Investoren fordern gläsernen Aufsichtsrat


Studie zeigt stark gestiegene Transparenz von Aufsichtsräten - Deutsche Börse ist Sieger im DAX-Ranking der besten Aufsichtsräte
Aufsichtsräte übernehmen Elemente des angelsächsischen Board-Systems - Investoren fordern stärkeren Einfluss auf Aufsichtsräte



Der Deutsche Börse-Aufsichtsrat liegt erstmals auf Platz 1 im Aufsichtsrats-Score. Die Commerzbank klettert um sechs Plätze auf den zweiten Rang, gefolgt von der Deutschen Bank, dem Autobauer Daimler und dem Industriekonzern Siemens. Das ist das Ergebnis der aktuellen Untersuchung "Aufsichtsrats-Score". Für die Studie wird die Aufsichtsratstätigkeit der Unternehmen in den wichtigsten deutschen Aktienindizes DAX und MDAX durch den Corporate-Governance-Experten Prof. Dr. Peter Ruhwedel untersucht.

Ruhwedel ist Wissenschaftlicher Leiter des KompetenzCentrums für Unternehmensführung und Corporate Governance an der FOM Hochschule. Der Spitzenreiter im MDAX ist der Neuling alstria Office REIT-AG, der gleich im ersten Jahr seiner MDAX-Notierung überzeugt hat. Auf den nachfolgenden Plätzen finden sich die Aareal Bank, Leoni, OSRAM und Bilfinger Berger. Die Studie vergleicht bereits zum fünften Mal Arbeitsweise, Eignung, Diversität und Transparenz der Aufsichtsräte in DAX und MDAX. In diesem Jahr besonders auffallend ist die deutlich größere Offenheit und Transparenz der Unternehmen, die immer mehr Informationen über die "Blackbox" Aufsichtsrat preisgeben.

Der gläserne Aufsichtsrat
"Die Zeiten, in denen Aufsichtsräte in Hinterzimmern tagten, gehören endgültig der Vergangenheit an", sagt Professor Peter Ruhwedel. "Aussagekräftige Anforderungsprofile der Gremien, ausführliche Lebensläufe der Aufsichtsratskandidaten, eine Begründung, warum eine Person zur Wahl in den Aufsichtsrat vorgeschlagen wird oder ausführliche Aufsichtsratsberichte gehören immer mehr zum Standard einer transparenten Berichterstattung an die Aktionäre."

Das ist ein Kernergebnis der aktuellen Untersuchung "Aufsichtsrats-Score 2016", die bereits zum fünften Mal durchgeführt wurde. Der Aufsichtsrats-Score misst auf Basis öffentlich verfügbarer Informationen die Qualität der Aufsichtsräte in den DAX- und MDAX-Gesellschaften in den vier Themenfeldern Arbeitsweise des Aufsichtsrats, persönliche Eignung der Aufsichtsratsmitglieder, Diversität in der Zusammensetzung des Gremiums sowie Transparenz über die Aufsichtsratsbesetzung und -tätigkeit.

Deutsche Börse auf Platz 1
Mit einem Aufsichtsrats-Score von 82,4 Prozent führt der Deutsche Börse-Aufsichtsrat das Ranking in diesem Jahr an. "Der Deutsche Börse-Aufsichtsrat ist prototypisch für einen modernen Aufsichtsrat", erläutert Professor Ruhwedel. "Mit zehn Aufsichtsratssitzungen, sechs aktiven Fachausschüssen sowie einem zweitägigen Strategieworkshop begleitet der Aufsichtsrat die Arbeit des Vorstands intensiv." Auch im Bereich der Transparenz ist das Gremium vorbildlich. Der über 25.000 Zeichen lange, sehr aussagekräftige Aufsichtsratsbericht (zum Vergleich: der Beiersdorf-Bericht kommt mit gut 6.000 Zeichen aus) und umfangreiche Angaben zu den Aufsichtsratsmitgliedern vermitteln ein umfassendes und transparentes Bild über den Aufsichtsrat. Mit einem Ausländeranteil von 33 Prozent und einem Frauenanteil von 42 Prozent zeichnet sich das Gremium zudem durch eine große Diversität aus.

