankreich - hat offensichtlich geholfen. Kosequent hatte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos darauf gedrungen, die Gas- und Strom-Verteilernetze im Eigentum der Energiekonzerne zu belassen. Die EU-Kommission dagegen wollte die Energiekonzerne zwingen, sich von ihren Netzen zu trennen und drohte den Konzernen unverhohlen mit Kartellklagen. RWE sieht sich einem solchen kartellrechtlichen Missbrauchsverfahren bereits seit April 2007 ausgesetzt. Noch im September hatte die EU-Kommission angestrebt, den Konzernen den Verkauf ihrer Netze vorzuschreiben. Sie wollte damit die Unabhängigkeit der Verteilnetze für Strom und Gas von den Energieproduzenten sicherstellen.
Am letzten Freitag entschied die EU nun in Luxemburg über das sogenannte Ownership Unbundling, das aus deutscher Sicht einer "Enteignung" der Energiekonzerne gleichkommt. Das Ergebnis: Die Energiekonzerne dürfen ihre Netze behalten - wenn sie wollen. Sie müssen sich in diesem Fall aber strengen Auflagen beugen.
Dabei geht es um folgende Verpflichtungen:
>> die Betreibergesellschaften müssen rechtlich unabhängig sein,
>> sie werden von nationalen Regulierern überwacht,
>> müssen einen zehnjährigen Investitionsplan vorlegen,
>> das Management dieser Netzfirmen darf keine direkte Vergangenheit beim Mutterkonzern gehabt haben (d.h. die Mehrheit der Manager muss drei Jahre lang, bevor sie in der Netzfirma einen führenden Job übernimmt, bei einem anderen Unternehmen gearbeitet haben, für den Rest gilt eine Sperrklausel von sechs Monaten)
Kern allen Übels sind die ständig steigenden Energiepreise in Europa. Mit vier großen Versorgern ist der deutsche Strommarkt praktisch ein Oligopol. Vor allem die beiden Riesen RWE und E.ON beherrschen das Marktgeschehen. Zusammen mit Vattenfall Europe und EnBW kommen sie auf rund 80 Prozent Marktanteil. Der EU ist besonders die Situation in Deutschland ein Dorn im Auge.
Die EU-Wettbewerbsexperten gehen davon aus, dass eine strikte Trennung zwischen Energie-Erzeuger und Energie-Verteiler sich mäßigend auf die Preise auswirkt. Die deutsche Bundesregierung wiederum fürchtet, dass eine Übernahme der Netze durch Drittfirmen negative Folgen für die Investitionskraft hat, sprich die Netze nicht mehr so intensiv ausgebaut werden.
Ob die jetzt beschlossenen Grundzüge auch die Zustimmung im Europäischen Parlament finden (Abstimmungen sind am 17. Juni und 8. Juli), bleibt abzuwarten. Schon am Freitag hat sich gezeigt, dass die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten die gemeinsame Grundsatzerklärung durchaus verschieden auslegen. Der Industrieausschuss des Europäischen Parlamentes hatte sich im Vorfeld für die Pflicht zum Verkauf der Netze ausgesprochen.
Wie es in Deutschland weitergeht, bleibt abzuwarten. E.ON hat bereits angekündigt, ihr Stromnetz verkaufen zu wollen, und RWE hatte erst in der letzten Woche die teilweise Trennung vom Gasnetz beschlossen. Wie die beiden Unternehmen nun reagieren, wird man sehen.
Was beinhaltete die Einigung der RWE mit der EU?
Die RWE AG strebt gemeinsam mit der EU-Kommission eine strukturelle Lösung für das seit April 2007 laufende kartellrechtliche Missbrauchsverfahren im Bereich Erdgas an. Die EU-Kommission vermutet nicht gerechtfertigte Hindernisse beim Zugang zum Erdgastransportsystem in Deutschland. Der Verdacht richtet sich insbesondere gegen die RWE Transportnetz Gas GmbH (TSO Gas). Der Konzern wird sich nun verpflichten, innerhalb von zwei Jahren sein Gas-Übertragungsnetz in Deutschland an einen unabhängigen Dritten zu veräußern. Der Aufsichtsrat der RWE AG hat dem Vorhaben zugestimmt. Eine weitere Gremienbefassung in der Führungsgesellschaft RWE Energy steht noch aus. Nach einem Markttest, einer Befragung wichtiger Marktteilnehmer, würde die EU-Kommission die Verpflichtungszusage für bindend erklären und das Verfahren beenden.