Aufsichtsräte übernehmen Elemente des angelsächsischen Board-Systems
Der deutsche Aufsichtsrat schien lange in den Grenzen seiner dualistischen Unternehmensverfassung gefangen zu sein. Das angelsächsische Board-System, bei dem der geschäftsführende "Vorstand" und der überwachende "Aufsichtsrat" in einem Gremium vereint sind, galt manchen gar als überlegen. "Das deutsche Aufsichtsratssystem bietet zahlreiche Möglichkeiten, die Überwachungsintensität im Rahmen der bestehenden Grenzen deutlich auszuweiten und dabei gleichzeitig die notwendige Unabhängigkeit beizubehalten", so Ruhwedel. "In Zeiten disruptiver Veränderungen der Geschäftsmodelle und anspruchsvoller wirtschaftlicher Rahmenbedingungen bleibt den Aufsichtsräten auch überhaupt keine andere Wahl, als ihre Einflussmöglichkeiten zu nutzen und Vorstände als Sparringspartner aktiv zu unterstützen."

Die weitere Professionalisierung des Aufsichtsrats zeigt der Anstieg des durchschnittlichen Aufsichtsrats-Scores, der sowohl im DAX (+3,5 Prozentpunkte auf 66,4 Prozent) als auch im MDAX (+3,7 Prozentpunkte auf 56,3 Prozent) deutlich ansteigt. In zahlreichen Unternehmen haben die Aufsichtsräte Charakteristika des Board-Systems übernommen: Dies betrifft zum einen die Sitzungsfrequenz. Reichte zahlreichen Gremien in der Vergangenheit die gesetzliche Mindestzahl von vier Aufsichtsratssitzungen aus, so liegt der Durchschnitt im Untersuchungszeitraum bei 7,0 (DAX) beziehungsweise 6,9 (MDAX) Sitzungen pro Jahr. Bei den obersten 25 Prozent der Gesellschaften in DAX und MDAX liegt dieser Wert sogar bei durchschnittlich über 9 Sitzungen pro Jahr. Professor Ruhwedel: "Nur noch einige wenige MDAX-Unternehmen belassen es bei der Mindestzahl von vier Aufsichtsratssitzungen im Jahr - vor dem Hintergrund der aktuellen Umwälzungen scheint dies vollkommen unzureichend zu sein."

Dies wird von einer Intensivierung der Ausschusstätigkeit begleitet. So kommen die besten 25 Prozent der DAX-Unternehmen auf eine durchschnittliche Anzahl von 36 Ausschusssitzungen im Jahr; die Deutsche Bank sogar auf 74 Sitzungen. "Die Deutsche Bank ist weiterhin im Krisenmodus. Alleine der im Untersuchungszeitraum noch von Georg Thoma geleitete Integritätsausschuss kam auf 15 Sitzungen. Es wird sich zeigen, ob dies nach dem Rücktritt von Herrn Thoma beibehalten wird", erläutert Ruhwedel.

Unterschiede in den Governance-Modellen
Nimmt man alle Facetten zusammen, so haben zahlreiche Gremien Elemente des angelsächsischen Board-Systems übernommen - es gibt jedoch auf der anderen Seite noch immer Gesellschaften, die ein tradiertes Rollenverständnis des Aufsichtsrats pflegen. So liegt der durchschnittliche Aufsichtsrats-Score der führenden zehn DAX-Unternehmen mit 76 Prozent über 20 Prozentpunkte höher als der Durchschnitt der zehn DAX-Unternehmen mit dem geringsten Score. "Es gibt noch immer eine große Lücke zwischen Unternehmen mit einem modernen Rollenverständnis des Aufsichtsrats und Unternehmen mit einem nicht mehr zeitgemäßen Verständnis, deren Besetzung, Arbeitsweise und Transparenz zum Teil erheblich abfällt", erläutert Professor Ruhwedel. "Besonders deutlich wird diese Schere im MDAX: Hier kommen die zehn Unternehmen mit dem geringsten Score nur auf einen Durchschnitt von 40,5 Prozent und liegen damit mehr als 30 Prozentpunkte hinter den führenden zehn MDAX-Unternehmen."

Eine unterdurchschnittliche Bewertung kann häufig in Unternehmen mit einem Großaktionär beobachtet werden. Dies legt die Vermutung nahe, dass dort eine starke direkte Überwachung durch den Großaktionär erfolgt. Gleichzeitig ist jedoch zu befürchten, dass - wie im Beispiel von VW - die Vorteile der Überwachung durch ein unabhängiges Expertengremium nur unzureichend genutzt werden. "Erst nach dem Diesel-Skandal hat der VW-Aufsichtsrat reagiert und mit acht Aufsichtsratssitzungen sowie einem neu eingerichteten Ausschuss "Dieselmotoren" angefangen, die Probleme anzugehen", so Professor Ruhwedel.

Druck des Kapitalmarkts
Die Qualität der Corporate Governance eines Unternehmens hat sich zu einem entscheidenden Anlagekriterium für Investoren entwickelt. Die Unternehmen reagieren hierauf mit einer immer größeren Transparenz, um so Informationsasymmetrien zu verringern und Vertrauenskapital aufzubauen bzw. zurückzugewinnen. Der durchschnittliche Score für die Transparenz der Unternehmen im DAX legt entsprechend um 4,4 Prozentpunkte auf 62,2 Prozent zu (MDAX +4,2 Prozentpunkte auf 47,0 Prozent); die führenden zehn Unternehmen kommen im DAX sogar auf 77,4 Prozent, im MDAX immerhin auf 67,1 Prozent. Auch hier zeigt sich also eine große Spreizung.

Im Fokus stehen dabei neben einem aussagekräftigen Bericht des Aufsichtsrats insbesondere Informationen zu den Aufsichtsratsmitgliedern. So wird inzwischen bei der Hälfte der untersuchten DAX-Unternehmen und bei einem Drittel der MDAX-Unternehmen die Sitzungsteilnahme der Aufsichtsratsmitglieder individuell veröffentlicht. 31 Prozent der DAX- bzw. 25 Prozent der MDAX-Unternehmen begründen darüber hinaus einen Wahlvorschlag an die Hauptversammlung. Und immerhin 42 Prozent der Unternehmen im DAX veröffentlichen ein Anforderungsprofil für den Aufsichtsrat (MDAX: 19 Prozent).

Der Transparenzgewinn ist auch auf die wachsenden Anforderungen von Investoren zurückzuführen, die immer häufiger die Zusammensetzung von Gremien kritisch hinterfragen. Die geplante Einführung eines Investorendialogs zwischen Aufsichtsratsvorsitzendem und institutionellen Investoren (Ziff. 5.2 DCGK neu) wird die "Blackbox" des Aufsichtsrats weiter öffnen und den Aufsichtsrat in seiner zentralen Rolle stärken.

Zur Studie "Aufsichtsrats-Score": Orientierungsrahmen für Gremienarbeit
Die Studie hat das Ziel, über die vergleichende Analyse der Aufsichtsräte (Benchmarking) und die Identifikation vorbildlicher Vorgehensweisen in den Aufsichtsräten einzelner Unternehmen (Best Practices) Anregungen für eine weitere Professionalisierung der Aufsichtsratstätigkeit zu geben. "Die Studienergebnisse sollen Aufsichtsräte bei der Weiterentwicklung der Strukturen, Prozesse und Arbeitsweise unterstützen und einen Orientierungsrahmen für ihre Tätigkeit geben", betont Professor Dr. Peter Ruhwedel, der mit dem Deutschen Institut für Effizienzprüfung (diep) Aufsichtsräte bei Effizienzprüfungen unterstützt.

Über den Autor der Studie Professor Dr. Peter Ruhwedel:
Peter Ruhwedel ist Wissenschaftlicher Leiter des KCU KompetenzCentrum für Unternehmensführung & Corporate Governance und Professor für Strategisches Management und Organisation an der FOM Hochschule in Duisburg. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich Corporate Governance, insbesondere Fragen der Zusammensetzung und Tätigkeit von Aufsichtsräten. Vor seiner Berufung an die FOM Hochschule im Jahr 2011 war er über zehn Jahre als Unternehmensberater tätig, zuletzt als Partner einer international führenden Managementberatung. Neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer ist Peter Ruhwedel Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des Deutschen Instituts für Effizienzprüfung (diep).
(KCU KompetenzCentrum für Unternehmensführung & Corporate Governance; KCU: ra)

eingetragen: 02.01.17
Home & Newsletterlauf: 23.01.17

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