RWE ist weiterhin der Überzeugung, im Gasbereich den rechtlichen Vorgaben entsprochen zu haben. Die angestrebte Einigung ist kein Schuldeingeständnis. Der Konzern hat sich nun aber zur Vermeidung eines langjährigen Rechtsstreits für eine einvernehmliche Regelung entschieden und möchte das Verfahren gemeinsam mit der EU-Kommission beenden.
Die Entscheidung ist RWE nicht leicht gefallen und steht nicht in Zusammenhang mit den zurzeit laufenden politischen Diskussionen um eine eigentumsrechtliche Entflechtung der Übertragungsnetze im Strom- und Gasbereich. Das Unternehmen hat Hintergrund und Inhalt der Entscheidung intensiv mit der Politik besprochen.
In Deutschland gibt es elf "marktgebietsaufspannende" Netzbetreiber, die ein Fernleitungsnetz von rund 40.000 km betreiben. Auch mehrere ausländische Unternehmen sind daran beteiligt. Das RWE-Übertragungsnetz hat eine Länge von 4100 Kilometern.
Ownership Unbundling: Drei Lösungsvarianten in der Diskussion
Das jahrelange Dauerthema "Unbundling" strebt einer abschließenden Entscheidung zu. Bisher galt die rechtliche Trennung von Erzeugung und Netz ("Legal Unbundling") als ausreichend. Doch die Europäische Kommission will mehr; sie sieht eine Notwendigkeit, den Wettbewerb weiter anzukurbeln. Jetzt geht es um nicht weniger als die simple Frage: Werden RWE und die übrigen Netzbetreiber per EU-Dekret zu einem Schritt gezwungen, den Eon kürzlich "freiwillig" angekündigt hat: die Stromnetze zu verkaufen?
Bei näherer Betrachtung ist es nicht mehr ganz so simpel. Erstens: Statt "Netze" muss man korrekter "Übertragungsnetze" sagen. Das ist das Hoch- und Höchstspannungsnetz beim Strom, beim Gas sind es die Fernleitungen, wovon bei RWE im Kern die RWE Transgas in Tschechien betroffen ist. Und zweitens: Es geht nicht einfach um schwarz oder weiß, um verkaufen oder behalten – die Diskussionspalette ist vielfarbig. Derzeit werden drei Haupt-Varianten diskutiert, und über 1000 Änderungsanträge für das Europäische Parlament ergeben ein unübersichtliches Bild.
Variante eins, vorgelegt von der Europäischen Kommission: Klares "Ownership Unbundling", also eigentumsrechtliche Entflechtung. Heißt: Verkauf, und zwar entweder an jemanden, der mit Energiewirtschaft überhaupt nichts zu tun hat, oder an einen anderen reinen Netzbetreiber. De facto kämen also nur Finanzinvestoren in Frage (mit zweifelhafter Bereitschaft zur Investition), oder aber als einziger ernsthafter Netz-Kandidat die britische "National Grid".
Variante zwei ist nuancenreicher komponiert: Alternativ kann sich die EU-Kommission vorstellen, die Netze zwar im Eigentum der Konzerne zu belassen, ihren Betrieb und die Kontrolle im Tagesgeschäft aber an einen unabhängigen Systembetreiber ("Independent System Operator") zu übertragen. Da damit auch die Entscheidung über Investitionen verbunden wäre, wird diese Variante von RWE und auch der Bundesregierung ebenso abgelehnt wie Variante eins. Dr. Klaus Kleinekorte, Geschäftsführer des RWE-Übertragungsnetzbetreibers TSO Strom: "Dadurch wäre der Eigentümer seiner unternehmerischen Entscheidungsmöglichkeit beraubt und zum Geldgeber auf Anweisung degradiert."
Einen "dritten Weg" haben Deutschland, Frankreich und sechs weitere EU-Länder Ende Januar vorgeschlagen. Dieses Modell belässt die Netze ebenfalls im Eigentum der Energieunternehmen. Es sieht Netztöchter als rechtlich eigenständige Aktiengesellschaften vor, die unter eigener Marke, einem strikt unabhängigen Management und strikter regulatorischer Kontrolle geführt werden. Investitionen allerdings würden gemeinsam zwischen dem Mutterkonzern und der Regulierungsbehörde festgelegt – im Fall von Uneinigkeit könnte die Behörde einzelne Leitungsbau-Projekte ausschreiben und von Dritten investieren lassen. Kleinekorte: "Mit einer solchen Lösung bleibt die unternehmerische Investitionsentscheidung weiter beim Eigentümer."
(RWE: ra)
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